In unsere Recherche vertieft merkte ich nicht, wie mir ein kleines Mädchen am Mantelsaum zupfte. Erst als sie:„Zenon!" Sagte und um die Treppe herum schlich fiel sie mir auf.
„Rosi!" Die kleine Schwester von Antonio.
Ihre riesigen grünen Augen glitzerten und ihr braunes Haar war in zwei Zöpfen geflochten.
Ich kam zu ihr herunter und kniete mich auf den Boden. Dann sprang sie auf und fiel mir in die Arme.
„Du warst lange nicht hier! Du musst öfter kommen," sie schob ihre Unterlippe nach vorne und sah mich gespielt enttäuscht an.
„Mn, werde ich," versprach ich ihr und lächelte. Rossella war ein freches Kind und bevor das ganze Dilemma mit dem Heiraten und der Krankheit anfing war ich viel öfter hier gewesen, um mit ihr zu spielen. Eigentlich war ich immer wegen Tonino gekommen aber Rosi hatte mich stets abgefangen.
„Kannst du mir etwas vorlesen?" Sie hielt mir ein kleines Buch hin auf dessen Einband stand:„ La leggenda dell'acqua viva"
„Die Legende des lebendigen Wassers also. Gut ein wenig Zeit werde ich hier aufbringen können."
„Rossella wir haben Wichtiges zu tun!" Sagte Tonino.
Sie hingegen kreuzte beide Arme übereinander und schaute ihn mit triumphierendem Blick an.
„Ist schon gut. Komm her Rosi."
Rossella kicherte und setze sich auf eine der großen Fenstersitze.
Ihr olivgrünes Kleid fiel wie eine Wiese auf den Kachelboden. Ich setze mich neben sie, tätschelte ihr den Kopf und schlug das Buch auf.
Tonino setze sich zu uns und während ich zu lesen begann schaute er aus dem Fenster.
„Die Legende des lebendigen Wassers.
Sie beginnt dort wo Märchen enden und wo wunderschöne Gestalten mit zarten Stimmen wie Feen auf Felsen im Meer sitzen. Jeden Morgen rufen sie die Sonne. Jeden Morgen lächeln sie mit roten Wangen in den roten Morgen.
Doch jede Nacht muss das Meer genährt werden. Jede Nacht muss es gefüttert werden, wie ein Kind, damit es weiter lebt und die Feen des Meeres Zuflucht in ihr finden. Denn das Meer ist weiblich. Es ist eine wunderschöne Frau, die voller Wehmut und Hunger leidet.
Jede Nacht ruft sie nach mehr und jede Nacht wird sie hungriger. Kein Mensch bekam ihre wahre Gestalt je zu Gesicht. Kein Mensch hat jemals das gottgleiche Wesen gesehen, welches Fischer ins Verderben lockt. Ihre Töchter werden von ihr genährt und genauso nähren sie diese hungrige Göttin.
Jede Nacht schickt sie ihre Töchter um sich satt zu essen an Körpern und Fleisch und jede Nacht bekommt sie eine neue Seele, die in ihrem tiefen Magen zur Ruhe kommt. Doch ewig sinkend und niemals schwebend.
Jede Nacht werden wir warten, bis auch wir in ihre Tiefe gerissen werden."
Ich hörte auf zu lesen und schaute zu Tonino.
Tonino sah nicht mehr aus dem Fenster, sondern schaute mich mit zusammengekniffenen Augen an.
„Das kann da nicht stehen. Das ist ein Kinderbuch."
Ich drehte es um und sah mir den Einband an.
„Doch, es ist ein Kinderbuch."
„Willst du mit für Blöd verkaufen?! Zeig mir das Buch!"
„Fein. Hier. Glaubst du ich erzähle irgendwas?"
Er las die erste Seite, die auch ich gelesen hatte und drehte das Buch auf den Kopf.
„Hä?"
„Danke," sagte ich und nahm das Buch wieder in meine Hände.
„Wieso liest du nicht weiter?" Fragte Rosi und ich merkte jetzt erst, dass ich vollkommen vergessen hatte, dass sie dort saß.
„Oh—"
„Ein andermal. Geh jetzt in dein Zimmer spielen. Wir müssen weiter machen," sagte Tonino an meiner statt.
Rosi pustete die Backen auf und verließ wütend das Zimmer:„Immer willst du ihn für dich alleine."
Ich biss mir auf die Lippe und als Rosi aus dem Zimmer war begann ich weiter zu blättern.
„Verrückt sind nur jene, die nicht merken, dass in jeder Geschichte tatsächlich Wahrheiten stecken. Man mag uns für Irre halten und wir auf ewig eingesperrt sein aber unsere Seelen gehören schon längst der See und unserer Göttin im Wasser."
„Ehm. Ja."
Tonino kratzte sich an der Nase und ich schlug das Buch wütend zu.
„Das hat uns jetzt nicht wirklich weiter gebracht. Und wenn du den Mörder bestrafen willst, musst du wohl eine Göttin töten." Er lachte bei meinen Worten und legte sein Kinn auf meine Schulter, um sich den Einband anzusehen.
„Aber wieso steht so viel Wahrheit in einem Kinderbuch?"
„Damit Kinder sich vom Meer fern halten denke ich. Als eine Art Moral."
„Aber so wie die Menschen sich der Göttin unterwarfen klingt das eher paradox."
„Kann schon sein," sagte ich.
„Ist ein Autor bekannt?" fragte er und ich schaute auf die erste Seite.
„Nein, aber ein Erscheinungsjahr. 1608."
„Das bringt uns noch weniger."
„Ich assoziiere alles was mir passiert ist damit."
„Wie?"
„Schon immer kam mir das Meer so hungrig vor. Als es meinen Bruder verschlang. Dann wie alles von Neuem begann, als ich Pearl an diesem Abend traf und weit aufs Meer ruderte. Wie alle diese Ereignisse zusammenhingen... das klingt irre."
„Hast du deine Medikamente genommen?"
„Ach sei ruhig," sagte ich und boxte ihm in die Seite. Er grinste nur und klappte das Buch zu, um es wieder an seinen Platz zu bringen.
„Manche Geschichten bleiben lieber Märchen."
Doch ich konnte es nicht vergessen. Noch weniger die eigenartige Tatsache, dass ich das Gefühl hatte, dass Pearl mich von irgendetwas abzulenken versucht hatte. Aber was?Bald ist es so weit *-*
LG JCsirens
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Sirens___Ein tödlicher Kuss
FantasíaWesen aus alten Legenden. Älter als manche Götter und reiner als die See. Weiser als Gelehrte und tödlicher als Schwerter. Verführerisch und eisig wie das Meer. Sirenen... -Informationen im ersten Kapitel - ^-^ Viel Spaß beim Lesen. LG JCsirens ...