Sirens- Ein tödlicher Kuss

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Meine Eltern erwarteten viel, eine gute Frau, eine große Hochzeit und noch mehr Geld.
Dies waren die drei Gründe, wegen denen ich am einundzwanzigsten Oktober im Jahre 1870 auf diesem Maskenball  erscheinen musste.
„Reine Demütigung," hatte meine Mutter gesagt und meines Vaters Blicke waren ebenso erniedrigend, wie ihre. Unfassbar?!
All die Frauen hier, all das Gelächter. Einen Anker habe ich, an dem ich mich stützen kann. Es ist mein Freund, Toni. Wir saßen mit angewinkelten Beinen auf dem Fenstersims und schwiegen uns an. Unsere bauschigen Hosen bunt, wie das zu dieser Zeit üblich war.
Normalerweise hätte Tonino uns aus solchen Situationen herausreiten können. Ja, ich wage fast zu behaupten, dass er durch die geschickte Umstellung der Wörter und ihrer Bedeutungen sogar meinen Vater hätte umstimmen können. Aber eben nicht dieses Mal.
„Irgendeine wirst du schon finden," lachte er und warf seinen Kopf in den Nacken. Seine glänzenden grauen Haare waren zu einem Zopf im Nacken gebunden und kräuselten sich bei jeder seiner Bewegungen. Seine grünlichen Augen wirkten warm, als das Licht der Kerzen sich in ihnen spiegelte. Ich folgte seinem Blick in die bunte Menge. Die schallende Musik, die bunten pompösen Kleider, die reizvollen Masken. Keines der Mädchen. Keine junge Frau, nein nicht eine einzige, die mich hätte interessieren können. Alle tanzten sie und hinter ihnen waberte der Duft ihrer Perfumes in bunten Wölkchen, die nicht nur Sinne, sondern auch Verstand benebelten.
Desinteresse bereitete sich wie ein Leuchtfeuer in mir aus. Bald würden meine Augen mit Sicherheit zufallen und ich vom Sims rutschen, so dachte ich.
Doch da sah ich sie. Alle Müdigkeit verschwand. Es war, als gefriere mein Blut. Als würde die Zeit stehen...
Ein Mädchen, sicher war sie siebzehn oder achtzehn Jahre alt. Platinblondes Haar floss ihren Rücken in leichten Wellen wie ein Wasserfall hinunter. Eisblaue Augen und wunderschöne lange Wimpern, die sich wie ein Fächer zu dem unteren Wimpernkranz bogen.
Sie trug ein Boudreaux, mit gelbem Tüll besticktes, Kleid und stand still am Rande des Saales. Der marmorne Boden, welcher golden glänzte und die hohen Wände ließen sie klein wirken und doch schien sie riesig zu sein. So als ziehe sie mich mit unsichtbaren Armen zu sich, um mich zu verschlingen. Ihre zarte Gestalt schimmerte im blanken Boden wieder, so als stünde sie auf zerbrechlichem Glas. Und ich wollte nichts mehr, als sie zu berühren. Also rutschte ich von meiner Anhöhe und stellte mich wackelig auf den glatten Boden. Ich hatte die kulturell hoch angesehenen Absätze an meinen Schuhen vergessen. Nein, ich hatte alles vergessen. Die zwei Röcke der jungen Frau waberten um sie, als sie mir den Rücken zuwandte. Sie hatte mich noch nicht entdeckt, so war mir. Und doch stand ich noch dort und starrte sie an. Ja, ich starrte, ich blickte nicht oder wendete meinen Blick aus Vorsicht oder Rücksicht ab, ich hielt ihn.
„Eine Unverschämtheit," hätte mein Vater gesagt und mich dafür sicher geschlagen.
Bald schon sah ich nur ihren zugeschnürten Rücken. Verdeckt von dem bestickten Stoff, zugeknüpft mit kleinen gelben Steinchen. Die Taillie lief tief und spitz geschnürt zu. Hals und Unterarme frei. Aber den Hals konnte ich nun nicht sehen. Und es verlangte mich danach ihn erneut sehen zu dürfen.
Also lief ich los.
Und jeder meiner Schritte hallte in meinen Ohren wieder.
Ich hörte Toninos Stimme, als sei sie nur ein Flüstern und doch saß er doch direkt hinter mir:„Zenon?"
Ich achtete nicht darauf, ich achtete nur auf sie.
Und ich hörte mich selbst sagen:„Guten Abend. Wenn ich mich vorstellen darf, mein Name ist Zenon Zabat*.Verratet Ihr mir auch den Ihren?"
Die junge Frau hingegen schwieg. Als sie ihren Blick hob und mir direkt in die Augen sah, da war mir, als stünde mein Herz still und würde nie wieder schlagen.
Mir war heiß und die Stille machte mich nervös. Natürlich war es nicht still, aber da ich so fokussiert auf sie und ihre Antwort war, wurden meine Hände kalt und angestrengt überlegte ich, ob sie mich vielleicht überhört hatte.
Gerade als ich dachte, dass sie niemals antworten würde, senkte sie ihren Blick und sprach:„Pearl. Mein Name ist Pearl."
Ihre Stimme war atemberaubend. So rau wie Wellen, welche an den Küsten zerschellten.
Ich hätte vielleicht ein Lächeln erwartet, aber sie blieb kalt, emotionslos.
Und selbst in ihren großen Augen konnte ich nichts lesen. Es war, als würde man versuchen eine Tür mit einem Schlüssel zu öffnen, welcher zwar in das Schloss passte, aber sich nicht drehen ließ.
Das Lied wechselte. Die Flöten spielten langsamer, die Saiten der Instrumente wurden zaghafter gezogen, als würde jeder Ton alleine stehen und jeder einzelne seine eigene Sehnsucht preis geben wollen.
„Wollen Sie tanzen?"
Sie blieb stumm. Aber da ich sie nicht einfach kampflos aufgeben wollte, nahm ich ihre Hand in meine und lächelte sie an:„Bitte, nur einen Tanz."
Und so geschah es. Sie wirkte sogar beinahe erleichtert, als ich sie auf die glatte Tanzfläche leitete. Woran das lag, konnte ich mir nicht erklären. War sie einsam gewesen, oder bloß zu schüchtern?
Denn gut tanzen konnte sie. Ihre zarten Füße schwebten fast, ja jeder ihrer Schritte schien vorausgeplant und präzise gewählt. Ihre Haut glänzte wie Perlmutt, als sie sich im goldenen Licht der Kronleuchter drehte.
Und wenn ich mich nicht täuschte, dann sah ich, oder glaubte zu sehen, dass sie leicht lächelte. Mit der Zeit wirkte sie unsicherer, sah aus dem Fenster oder haderte, den nächsten Schritt zu gehen. Dabei kannte sie diesen Tanz, das hatte sie gezeigt...

Zabat
Bedeutung: "Bewohners durch das seichte Wasser"-> aus dem griechisches Wort Zabatos übernommen.

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