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~Teil 2

Es war einer der sonnigsten Tage im März, der  sechzehnte März im Jahre 1871.
Fast ein Jahr nachdem ich Pearl das erste Mal gesehen hatte.
Lange wars her.
Und viele Tage waren vergangen.
Tage in denen sich jegliche Situationen um verrückte und surreale Ereignisse minderten. Normalität war eingekehrt. Und dennoch war mir klar, dass diese Normalität nicht lange anhalten würde. Ich spürte es wie ein Kribbeln in meinen Fingerspitzen. Ich spürte es wie Donnerblitze in meinem Verstand und ich konnte mich noch immer glasklar an den Moment erinnern, in dem ich sie zuerst gesehen hatte. In ihrem Kleid. Mit dem offenen Haar. Mit diesen tanzenden Augen. Und es war als habe mich in diesem Moment ein Blitz direkt ins Herz getroffen. Und diese Aufregung, diese innere Unruhe.
Ich spürte sie besonders stark an diesem Morgen.
Schicksal?
Vorahnung?

Ich lief an diesem Morgen weiter und länger  als sonst. Fern von allen Häusern und Menschen lief ich im hellen Sand. Über Dünen und mit wehendem Haar auf das Meer blickend. Heute wurde ich dem Gehen nicht müde und alle Kraft zog mich weiter nach vorn. So stark war dieses Gefühl, dass ich beinahe zu rennen begann.
Immer weiter... weiter...
Mein Herz schrie. Meine Hände zitterten.
Aber gleichermaßen war Angst mit dieser Sucht verbunden.
Und so rannte ich immer weiter und viel schneller als sonst an meinen regulären Spaziergängen.
Und es war als treffe mich der Blitz erneut, als ich einen leuchtenden Fleck im Sand liegen sah.
Noch weit vor mir und nicht erkennbar.
Ein gestrandeter Engel oder doch nur ein Delfin?
Ich lief weiter auf den Fleck zu, doch nun langsamer. Meine Hände zitterten und ein eiskalter Schauer lief meinen Rücken herab und ich konnte nichts anderes tun, als sie wie eine Jacke um mich zu schlingen.
Der gestrandete Engel lag reglos auf der Seite.
Aber als ich nah genug vor ihm stand erkannte ich, dass es weder Engel, noch Delfin war.
Es war ein Wesen, welches ich zuvor noch nie gesehen hatte. Und die Angst vor dem Unbekannten ließ mich erschaudern. Die Hände vor den Mund gepresst betrachtete ich das Wesen vor mir.
Aus Angst, dass es mich hören und fressen könnte. Dass auch nur ein Atemzug es wecken könnte.
Sanfte Wellen kräuselten sich um es und schienen es zu streicheln.
Aber alles was ich sehen konnte war eine nicht sonderlich menschliche Frau.
Ab dem Kopf trug die Kreatur die Haut eines Menschen. Und doch war sie von hauchfeinen Schuppen versehen. Helle glitzernde Schuppen, die ihre Arme, ihren nackten Rücken und ihre Hüfte schmückten. Sie hatte langes blondes Haar, welches ihr ins Gesicht fiel und um sie wie eine Qualle glitt. Ab der Hüfte jedoch verfärbten sich die hellen Schuppen zu eisblauen und dickeren Schuppen und verzierten die zusammengewachsene Beine der Frau. Aber die Beine waren lang wie eine Schlange und an dessen Ende befand sich eine Flosse wie die eines bunten Meerfisches, nur ausgerichtet wie die eines Delfins.
An Hals und Hüfte klafften riesige, sich bewegende Kiemen. Zwischen seinen Finger befanden sich helle Fischhäute wie bei Fröschen.
Zu verwirrt und ungläubig stand ich noch immer dort mit angehaltenem Atem.
Ich konnte nur dort stehen und auf die Kiemen starren, die sich langsam schlossen und auf die  reißende Haut an ihren Beinen. Was geschah dort? Menschliche Haut kam unter der blätterndem Haut zum Vorschein.
Doch das Meer ließ nicht zu, dass dort wo es noch im Meer lag, menschliche Haut zum Vorschein kam. Vor mir lag nun eine Frau. Eine halbe Frau und ein halbes Monster.
Dann begann es durch seinen Mund zu atmen.
Ich schreckte zurück und trat einen Schritt nach hinten.
Mein Herz hatte noch nie so schnell geschlagen und dieses Gefühl tief in mir war so unbekannt und erschreckend, dass ich einfach weiter dort stehen blieb und auf das Wesen starrte.
Ich ich befürchte es lag nicht daran, dass das Wesen nackt war.

Es war verletzt. Im Rücken neben der großen Rückenflosse klaffte ein tiefes Loch.
Blut trat aus und färbte die sanften Wellen rot.
Ich überlegte einen Moment, dann siegte meine Neugierde und ich lief um das Wesen herum.
Dann kniete ich mich in das Wasser, damit ich das Gesicht sehen konnte. Ich betete, dass nicht alle meine Befürchtungen war seien.
Dass ich mich irrte. Dass ich irre war und wach werden würde. Und doch erkannte ich die Wahrheit, die mir die ganze Zeit zu sehen verwehrt wurde.
Ich streckte meine Hand nach vorn, beugte mich herab und strich das blonde Haar aus ihrem Gesicht.
Ich zog meine Hand zurück und schloss meine Augen. Ich wusste nicht wie lange ich dort saß. Oder wie lange ich mit mir selbst kämpfte.
Mit der Angst. Mit der Erkenntnis darüber, dass die Frau, die ich liebte nicht menschlich war. Gott...
Das Wesen vor mir war keine geringere als Pearl selbst. Das was ich vor mir sah war das perfekte Gesicht jener Frau, die ich für menschlich gehalten hatte.
Ich ließ mich zur Seite fallen und schaute in ihr Gesicht. Das Haar wehte sanft um ihre Gestalt.
„Wach bitte auf," flüsterte ich und wartete. Nichts...
Aber sie atmete. Ihr Brustkorb hob und senkte sich nach wie vor.
„Soll ich dich mitnehmen?"
War ich irre?!
Wo sollte ich sie bitte verstecken?
Und warum überhaupt?
Ich stand auf und betrachtete ihre Wunde.
Wenn ein Anderer sie so finden würde, dann würde man sie wie einen Goldfisch in eine Glaskugel sperren.
Dann würde sie ihre Freiheit verlieren. Dann würde sie ein Objekt sein...
Der Gedanke daran brach mein Herz auf unerklärliche Weise und so entschied ich mich tatsächlich dazu, meiner Idee zu folgen.
Ich konnte sie nicht verraten...
Mein Herz schien mit dem ihrigen verbunden zu sein.
Ich kniete mich erneut in den Sand, zog meine Jacke aus, legte sie neben mich und legte meine Hand unter ihren Nacken, meine andere unter ihre halb-zusammengewachsenen Beine.
Ihr nackter Körper lag warm in meinen Armen und ihr Kopf war an meine Schulter gelegt. Das Salzwasser tropfte wie Perlen in die sanften Wellen. Die Perlen und Erinnerungen.
Erinnerungen von lang vergangenen Zeiten.
So ruhig schien sie zu schlafen.
Bevor ich sie hoch heben konnte nahm ich die Jacke und legte sie über sie. Es war mir dennoch nicht gestartet eine junge Frau derart zu sehen. Dann lief ich los.
Sie war schwerer als gedacht. Oder ihr halber Fischschwanz. Denn dieser schliff hinter mir auf dem Boden. Beinahe hätte ich sie fallen gelassen. Eine solcher Akt sollte mir nie wieder passieren.
Zenon Zabat mit einem Monster im Arm, der kompliziert einen unbekannten Weg an den Klippen entlangläuft. Zenon Zabat, der eine Blutspur hinter sich herzieht und beinahe die Liebe seines Lebens hätte fallen lassen.
Zenon Zabat, der in ein Monster verliebt war.
Zenon Zabat, der viele Male vor Anstrengung warten musste und erst Kraft fand, wenn er in ihr perfektes Gesicht blickte.
Und genau das tat ich. Sie ansehen und träumen.

Es hat begonnen...

Wie immer würde ich mich über Kommentare und Votes freuen.
LG JCsirens

Sirens___Ein tödlicher KussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt