...und schweben weiter, wie Staubkörner.

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Es war Toni.
Sanft schob er seinen Kopf ins Innere und grinste mich an. Dann trat er ein.
„Wilde Nacht?"
„Bitte was?" Ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Jedenfalls musste es so gewesen sein.
„Das war ein Versehen. Sie stolperte und ich fing sie auf. Es war ein Versehen!"
„Die Leute reden, Zenon."
„Das weiß ich."
„Dank mir aber nicht über deinen ungeschickten Fauxpas."
„Wie?" Ich verstand nicht.
„Nun, nachdem du den Saal so plötzlich verlassen, da habe ich die Situation ganz einfach erklärt. Nur wird sie jetzt als Mädchen mit schwachen Knöcheln gesehen und deine lang verschollene Liebe."
„Oh Gott, was hast du bitte erzählt? Sag nicht, dass meine Eltern sich so verhielten, weil sie glauben, ich wäre verliebt."
„Ja, doch schon. Es kommt dem sehr nahe."
Er schloss die Tür hinter sich und grinste breit.
„Ein Mädchen vom Land, welches neu in die Stadt kam und ihr kennt euch bereits einige Tage. Und so kamt ihr euch näher, aber weil ihr Vater es ihr nicht stattete auf den gestrigen Ball zu gehen, musste sie diesen hastig verlassen und du bist ihr gefolgt, damit es keine Missverständnisse gibt. Ganz einfach."
„Verdammt," ich legte meine Finger an die Schläfen.
Improvisation war seine große Leidenschaft.
Das merkte ich in jeder dieser Situationen. Nur dass sie mich dieses Mal vor Tratsch und Gerüchten bewahrte und mich gleichzeitig in eine tiefe Grube stieß. Ich musste jetzt sofort eine Frau finden!
„Tonino, lass es liegen!" Meine Stimme war viel zu harsch dafür, dass er sich bloß eine meiner dreizehn Zeichnungen ansah und eine Augenbraue hob.
„Immer das gleiche?" Fragte er und schaute auf meine sonst so verschiedenen Bilder.
„Ja, ein Traum."
„Dein Traum?"
„Letze Nacht. Ihr Name lautet Pearl. Sie behauptete heute morgen, sie habe mich aus dem Wasser gezogen, aber der Traum war real. Oder scheint es jedenfalls."
„Also keine wilde Nacht."
„Gott! Tonino!"
Ich schüttelte hastig den Kopf und nahm die Zeichnung an mich.
„Ein wilder Traum, denn die Frauen sind nackt."
Er zog das Blatt wieder zu sich.
„Hübsche Frauen."
„Nicht annähernd wie gestern Nacht."
„Ja. Bin der gleichen Meinung. Die Haare verdecken ja fast alles."
„Tonino! Gib mir das Bild!"
„Gut, gut."
Ich zog es schnell an mich und verstaute es mit dem Rest in der kleinen Schublade.
„Es war kein Traum, sicher nicht."

Ich konnte Pearl von weitem sehen.
Mein Herz schien beinahe aus meiner Brust zu fallen.
Immer schneller lief ich und dabei flatterten die weiten Ärmel meines Leinenhemdes im peitschenden Wind. Hinter ihr erstreckte sich der blaue Ozean und hohe Wellen sprenkelten den Pier in weißen Flöckchen. Ihr Blick war auf das Wasser gerichtet. Ich hatte nicht geplant sie zu treffen, aber das Schicksal meinte es gut mit mir.
Also lief ich auf sie zu und als sie sich umdrehte und ihre blonden Haaren um ihre dünne Gestalt flogen, da hätte ich ihren Namen vor Entzückung gerne gerufen. Aber ich blieb still. Als mich ihre gletscherblauen Augen sahen, da zogen sich ihre Lippen zu einem dünnen Lächeln. Gott...eine Nymphe!
Sie trug ein dunkelrotes Kleid und eine goldene Kette mit einer kleinen Perle daran. Es war nicht annähernd so prächtig, wie in jener Ballnacht, aber trotzdem war es prächtiger, als ich es mir hätte vorstellen können. Es saß einfach perfekt.
„Hallo Zenon."
Ihre raue Stimme war wie die Wellen, die uns mit kleinen weißen Sprenkeln besprühten.
„Auf wen warten Sie?" Fragte ich und lächelte sie an.
„Auf Sie."
„Ach wirklich? Aber was, wenn ich nicht hier gewesen wäre?"
Sie legte ihren Kopf schief und sagte:„Aber das sind sie doch."
Dann lachte sie kurz und sagte:„Ich sagte doch, wir sehen uns."
„Wollen wir einen Spaziergang am Strand machen?"
„Nicht am Strand."
Ihre Stimme wirkte kalt.
„Ich fürchte, was kommen könnte."
Ich verstand nicht, also bot ich ihr an, mit mir über die grünen Felder zu laufen, abseits des Meeres und umringt von saftig grünen Bäumen.
Langsam folgte sie mir und während wir liefen hob sie ihre Hände und flocht ihr langes Haar zu einem Zopf zusammen.
Dann tänzelte sie über die Wiesen und schaute hinaus in den blauen Himmel.
„Die Welt ist so schön, Zenon. Manchmal wünschte ich, sie öfters zu sehen. Wie jetzt!"
Wie erstaunt sie wirkte, als eine Grille auf ihrer Hand saß und zirpte. Ja, die Grillen rund um uns herum komponierten ihre Lieder und Gesänge, während sie ihre Arme hinunter streckte, um ein Schneckenhaus zu beobachten.
„So viele Muster," kicherte sie und schaute mich mit zusammengekniffenen Augen an. Sanfter Wind wehte um sie, als sie weiter lief und ich ihr jede ihrer Fragen beantworte. Bald wusste sie so vieles über mich, aber ihre Fragen endeten nicht und ich genoss es, mit ihr zu sprechen. Aber die Antworten auf meine Fragen waren meist nicht lang. Sie waren unschlüssig, beinahe ungenau.
„Ich muss gehen, Zenon. Sehen wir uns wieder?" Ihre Augen wurden kälter und der Fluss vor uns schien ihre ganze Aufmerksamkeit zu erlangen.
„Ich muss wirklich gehen."
Sie drehte sich und als ich ihr folgen wollte, drehte sie sich noch zu mir, lächelte sanft und sagte:„Bleib hier. Hier ist deine Welt."
Ich verstand nicht, so wie vieles von dem, was sie heute gesagt hatte. Ich verstand nicht, warum sie mir den Rücken kehrte. Warum ich meine Beine nicht bewegen konnte, als fürchtete ich, zu sterben. Warum ich Tränen in den Augen hatte, als ich sie nicht mehr sah. Warum ich ihre Stimme fürchtete und vermisste. Warum mein Herz zu zerbrechen drohte. Warum ich nicht anders konnte, als in die Knie zu fallen und auf die Tränen zu sehen, die in meine Handinnenflächen fielen.
Kalt und salzig.
Wie das Meer.

Tut mir leid, heute keine so spannende Seite. Ich hoffe es gefällt euch trotzdem.

Sirens___Ein tödlicher KussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt