54.

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Deine Geheimnisse werden Dich eines Tages verraten.

Tonino hatte seinen Kopf in meinen Schoß gebettet und schlief.
Ich las ein Buch.
Genau so hatten wir unsere ganze Kindheit und Jugend verbracht. Zusammen in der Stadt Leute ärgernd, oder einfach unter einem Baum entspannend.
Genau in dem Moment öffnete er die Augen.
„Du siehst müde aus," stellte er fest und nahm mir das Buch aus der Hand.
„Sollen wir tauschen?"
Er kniete sich hin, lehnte sich an die Baumrinde und tippte auf seinen Schoß.
Ohne Wiederrede tat ich das dann auch. Ich legte mich ganz einfach zu ihm und schloss die Augen.
„Hast du nicht geschlafen?"
„Nein nicht wirklich."
„Für wie lange?"
„Die ganze letzte Woche. Aber mir geht es ganz gut."
„Sehe ich."
„Ach sei ruhig."
Seine rauen Finger spielten mit meinen Haaren herum.
„Momentan wirkt alles viel dunkler. Ich mache mir Sorgen um dich."
„Brauchst du nicht."
„Ich sehe wie es dir geht, Zenon. Willst du nicht doch lieber zum Arzt, wie deine Eltern es dir vorschlugen? Bitte mach das doch."
„Ich hasse Ärzte. Letztes Mal wurde es schlimmer."
„Mir haben sie immer geholfen."
„Weil du wirkliche Probleme hattest—"
„Du blutest."
Ich setzte mich Kerzengrade hin und legte den Kopf in den Nacken.
„Verdammt!"
Tonino fischte ein Tuch aus seiner Tasche und hielt der groben Stoff unter meine Nase, der nach kürzester Zeit völlig durchweicht war.
„Das ist nicht normal Zenon! Das ist verdammt viel Blut," es klang wie eine Feststellung.
„Da hast du recht."

Wenn ich bei Sinnen gewesen wäre und mich aus diesem Traum hätte befreien können, dann hätte ich ihn womöglich retten können.
Womöglich hätten meine Taten keinen großen Einfluss gehabt aber sie hätten mir das Gefühl gegeben nicht nutzlos daneben zu stehen und zu weinen wie ein Kind.
Denn ich konnte es sehen und ich wusste dass es meine Schuld war. Es war meine Sünde.
Es geschah genau an jenem Abend, an dem ich Tonino verabschiedet hatte und früh ins Bett gegangen war.

Ich schlief und schwebte inmitten Nebelschwaden von dunkelstem Schwarz. Das Wasser unter mir brauste ruhig in melodischen Klängen.
Angst jedoch setzte sich in meinen Knochen fest. In der Ferne flimmerte zartes Licht.
Aber ich konnte mich nicht darauf zubewegen. Ich konnte kein einziges Glied rühren. Tränen bahnten sich ihren Weg über meine Wangen und versanken wie Perlen in der Tiefe.
Um mich herum verließen mich alle Seelen, die ich so sehr liebte. Helle Lichter flogen hin zum Licht und verschwanden. Nur ich konnte nicht mit ihnen ziehen. Ich stand alleine im Dunkeln. Ich stand dort und sank tief in meinen Schmerz.
Eingerollt wartete ich.
Es war sicher besser alleine zu sinken, richtig?
Es war sicher besser, hier zu warten...
„Zenon. Hilf mir!"
Ich schaute hinauf und sah Tonino.
Er kniete vor mir und zitterte am Ganzen Leibe. Wieso war er hier? Er war nicht wie ich... er war Gut! Ich griff nach seiner eiskalten Hand und zog den bebenden Körper zu mir.
Dort in meinen Armen lag er nun und zitterte wie Espenlaub.
Alle Kälte schien aus ihm gewichen und seine Augen bewegten sich unter den Lidern hektisch hin und her.
„Wieso bist du hier?"
„Ich habe sie singen gehört, Zenon."
„Nein. Nein. Nein. Nein. Nein..."murmelte ich und wippte, ihn an mich gedrückt, leicht vor und zurück.
„Es wird alles gut," flüsterte er und lächelte schwach.
„Bist du ihnen gefolgt?" Fragte ich und schloß die Augen.
Er nickte leicht und sah mich aus tiefen Augen an:„Es war das Schönste, was ich jemals sah. Aber sie nahmen mich nicht mit sich, so sehr ich auch bettelte. Ich war am Ende ganz alleine."
Sein Blick wurde scharf.
„Du bist schuld! DU BIST SCHULD!"
Er drehte sich, saß nun auf mir und drückte seine Hände um meine Kehle. Ein hektisches Keuchen entfloh mir.
„Nur weil du mein Freund warst, nahmen sie mich nicht! Es war mein Wunsch! Ich gäbe meine Seele dem Teufel nur um mit ihnen zu gehen! Du bist schuld!"
Tränen rannen meine Wangen herab und mein Brustkorb hob sich unkontrolliert.
„Es tut mir leid... es tut mir leid..."
Als er seine Hände hob und ich wieder atmen konnte grinste er, lehnte sich nach vorn und murmelte in mein Ohr:„Du Sündiger. Du Egozentrischer. Glaubst du, du bist es wert? Niemals wird sie dich lieben. Niemals wird das Meer dir verzeihen. Also stirb alleine und zerbrochen wie Porzellan in hohen Flammen, die dich verschlingen! Sie sollen deinen Leib fressen und sich an deiner schwarzen Seele laben!"
Leicht küsste er meine Stirn:„Ich habe dich doch immer geliebt, mein Freund..." dann stand er auf und drehte sich. Seine leichenblasse Gestalt verschwand in der Dunkelheit. 

Ich schreckte hoch. Heiße Tränen klebten mit Blut und Schweiß an meiner Haut. Mein Herz pochte so laut, dass es wie eine Uhr in meinen Ohren widerhallte.
Ich glaubte nicht an reale Träume, aber dieser Traum raubte mir alles wovon ich glaubte, dass es noch real sei. Ich war erschüttert und man sah mir das an. Ich litt und meine Mutter, die im Türrahmen stand, merkte das.
Ich weinte bitterlich und konnte die mütterlichen Arme nicht abweisen, die mir zärtlich Wärme schenkten.
„Mein Junge. Woher weißt du es bereits?"
„Was weiß ich?"
Mein Herz stand in diesem Moment still.

Sirens___Ein tödlicher KussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt