Dave

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Auch als Sarah schon längst wieder auf die Tanzfläche zurückgekehrt war, saß ich noch immer unbewegt an meinem Platz. Natürlich hatte Sarah Recht. Die Beziehung zwischen mir und Liam als bloße Freundschaft zu bezeichnen, war eine Lüge. Allerdings wussten wir beide das durchaus. Und Liam hatte auch Recht: wir mussten es langsam angehen lassen. Sonst würde es zwischen uns niemals funktionieren, das hatten wir mehrmals erleben müssen. Und immerhin war ich diejenige, die immer wieder um mehr Zeit gebeten hatte. Trotzdem fielen mir im Moment deutlich mehr Gründe für eine richtige Beziehung mit Liam ein, als dagegen. 

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich jemand neben mich setzte. Zuerst dachte ich es sei Liam, doch dann schenkte ich der Person meine volle Aufmerksamkeit. Der Mann war meiner Einschätzung nach, in etwa so alt wie Liam, vielleicht auch etwas älter. Und er sah verdammt gut aus. Seine dunklen Haaren hingen ihm wirr ins Gesicht, was mit ziemlicher Sicherheit absolut beabsichtigt war. Sie waren jedoch nicht so lang, als dass sie seine Augen verdeckt hätten. Grüne Augen. Eine seltsame Kombination. Grüne Augen und fast schwarze Haare. Seltsam, aber attraktiv. 

Der Mann betrachtete mich genauso interessiert wie ich ihn. Nach ein paar Sekunden hob sich sein einer Mundwinkel und formte ein schiefes Lächeln. „Kennen wir uns?“, fragte er und sah mir dabei direkt in die Augen. Langsam schüttelte ich den Kopf. „Nicht, dass ich wüsste.“ Er wirkte erleichtert. „Sehr gut. Es hätte mich auch sehr beunruhigt, wenn ich mich an dich nicht erinnern könnte.“ Sobald er den Satz beendet hatte, spürte ich, wie mir die Röte ins Gesicht stieg. Typisch. „Oh, ich bin übrigens Dave.“ Er hielt mir seine Hand hin. „Mia.“, entgegnete ich, während ich seine Hand schüttelte. Mir fiel durchaus auf, dass er meine Hand etwas länger festhielt, als nötig. „Und wieso sitzt eine so wunderschöne Dame hier ganz allein?“ - „Weil ich hier nur genau zwei Personen kenne, von denen eine die Braut ist. Und meine… Begleitung ist grad nicht hier.“ Etwas ungehalten sah ich mich um. Wo war Liam? Und wieso ließ er mich so lange allein? Er wusste genau, dass ich hier niemanden kannte. Dave zuckte mit den Schultern. „Weg gegangen, Platz vergangen, würde ich sagen.“ Lächelnd nahm er einen Schluck aus seinem Glas. „Kann ich dir auch was zu trinken holen?“, fragte er, doch ich deutete auf das noch zur Hälfte gefüllte Sektglas vor mir. „Noch habe ich was, danke.“ Mit schief gelegtem Kopf sah Dave mich an. Es war alles andere als einfach, nicht komplett in seinen grünen Augen zu versinken. „Dein Akzent klingt nicht wirklich britisch.“, stellte er mit gerunzelter Stirn fest. „Könnte dran liegen, dass ich aus Deutschland komme.“ Sein Augenbrauen schossen in die Höhe. „Deutschland? Wow… Und du bist nur für die Hochzeit hergekommen?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich wohne seit ein paar Wochen in London.“, erklärte ich. Daves Gesicht hellte sich auf. „Ehrlich? Ich auch. Allerdings schon etwas länger als ein paar Wochen.“ Ich wollte etwas erwidern, doch jemand anders kam mir zuvor.

„David.“ Dave und ich drehten uns gleichzeitig um und sagten wir aus einem Mund: „Liam.“ Dieser würdigte mich keines Blickes. Stattdessen starrte er Dave mit einem Gesichtsausdruck an, den man nur als hasserfüllt beschrieben konnte. „Wie ich sehe, hast du meine Freundin kennengelernt.“ Dave warf mir einen überraschten Blick zu. „Deine Freundin? Redest du von Mia?“ - „Ja, ich rede von Mia.“, erwiderte Liam. Doch Dave sah noch immer mich an. „Du bist seine Freundin? Er ist deine Begleitung?“ Ich war zu perplex, um ihm zu antworten. Was zur Hölle passierte hier gerade? Verwirrt sah ich zwischen Liam und Dave hin und her. Beide erwiderten meinen Blick. Dave mit hochgezogenen Augenbrauen, Liam mit gerunzelter Stirn. Offensichtlich erwarteten die beiden eine Antwort von mir. „Ich… eh… ich denke ja.“, stammelte ich mit hochrotem Kopf. Liam wirkte augenblicklicher um einiges entspannter. Dave hingegen schien nicht mit dieser Antwortet gerechnet zu haben. „Hm.“, war alles was er erwiderte. Für eine Weile schwiegen wir alle drei. Dann ergriff Liam das Wort. „Mia, kommst du mal kurz mit?“ Seinem Tonfall war zu entnehmen, dass ich nicht wirklich eine Wahl hatte. „Klar.“, murmelte ich und stand auf. „Hat mir gefreut, dich kennenzulernen. Vielleicht bis später.“, sagte ich zu Dave, der lächelnd nickte. „Bis später, Mia.“ Liam griff nach meiner Hand und zog mich in Richtung Tanzfläche. Dann jedoch ging er geradewegs an all den tanzenden Paaren vorbei und auf den Ausgang zu. Erst als wir an der frischen Luft waren, ließ er meine Hand los. Er ging noch ein paar Schritte weiter, dann stieß er ein leises Fluchen aus und blieb mit den Rücken zu mir gedreht stehen. „Liam?“ Keine Reaktion. Seufzend trat ich näher zu ihm heran. „Seit wann bin ich deine Freundin?“ Für einen kurzen Moment herrschte Stille, dann drehte Liam sich langsam zu mir um. „Bist du nicht, ich weiß. Tut mir leid, ich hätte das nicht sagen dürfen. Aber der Kerl macht mich einfach so aggressiv, da konnte ich nicht klar denken.“ - „Was hat er dir getan?“, fragte ich neugierig und auch etwas besorgt. Auf mich hatte Dave einen ziemlich sympathischen Eindruck gemacht. „Was er mir getan hat?“ Liam schnaubte verächtlich. „Er ist ein verdammtes Arschloch, ganz einfach.“ - „Also ich finde ihn nett.“, murmelte ich schulterzuckend. Liams Augen verengten sich zu Schlitzen. „Natürlich. Natürlich findest du ihn nett. Jeder findet ihn nett. Weil niemand weiß, was für ein Idiot er wirklich ist.“ Kopfschüttelnd wandte sich ab und entfernte sich wieder ein paar Schritte von mir. „Dann sag mir, wie er wirklich ist!“ Liam drehte sich um, wich meinem Blick jedoch aus. Stattdessen sah er geradewegs an mir vorbei. „Er ist hinterhältig, arrogant und absolut erbärmlich.“ Seufzend schüttelte ich den Kopf. Auf diese Art und Weise würde ich niemals irgendetwas aus ihm heraus bekommen. „Woher kennt ihr euch?“, fragte ich. Liam sah mich mit gerunzelter Stirn an. „Aus der Schule.“, antwortete er schließlich. Na bitte. Das war doch schonmal ein Anfang. „Okay und wart ihr mal befreundet?“ Wieder schnaubte Liam. „David war mit jedem befreundet.“ Er ging zur Hauswand und lehnte sich mit geschlossenen Augen dagegen. Nach kurzem Zögern folgte ich ihm und lehnte mich seitlich neben ihn, sodass ich ihn ansehen konnte. „Was ist passiert?“, fragte ich leise. Liam öffnete seine Augen und starrte für eine Weile ins Leere. „Er hatte irgendein Problem mit mir. Und das hat er mich wissen lassen, so oft er konnte.“ - „Inwiefern?“ Wieder dauerte er einen Moment, bis er mir antwortete. „Die Geschichte von meinem sechszehnten Geburtstag kennst du, oder?“ Sofort nickte ich. „Der Geburtstag, zu dem niemand gekommen ist. Du hast mir damals im Flugzeug davon erzählt.“ - „Genau. Weißt du, ich hatte durchaus Freunde. Und die habe ich eingeladen. Ich habe ich echt auf diese Feier gefreut. Aber niemand ist gekommen. Erst ein paar Tage später habe ich den Grund dafür erfahren. David hielt es anscheinend für witzig, all meinen Gästen zu erzählen, dass ich unter irgendeiner widerlichen, ansteckenden Krankheit litt. Wie gesagt, er war bei allen beliebt und vermutlich haben ihm deshalb alle geglaubt. Und obwohl rein gar nichts an seiner Geschichte dran war, haben einige Leute danach einen weiten Bogen um mich gemacht.“ Kopfschüttelnd sah Liam zu Boden. „Und das war nur der Anfang. Immer wieder sind ihm irgendwelche Dinge eingefallen, um mich bloß zu stellen und fertig zu machen.“ Ich bezweifelte nicht, dass Liam mir die Wahrheit erzählte. Dennoch runzelte ich die Stirn. „Aber wieso ist er dann hier?“ Liam zuckte mit den Schultern. „Sarah ist anscheinend noch immer mit ihm befreundet. David kann sehr… charmant sein. Das ist dir ja offensichtlich nicht entgangen.“ Für ein paar Minuten kehrte Stille ein. Dann stieß ich mich von der Wand ab und stellte mich mit verschränkten Armen vor Liam. „Okay, er ist ein Arschloch. Na und?“ Liam sah mich komplett irritiert an. „Wie meinst du das?“ - „Komm schon, Liam! Weshalb regst du dich so sehr über ihn auf? Ich weiß ja nicht was er für ein Leben führt, aber ich kenne deins! Du bist einer der bekanntesten und erfolgreichsten Männer auf der Welt! Tausende Mädchen und Frauen liegen dir buchstäblich zu Füßen. Das muss Dave ziemlich ärgern… der hätte bestimmt nicht gedacht, dass aus dir einmal etwas wird. Also beachte ihn einfach nicht. Er ist deine Aufmerksamkeit nicht wert.“ Aus Liams Irritation wurde offensichtliche Faszination. Für einen Moment wirkte er stark beeindruckt von meinen Worten. Doch dann runzelte er die Stirn. „Und trotzdem hat er deine Aufmerksamkeit bekommen. Du hast selbst gesagt, dass du ihn nett findest.“ Fassungslos schüttelte ich den Kopf. „Liam… ich bin mit dir hier. Egal wie nett oder charmant Dave sich mir gegenüber verhalten hat, ich habe trotzdem keinerlei Interesse an ihm. Oder an irgendwem sonst, nebenbei angemerkt.“ Augenblicklich hoben sich Liams Mundwinkel. „Hast du Lust auf einen Spaziergang?“

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