28.

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Es war der Zeitpunkt gekommen.
Mein Hals schmeckte nach Eisen und mein Nacken war steif. Ich hatte nicht geschlafen heute Nacht und mein Vater mich deshalb geschlagen. Man sah mir meine Müdigkeit an und meine Schwermut. Besonders als ich sah wie die beiden Frauen aus der Kutsche stiegen und mein Vater beide unter strahlender Sonne empfing. Ich konnte nur meine Augen schließen und auf das Wunder hoffen, welches ich Pearl nannte.
Ich konnte das starke Parfum riechen, als die opulente Frau über die Schwelle trat. Ihr Haar war streng nach oben gebunden und kunstvoll geschmückt und toupiert. Sie trug ein wallendes Kleid, welches hinten beinahe auf dem Boden schliff, vorn war es hoch geschnitten und ließ den Blick auf ihre Schuhe werfen. Mit den vielen Schleifen und bunten Farben hätte sie die Aufmerksamkeit unseres ganzen Dorfes auf sich ziehen können.
Ich beugte mich leicht herab und hieß sie willkommen. Dann hob ich den Blick wieder und sah in die hellen braunen Augen ihrer Tochter. Sie war schön, keine Frage. So wie sie dort stand auf zierlichen Beinen und in teueren Stoff gehüllt wie ihre Mutter. Die Haare lockerer getragen wie ein Nest auf dem Kopf mit Perlen geschmückt. Ihre Lippen waren rund und füllig. Die Wangen rosig und die Flecken auf ihrer Nase beinahe schon niedlich anzusehen. Der starke Geruch von Lilien der von ihr ausging waberte um mich und ich wusste nicht so recht ob ich kühl reagieren oder doch an den Floskeln festhalten sollte. Also schwieg ich und beobachtete wie sie einen Knicks machte und leicht lächelte.
Gott, das würde unangenehm werden. Besonders weil ich noch eine weitere Frau zu Tisch geladen hatte.
Den Gesprächen meiner Eltern lauschte ich nicht und sah nur flehend zur Tür. Ich erwartete das Klopfen und beinahe wäre die alltägliche Panik in mir ausgebrochen so angestrengt wie ich auf die schwere Tür starrte.
Der harsche Ton meines Vaters zog mich jedoch aus meinem träumerischen Loch und ich zeigte der jungen Frau (wie mir von meinem Vater befohlen) ihr Zimmer für die Nacht. Zum Ausruhen, hatte mein Vater gesagt, nach dieser langen Reise.
„Sie haben noch kein Wort mit mir gewechselt," sagte sie und riss mich aus meinen Gedanken.
„Sind Sie schüchtern?"
Ich zog eine Augenbraue hoch, dann sagte ich monoton:„Nein. Mir fallen nur keine passenden Worte ein."
Sie lächelte, drehte sich in der Tür um und sagte:„Tut mir leid wenn ich Sie in die Enge trieb. Ich werde mich nun etwas ausruhen. Danke."
Eine liebe Frau war sie. Nur war sie viel zu untertänig. Kannte sie ihre Ehre nicht? Ihre Macht? Sie war doch nicht minder als wir... oder dachte sie so darüber, weil sie weiblichen Geschlechts war? Würde ich mein Herz nicht schon vergeben haben, dann hätte ich sie vielleicht mögen können. Ich hätte ihr helfen können. Aber so wie mein Innerstes nach dieser anderen Frau schrie, so wenig konnte ich ihr helfen.

Verdammte Zeit die so schnell rannte.
Pearl... ich brauchte sie nun. Denn das Essen zu dem ich sie lud würde nun beginnen.
All meine Gedanken waren daran gebunden und ich rief sie innerlich so laut ich konnte.
Gerade als wir uns gesetzt hatten klopfte es.
Meine Gebete wurden erhört!
Ich sprang auf und Signora Rossi fragte:„Erwartet ihr Gäste?"
Ich nickte und lief zur Tür. Der Gast grunzte bloß und fragte meinen Vater nach den Umständen.
Mein Vater kochte vor Wut. Aber hier konnte er nicht schreien.
Ich öffnete die Tür und sofort wich ich einen Schritt zurück. Vor mir stand das schönste Wesen, dass ich jemals gesehen hatte.
Die junge Frau trug ein helles Kleid. Die Ärmel waren kurz und eng und an ihren Ellebogen mit Rüschen verziert. Ihr Dekolleté war von Spitze und feinstem Stoff umrundet und helle Verzierungen schlängelten sich herunter an dem langen Stoff, der an ihrem Rücken bauschig verlief. Das Kleid meiner Mutter passte ihr perfekt und mit Schmuck und zierlichen Schuhen raubte sie sogar meinem Vater die Worte.
So stand sie in unserem Flur und ihre welligen Haare waren zu einem zeitgemäßen Knoten im Nacken gebunden. Vorne schauten zwei Strähnen heraus. Sie lächelte vornehm, machte einen Knicks und ich lud sie zum Essen. Sie ging ins Esszimmer, wo die Tür weit offen stand und setzte sich.
Ich folgte ihr und konnte meine Augen nicht von ihr nehmen.
Ich lächelte breit und meine Mutter nickte mir zustimmend zu.
Flöten und hellste Klänge schienen diese Frau zu umschmeicheln und sie begrüßte unsere beiden Gäste mit vornehmsten Worten. Warum sie hier war, war dennoch nicht klar und mein Vater war ruhiger als an jedem anderen Tag.
Es war als spielte Pearl eine Rolle, denn von der freiheitsliebenden und direkt sprechenden Frau war nichts mehr zu sehen.
Aber Signora Rossi wirkte so wenig erfreut wie ein Apfel der langsam am Boden faulte und von Würmern zerfressen wurde.
Ihre Tochter war eingeschüchtert und knabberte an ihren Nägeln.
Das war das unfreundlichste was ich jemals getan hatte und doch fühlte ich mich fantastisch.
Mein Vater hasste mich, bis sich etwas drastisch änderte.
Ohne Floskeln und Freundlichkeit schlug Signora Rossi ihre Gabel auf den Tisch und leckte sich über die Zähne. „Was ist dieser Fraß? Wir sind besseres gewöhnt und das nennt ihr Gastfreundlichkeit?! Wir wollten eine Heirat besprechen aber...—Ach ja von einem geistig Kranken hätten wir vielleicht lieber gar nichts erwarten sollen. Ich werde meine Tochter doch nicht in eure schlampige Familie geben wenn euer Sohn nichtmal geistig anwesend ist!"
Mein Vater sprang auf und schlug mit der Faust auf den Tisch.
Ich zuckte so heftig zusammen dass ich zu zittern begann und Pearl mich ängstlich zu beruhigen versuchte.
„Woher wisst ihr um die Krankheit meines Sohnes?"
„Stellt man keine Forschungen an, wenn man die Tochter verheiraten will? Geld klärt einiges."
„Dazu fehlt euch jegliches Recht!" sagte er mit donnernder Stimme.
„Verlasst mein Haus!"
Signora Rossi lachte höhnisch und stand auf.
„Ich muss nun auch geschäftliches klären. Auf Wiedersehen."
Ihre Tochter hoppelte wie ein Häschen hinter ihr her, verbeugte sich kurz vor uns und rannte dann hinaus.
„Ohne sich für das Essen zu bedanken," sagte meine Mutter und ich zitterte noch immer aber nicht mehr ganz so heftig. Pearl stand auf, beugte sich herab und sagte kalt:„Dies war womöglich meine Schuld. Ich bitte um Verzeihung."
„Durch Dich wurden unsere Augen geöffnet. In unserer Familie wollen wir niemanden der die Schwächen der anderen benutzt. Er ist schließlich unser Sohn. Sorge dich nicht," sagte meine Mutter und tätscheltet ihren Kopf.
„Bewahre Gott uns vor den Gerüchten!" Sagte mein Vater und ging aus dem Zimmer.
Meine Mutter folgte ihm und ich hörte meinen Vater nur rufen:„Los! Geht ihnen nach, bittet um Verzeihung und gebt ihnen Geld zur Besänftigung!..."
Ich schaute zu Pearl und lächelte.
„Gern geschehen," sagte sie und ich lachte.
Alles war perfekt... dachte ich.

Sirens___Ein tödlicher KussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt