Vertrauen

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Nach einem vorzüglichen gemeinsamen Frühstück verabschiedeten Sarah und Tom sich von all den Gästen, die noch immer hier waren. In nur wenigen Stunden würden die beiden für drei Wochen auf die Malediven fliegen, um dort ihr Flitterwochen zu verbringen. Obwohl ich beide erst seit diesem Wochenende kannte, hatte ich sie sofort ins Herz geschlossen. Besonders der Abschied von Sarah fiel mir überraschend schwer. Doch sie versicherte mir, dass sie mir sofort Bescheid sagen würde, wenn sie das nächste Mal nach London kam. 

Auch Dave war noch nicht abgereist, was Liams Laune sichtlich verschlechterte. Er selbst behauptete zwar, dass es an seinen Rückenschmerzen lag, doch ich sah die Blicke, die er Dave zuwarf. Und diese Blicke waren alles andere als freundlich. Auch Dave selbst schien mitzubekommen, dass Liam nicht gerade gut auf ihn zu sprechen war und ging uns beiden aus dem Weg. Noch immer verstand ich nicht ganz, weshalb Liam sich so sehr aufregte. Aber vermutlich lag das daran, dass ich nur einen Bruchteil von dem wusste, was damals zwischen den beiden vorgefallen war. 

Nachdem Sarah und Tom bereits gegangen waren, blieben wir alle noch eine Weile im Restaurant. Es war offensichtlich, dass Liam es genoss, mal wieder Zeit mit Freunden und Bekannten von früher zu verbringen. Einen Großteil der Zeit beobachtete ich ihn einfach nur, wobei ich mir ein Lächeln nicht verkneifen konnte. Als ich meinen Blick schließlich von ihm abwandte, fiel mir auf, dass Dave wiederum mich zu beobachten schien. Sobald er merkte, dass ich ihn ansah, erschien ein schiefes Lächeln auf seinem Gesicht. Ich runzelte die Stirn und senkte meinen Blick. Zu meiner eigenen Verärgerung fand ich ihn, trotz all der Dinge, die ich gestern über ihn erfahren hatte, noch immer ziemlich attraktiv. Er hatte einen gewissen Charme, eine gewisse Anziehungskraft, die ich mir nicht erklären konnte. Trotzdem wusste ich, was für eine Person sich unter dieser Fassade verbarg. Und das würde ich auch nicht vergessen. 

„Ich geh schnell unsere Koffer holen, dann können wir direkt los.“, schlug Liam vor, als wir einige Zeit später in der Lobby standen. Ich nickte zustimmend. „Soll ich dir helfen?“ Aber Liam schüttelte lächelnd den Kopf. „Das krieg ich schon hin, warte einfach hier.“ 

Während Liam zurück in unser Zimmer ging, sah ich mich seufzend in der Lobby um. Ich wollte diesen Ort nicht verlassen. Hier war alles so ruhig und friedlich, im Gegensatz zu London. Natürlich war ich noch immer wahnsinnig froh, London nun mein Zuhause nennen zu können, aber dieser Ort hatte etwas an sich, was ich nur ungerne zurückließ. Vielleicht konnte ich Liam überreden, eines Tages hierher zurückzukehren. 

„Mia, hey!“, riss mich auf einmal jemand aus meinen Gedanken. Überrascht drehte ich mich um. Und stand Dave direkt gegenüber. Ich ließ meinen Blick kurz durch den Raum wandern. Liam war noch nicht wieder zu sehen. „Was willst du?“, fragte ich mit scharfem Unterton. Dave hob die Augenbrauen. „Habe ich dir irgendetwas getan?“ Schnaubend schüttelte ich den Kopf. „Mir nicht.“ Für einen kurzen Moment wirkte er verwirrt. Dann schien ihm ein Licht aufzugehen. „Lass mich raten: Liam hat dir erzählt was für ein gemeiner Kerl ich bin.“ Ich entschied mich dazu, ihm nicht zu antworten. Stattdessen verschränkte ich nur meine Arme vor der Brust. Dave lachte und verdrehte die Augen. „Das ist wieder mal typisch Liam.“ Seine Absicht, mich neugierig zu machen, war unverkennbar. „Ich habe ihn gefragt weshalb er dich nicht mag und er hat mir geantwortet. Wenn Fragen beantworten deiner Meinung nach ‚typisch Liam‘ ist, dann hast du wohl Recht.“, verteidigte ich Liam ohne zu zögern. Lachend schüttelte er den Kopf. „Wenn du mich fragen würdest, weshalb ich ihn nicht mag, könnte ich dir auch eine sehr ausführliche Antwort geben.“ Seufzend trat ich einen Schritt zurück. „Mir ist es echt egal, was ihr gegeneinander habt, lasst mich einfach da raus.“ Doch so leicht wurde ich ihn nicht los. „Alles klar. Ich wollte sowieso über etwas anderes mit dir reden.“ - „Und das wäre?“, fragte ich, mittlerweile etwas genervt. „Du hast gestern erzählt, dass du erst seit kurzer Zeit in London lebst, richtig?“ Misstrauisch nickte ich. Worauf wollte er hinaus? „Solltest du irgendwann mal Probleme haben, dich irgendwo zurecht zu finden, oder wenn du einfach ein bisschen Insider-Wissen und Geheimtipps erfahren willst, melde dich einfach bei mir.“, sagte Dave und hielt mir einen zusammengefalteten Zettel hin. Als ich ihn nur mit hochgezogenen Augenbrauen ansah, lachte er erneut. „Komm schon, der Zettel ist nicht vergiftet.“ Ich verdrehte die Augen und griff nach dem Zettel, mit der festen Absicht, ihn bei der nächsten Gelegenheit zu verbrennen. 

„Willst du mich verarschen?“ Dave fuhr sichtlich erschrocken herum. Direkt hinter ihm stand Liam und starrte ihn hasserfüllt an. Grinsend hob Dave die Hände und trat ein paar Schritte zurück. „Entspann dich, Liam.“ Aber Liam sah nicht so aus, als wolle er sich entspannen. „Weshalb genau hast du meiner Freundin gerade deine Nummer gegeben? Und versuch gar nicht erst mir zu erzählen, dass etwas anderes auf dem Zettel steht.“ Das Grinsen auf Daves Gesicht wurde noch breiter. „Witzig, dass du das fragst. Ich habe nämlich erst vor ein paar Stunden mit Sarah geredet. Und sie hat mir hoch und heilig versichert, dass Mia nicht deine Freundin ist.“ - „Da ist Sarah nicht ganz auf dem aktuellen Stand.“, erwiderte ich, noch bevor Liam den Mund öffnen konnte. Daves Grinsen verschwand augenblicklich. „Na dann…“, murmelte er und trat noch ein paar Schritte zurück. „Melde dich, Mia.“ Ohne eine Antwort von mir abzuwarten, drehte er sich um und ging in Richtung Treppenhaus. „Idiot.“, murmelte Liam und ging schnurstracks an mir vorbei zum Ausgang. Ich folgte ihm zum Wagen und wartete, während er unsere Taschen im Kofferraum unterbrachte. Mit gerunzelter Stirn zeigte er auf den Zettel, den ich noch immer in der Hand hielt. „Willst du das nicht wegwerfen?“ Ich hielt seinen unfreundlich Ton mir gegenüber für ziemlich unangebracht, ging jedoch nicht weiter darauf ein. Stattdessen zuckte ich mit den Schultern und antwortete wahrheitsgemäß: „Eigentlich wollte ich es verbrennen. Aber im Müll ist es bestimmt auch ganz gut aufgehoben.“ Ohne den Zettel überhaupt einmal auseinander gefaltet zu haben, warf ich ihn in den nahestehenden Mülleimer und kehrte dann zum Auto zurück. Liam saß bereits hinter dem Steuer. Noch immer wirkte er alles andere als gut gelaunt. 

Dementsprechend still vergingen die ersten Minuten unseres Rückweges. Bis mir das ganze zu blöd wurde. „Okay, halt an.“ Liam warf mir einen irritierten Blick zu. „Was?“ - „Du sollst anhalten. Sofort.“ Mein Tonfall war schärfer als beabsichtigt, doch vielleicht war es genau das, was Liam dazu brachte, tatsächlich das Tempo zu verlangsamen und schließlich am Straßenrand stehen zu bleiben. „Was ist los? Ist dir schlecht?“ Verärgert schüttelte ich den Kopf. „Nein, mir ist nicht schlecht. Aber dein Verhalten ist in der Tat zum Kotzen.“ Liam sah mich komplett geschockt an. „Wie bitte?“ - „Nur weil du ein Problem mit Dave hast, heißt das noch lange nicht, dass du deinen Ärger an mir auslassen kannst. Das nervt. Ich habe ihn nicht gebeten, mir seine Nummer zu geben. Ich habe dich sogar verteidigt. Aber hey, gib mir ruhig weiter die Schuld, kein Ding.“ Stöhnend vergrub Liam sein Gesicht in seinen Händen. Dann sah er mich kopfschüttelnd an. „Ich gebe dir nicht die Schuld, Mia. Wie kommst du darauf?“ - „So behandelst du mich aber! Gestern Abend und jetzt schon wieder. Jedes Mal wenn ich mit ihm rede, bist du danach sauer auf mich.“ Liam schloss die Augen. „Ich bin nicht sauer. Aber ich weiß wozu er fähig ist. Wenn er es will, kriegt er jedes Mädchen irgendwie rum.“ So langsam verlor ich die Geduld. „Dein verdammter Ernst? Wie oft sollen wir dieses Gespräch noch haben? Hast du überhaupt kein Vertrauen in mich, oder was?“ - „Doch! Aber ich kenne David! Ich weiß-“ - „Und du kennst mich!“, unterbrach ich ihn wütend. „Also hör bitte endlich auf mit diesem Schwachsinn. Sonst können wir das mit uns beiden sowieso gleich vergessen.“ 

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Vielen Dank für die ganzen Votes und die lieben Kommentare! :) Damit zaubert ihr mir wirklich jedes Mal ein Lächeln in Gesicht!

Don't let me go..Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt