Einfach

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Das Hotel war umringt von Natur. Felder, Wald, sogar ein paar kleine Hügel erhoben sich in der Ferne. Obwohl die Sonne schon hinter dem Horizont versunken war, hielt die von ihr gespendete Wärme noch immer an. Trotzdem war mein Kleid nicht das ideale Outfit für diese Temperatur. „Einen Spaziergang?“, fragte ich etwas zweifelnd. Aber Liam nickte energisch. „Ja, warum nicht? Noch ist es relativ warm und wir hätten ein bisschen Zeit für uns.“ Ich warf einen Blick zurück zum Gebäude. Die Vorstellung Zeit alleine mit Liam zu verbringen, war durchaus verlockender, als wieder nach drinnen zu gehen und weiter zu feiern. Also nickte ich. „Okay, lass uns einen Spaziergang machen.“ Grinsend setzte Liam sich in Bewegung. Ich folgte ihm, bis ich sah in welche Richtung er ging. Abrupt blieb ich stehen. Es dauerte ein paar Sekunden bis Liam dies bemerkte, doch dann drehte er sich mit fragendem Gesichtsausdruck zu mir um. „Was ist los?“ - „Da willst du rein?“, fragte ich und deutete auf den Wald, der vor uns lag. Liam zuckte mit den Schultern. „Klar.“ Ich sah ihn nur mit hochgezogenen Augenbrauen an und blieb stehen. „Aber da ist es dunkel. Und… gruselig.“, murmelte ich nach einer Weile. Lächelnd sah Liam zu Boden. Dann kam er auf mich zu. „So dunkel wird es schon nicht sein. Der Mond ist ziemlich hell.“ Er deutete kurz zum Himmel. „Und gruselig… Ich bin bei dir und ich beschütze dich. Versprochen.“ Ich seufzte und nickte. Vermutlich musste ich mir wirklich keinerlei Sorgen machen. Wie schon so oft an diesem Tag, griff Liam nach meiner Hand. Je näher wir dem Wald kamen, desto kleiner wurde der Abstand zwischen uns. Ich würde seine Hand definitiv erst wieder los lassen, wenn wir den Wald hinter uns gelassen hatten. Eine Zeit lang gingen wir schweigend nebeneinander her. Dabei musste ich feststellen, dass es wirklich nicht so dunkel war, wie angenommen. „Du hast vorhin von deinem sechstzehnten Geburtstag gesprochen…“, sagte ich schließlich. Liam nickte nach kurzem Zögern. „Ja, aber ehrlich gesagt hab ich nicht so große Lust, das Thema zu vertiefen.“ - „Hatte ich nicht vor.“, beruhigte ich ihn sofort. „Aber du wirst in zwei Tagen 21. Und bis jetzt habe ich noch keine Einladung in meinem Briefkasten gefunden.“ Ich sah Liam von der Seite an. Er runzelte die Stirn und entgegnete: „Ich wusste nicht, ob du kommen wollen würdest.“ Lächelnd verdrehte ich die Augen. „Also feierst du.“, stellte ich fest. „Erst am Freitag. Ich geh nur mit den Jungs und ein paar anderen Leuten feiern, nichts besonderes.“ - „Und Montag hast du gar nichts geplant?“, fragte ich überrascht. Liam schüttelte den Kopf. Dann schien ihm ein Gedanke zu kommen. „Ich weiß, du musst zur Uni… aber wenn du magst, kannst du trotzdem gerne abends vorbeikommen. Ich würde mich freuen.“ Ohne Vorwarnung ließ er meine Hand los und ging zu einer Ansammlungen von felsähnlichen Steinen am Wegesrand. Mit scheinbarer Leichtigkeit kletterte er hinauf und klopfte dann auf den freien Platz neben sich. Ich hob meine Augenbrauen und verschränkte meine Arme vor der Brust. „Liam. Anscheinend ist dir das noch nicht aufgefallen, aber ich trage hohe Schuhe und ein ziemlich kurzes Kleid. Wie genau soll ich da hoch kommen?“ - „Oh.“ Er runzelte die Stirn. Dann erschien ein Grinsen auf seinem Gesicht. „Zieh die Schuhe aus.“ Für einen kurzen Moment zögerte ich. Aber mir fiel kein Argument ein, das dagegen hätte sprechen können. Also zog ich meine Schuhe aus und griff nach der Hand, die Liam mir hinhielt. Wenige Sekunden später saß ich barfuß neben ihm auf dem Stein. Dort musste ich feststellen, dass er in Wahrheit um einiges kleiner war, als er von unten ausgesehen hatte. Dementsprechend eng saßen Liam und ich nebeneinander. Nicht, dass mich das gestört hätte. Sobald ich meinen Kopf an Liams Schulter lehnte, legte er einen Arm um mich. „Warum ist heute alles so… einfach?“, fragte er nach einer Weile. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Seufzend schloss ich die Augen. „Ich weiß es nicht. Aber es gefällt mir.“ - „Und mir erst.“ 

Lange Zeit saßen wir einfach nur schweigend nebeneinander. Es war eine angenehme Stille, die nur ab und zu durch die leisen Rufe eines Kuckucks unterbrochen wurde. Doch je mehr Zeit verging, desto kälter wurde es auch. Offensichtlich fiel Liam die Gänsehaut auf, die sich auf meinen Armen bildete, denn er zog sein Jackett aus und half stattdessen mir hinein. „Danke.“, murmelte ich und spürte sofort, wie mein Körper sich wieder aufwärmte. Hinzu kam der absolut verführerische Duft des Jacketts. „Habe ich dir eigentlich schonmal gesagt, wie froh ich bin, dass du nach London gezogen bist?“ Überrascht hob ich den Kopf. „Nein, ich glaube nicht.“ Liam lächelte, wich meinem Blick jedoch aus. „Nach unserem Gespräch in Düsseldorf hätte ich damit echt nicht gerechnet.“ - „Ich habe es nicht wegen dir getan.“, sagte ich leise, woraufhin Liam nickte. „Ich weiß. Aber es ist trotzdem schön zu wissen, dass du in meiner Nähe bist.“ Kleine Gesten wie diese waren genug, um meinen Herzschlag augenblicklich zu beschleunigen. „Wann fängt eure nächste Tour eigentlich an?“ Ich versuchte, die Frage so neutral wie möglich klingen zu lassen. Doch in Wahrheit betete ich, dass es bis dahin noch lange dauerte. „Erst im Februar.“ - „Und bis dahin bist du in London?“, fragte ich überrascht. Damit hatte ich nicht wirklich gerechnet. Liam zuckte mit den Schultern. „Mehr oder weniger. Wir haben einige Fernsehauftritte und andere Pressetermine, für die wir in verschiedene Länder fliegen müssen, aber nie länger als ein paar Tage.“ Innerlich jubilierte ich. Februar war noch weit entfernt. Sehr weit. „Ich glaube wir sollten uns so langsam auf den Rückweg zum Hotel machen.“, schlug Liam vor. „Es wird so langsam echt kalt.“ Etwas enttäuscht nickte ich. „Sobald ich hier irgendwie wieder runter komme, können wir uns auf den Weg machen.“, sagte ich und sah zweifelnd zu Boden. Dieser Stein war wirklich ziemlich hoch. Liam lachte, stand auf und sprang mit Leichtigkeit hinunter. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich ihn an. „Ich helfe dir.“, beruhigte er mich, als er meinen erschrockenen Gesichtsausdruck sah. Vorsichtig hockte ich mich auf den Stein. Liam streckte seine Arme aus und schenkte mir ein zuversichtliches Lächeln. Langsam bewegte ich mich auf den steilen Rand des Steines zu. Dann legte ich meine Hände auf Liams Schultern, während er mich an der Taille festhielt und mir so vom Stein half. Nur eine Sekunde später, hatte ich wieder feuchten Waldboden unter meinen Füßen. Und noch immer lagen Liams Hände an meiner Taille. Langsam hob ich meinen Kopf, nur um festzustellen, dass Liam mich bereits ansah. Mein Blick wanderte zu seinen leicht geöffneten Lippen. Was sprach dagegen? Ich hatte mehr als genug Zeit ohne ihn verbracht. Wieso sollten wir jetzt noch mehr Zeit verschwenden? Er schien genau das gleiche zu denken. Sein Gesicht kam immer näher, bis es nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt war. Mit laut pochendem Herzen schloss ich meine Augen. 

Doch nichts passierte. Stattdessen hörte ich ein leises Seufzen. Ich öffnete meine Augen gerade rechtzeitig um zu sehen, wie Liam einen Schritt zurücktrat. Er sah mich nicht mehr an. „Wir sollten zurück gehen.“, sagte er leise und trat ohne ein weiteres Wort zurück auf den Waldweg. Enttäuscht griff ich nach meinen Schuhen und folgte ihm. Liam verringerte sein Tempo nicht, sodass ich die ganze Zeit über ein paar Schritte hinter ihm ging. Irgendwann merkte ich, wie er sogar noch schneller wurde. Es fiel mir schwer, überhaupt hinterher zu kommen. Dann blieb er auf einmal ohne Vorwarnung stehen, drehte sich um und kam auf mich zu. Bevor ich überhaupt realisieren konnte, was geschah, hatte er mein Gesicht schon in seine Hände genommen und presste seine Lippen mit unzubändigender Leidenschaft auf meine. 

Don't let me go..Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt