Briefe

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Die nächsten Wochen verliefen wechselhaft. Zum einen war ich froh, die Beziehung mit Liam nicht verstecken zu müssen. Zwar hieß das auch, dass mich immer wieder irgendwelche Passanten auf der Straße schräg ansahen oder mich sogar ansprachen, aber meist waren sie freundlich und ließen sich schnell abwimmeln. Etwas nervig waren die Fans der jüngeren Generation, die sich meist laut kichernd hinter dem nächsten Baum versteckten. Aber auch die konnte ich einigermaßen gut ausblenden.

Zu meiner Überraschung war es Liam, der mit der Situation überfordert schien. Egal wie oft ich ihm versicherte, dass ich mit dem starken öffentlichen Interesse zurecht kam, er wollte mir einfach nicht glauben. Oder zumindest nahm ich an, dass das der Grund für sein überfürsorgliches Verhalten war. Alles hatte mit dem ersten Wochenende begonnen, dass ich komplett bei ihm verbracht hatte. Seitdem ließ er mich buchstäblich kaum aus den Augen. Natürlich fühlte ich mich mehr als geschmeichelt, aber spätestens als er einen Chauffeur nur für mich alleine organisierte, wurde mir die Sache zu bunt.

„Liam, es macht mir wirklich nichts aus, mit der Bahn zu fahren." Wir hatten diese Diskussion nun bereits zum fünften Mal. Und noch immer ließ Liam sich nicht erweichen. „Ich weiß, dass es dir nichts ausmacht. Aber so ist es doch viel praktischer." Kopfschüttelnd holte ich eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank. „Nein, ist es nicht. Mit der Bahn komme ich immer pünktlich an mein Ziel, mit dem Auto stehe ich ständig im Stau. Außerdem ist das schlecht für die Umwelt." Liam erhob sich vom Küchentisch und kam zu mir. Mit hervor geschobener Unterlippe und großen Augen sah er mich an. „Bitte Mia. Tu es für mich. Die Bahnen sind immer so überfüllt, stell dir mal vor da bricht ein Feuer aus. Wie willst du dann da rauskommen? Außerdem wirst du im Auto nicht von Paparazzi belagert." Natürlich übertrieb er maßlos und ich war mir sicher, dass ihm selbst das auch bewusst war. Solange ich alleine unterwegs war, hielt sich das Interesse der Paparazzi ohnehin in Grenzen. Erst wenn Liam und ich im Doppelpack irgendwo auftauchten, erschienen sie wie aus dem Nichts. Aber Liams Hundeblick war ich machtlos ausgeliefert. Mit einem Mal waren all meine Gegenargumente wie weggewischt, als hätte sie jemand aus meinem Gehirn gelöscht. „Die Diskussion ist noch nicht beendet.", warnte ich Liam, in dessen Gesicht der Triumph, über den zeitweiligen Sieg, deutlich zu sehen war.

Dies war nicht die einzige Meinungsverschiedenheit, die Liam und ich hatten. Auch das Thema Zusammenziehen stand weiterhin im Raum. Er drängte mich nicht zu einer Entscheidung, was ich ihm äußerst hoch anrechnete, doch ich wusste, dass ich ihm eine Antwort schuldig war. Und zwar möglichst bald. Immer öfter verbrachte ich, auf Liams Vorschlag hin, ganze Wochenende bei ihm und es gefiel mir durchaus. Neben ihm einzuschlafen und gemeinsam zu frühstücken war definitiv etwas, woran ich mich gewöhnen könnte. Aber meine Sorgen wurden dadurch nicht weniger. Mein Problem war schlichtweg meine momentane Zufriedenheit. Endlich lief alles zwischen Liam und mir blendend, endlich war ich unbeschreiblich glücklich. Was wenn sich dieser Zustand verändern würde, sobald wir tatsächlich gemeinsam wohnten? Was wenn wir dadurch alles wieder zerstörten? Ich wollte mein Glück nicht aufs Spiel setzen, was vermutlich mehr als naiv war. Denn somit schloss ich die Möglichkeit aus, dieses Glück wachsen zu lassen.

Wenn ich mich unter der Woche abends mit Liam traf, bestand er darauf, mich von Zuhause abzuholen und mich auch wieder bis zur Wohnungstür zurück zu bringen. Je öfter er das tat, desto deutlicher wurde mir bewusst, dass das vermutlich alles zu seiner Taktik gehörte. Indem er mir zeigte, wie schwer ihm, und auch mir, der Abschied fiel, machte er mir die Idee eines gemeinsam Zuhauses immer schmackhafter. Dennoch dauerte es einige weitere Wochen, bis ich den Schritt ernsthaft in Betracht zog. Auslöser waren sonderbare Briefe, die ich anfangs nur sehr selten und dann plötzlich fast täglich erhielt. Dass ich Liam nichts davon erzählte, hatte mehrere Gründe. Zu Beginn hielt ich das Ganze schlicht und einfach für einen dämlichen Scherz. Erst als ich über zwanzig Exemplare im Briefkasten gefunden hatte, begann ich zu realisieren, dass es sich möglicherweise um ein nicht zu unterschätzendes Problem handelte. Gegenüber Liam erwähnte ich die Sache dennoch nicht. Ich wollte nicht, dass er sich Sorgen machte, was unweigerlich geschehen würde. Schon jetzt kannte seine Fürsorge keine Grenzen, da musste ich ihm nicht noch mehr Gründe geben, mich beschützen zu wollen. Letztendlich waren es eben doch nur Briefe. Wenn man die losen Zettel überhaupt als solche bezeichnen konnte. Sie erinnerten ein wenig an Erpresserbriefe, abgesehen davon, dass die Wörter nicht aus einzelnen Zeitungsüberschriften zusammengeklebt, sondern mit großen Druckbuchstaben geschrieben waren. Die Formulierungen variierten ständig, doch die Bedeutung blieb die gleiche: Halt dich von Liam fern.

Selbstverständlich dachte ich nicht im Traum daran, dieser Forderung nachzukommen, oder sie überhaupt ernst zu nehmen. Was mir Sorgen machte, war eher die Tatsache, dass die Verfasser der Briefe ganz genau wussten, wo ich wohnte. Vermutlich kursierte meine Adresse irgendwo im Internet, wo jeder der wollte sie herausfinden konnte. Damit war es nur noch eine Frage der Zeit, bis vereinzelte, recht dreiste Fans bei mir nach Liam suchen würden. Solange es nur mich betraf, wäre ich damit klar gekommen. Aber hier ging es auch um Alex' Ruhe und Privatsphäre. Ganz abgesehen von all den anderen Mietern in unserem Haus.

Obwohl mir die Umstände, die mich zu dieser Entscheidung trieben, ganz und gar nicht gefielen, wusste ich, dass ich handeln musste. Wenn ich Liam in Zukunft an meiner Seite haben wollte, musste ich dazu bereit sein, etwas für unsere Beziehung zu riskieren.

Wie erwartet, reagierte Liam auf meinen Entschluss mit unbändiger Freude. „Du hast keine Ahnung wie glücklich mich das macht. Wie glücklich du mich machst.", jubilierte er und zog mich in eine enge Umarmung, die mir bereits nach wenigen Sekunden das Atmen erschwerte. Sobald er mich losließ und ich das Strahlen in seinen Augen sah, wusste ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Zwar würde ich nicht ausziehen, bevor Alex einen Nachmieter gefunden hatte, aber ich war mir sicher, dass das nicht sehr lange dauern würde. Außerdem bestand ich darauf, wenigstens einen Teil der Strom- und Wasserkosten von Liams, und nun auch meinem, Haus zu übernehmen. Mich gegen seine Proteste durchzusetzen, war nicht einfach gewesen, aber es war mir tatsächlich gelungen.

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir bald zusammen wohnen.", murmelte Liam kopfschüttelnd, als wir am Abend auf dem Sofa saßen. „Das ist einfach zu schön, um wahr zu sein." Ich kuschelte mich an ihn, woraufhin er einen Arm um meine Schultern legte. „Jetzt musst du nur noch Leyla beibringen, dass sie dich von nun an mit mir teilen muss." Beim Klang ihres Namens hob Leyla, die zu Liams Füßen lag, kurz den Kopf und bellte. Doch sobald sie merkte, dass keine Leckerchen involviert waren, verlor sie das Interesse. „Oh ja, das wird nicht einfach.", stimmte Liam mir lachend zu. In diesem Moment kündigte mein Handy mit einem leisen Klingeln eine neue Nachricht an. Mit gerunzelter Stirn entsperrte ich den Bildschirm. Die Nummer war unterdrückt. Während meine Augen über den kurzen Text wanderten, beschleunigte mein Herzschlag sich rapide. Bevor Liam einen Blick auf mein Handy erhaschen konnte, löschte ich die Nachricht mit einem simplen Knopfdruck und legte das Handy wieder beiseite. „Etwas wichtiges?", fragte Liam neugierig, woraufhin ich schnell den Kopf schüttelte. „Nur Werbung vom Netzbetreiber." Liam anzulügen war um einiges schwerer, als die Wahrheit schlichtweg zu verschweigen. Aber ich brachte es einfach nicht über das Herz, seine gute Laune mit den Worten, die noch immer vor meinen mittlerweile geschlossenen Augenlidern tanzten, zu zerstören.

‚Verschwinde aus Liams Leben oder wir lassen dich verschwinden.' 

Don't let me go..Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt