Hin und Her

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„Ich kann wieder gehen, wenn du möchtest", schlug ich vor, als ich das Schweigen nicht mehr aushielt. Liam drehte seinen Kopf abrupt in meine Richtung. „Wieso sagst du das?"

„Naja, du scheinst dich nicht gerade über meine Anwesenheit zu freuen", erklärte ich und konnte nur hoffen, dass man mir nicht anmerkte, wie tief mich sein Verhalten traf.

Liam lachte laut auf, doch es klang eher spöttisch als erfreut. „Glaub mir Mia, es gibt keine Person auf diesem Planeten über deren Anwesenheit ich mich mehr freuen würde. Aber jetzt gerade bin ich einfach nur stinksauer." Während Liams erster Satz mein Herz zum Rasen brachte, versetzte mich der zweite Satz in leichte Panik. Ihm war durchaus anzusehen, dass er verärgert war, aber der Grund war mir nun nicht mehr ersichtlich. „Sauer auf... Harry? Oder auf mich?" Falls er dachte, dass ich mit Harry unter einer Decke steckte, musste ich das sofort klar stellen.

„Wieso sollte ich auf dich sauer sein?" Liam klang völlig entgeistert, was mich augenblicklich beruhigte. Anstatt ihm zu antworten stellte ich eine weitere Frage: „Also soll ich bleiben?"

„Die Frage ist doch eher: möchtest du bleiben?", entgegnete Liam, aber er ließ mir keine Möglichkeit, die Frage zu beantworten. „Ich kann einfach nicht fassen, dass er das gemacht hat", murmelte er kopfschüttelnd, ging um das Sofa herum und ließ sich in einigem Abstand zu mir darauf fallen.

„Du bist also sauer auf Harry, weil er uns hereingelegt hat?"

„Du nicht?"

Langsam schüttelte ich den Kopf.

„Wieso nicht?", fragte Liam, woraufhin ich mit den Schultern zuckte und einfach die Wahrheit sagte: „Ich kann mir schlimmeres vorstellen, als Zeit mit dir zu verbringen." Nun drehte Liam sich mit dem ganzen Körper in meine Richtung und holte tief Luft.

„Du denkst jetzt aber nicht, dass ich sauer auf Harry bin weil ich Zeit mit dir verbringen muss?" Er ließ die Frage so klingen, als hätte er noch nie etwas abwegigeres gehört. Doch sein bisheriges Verhalten deutete genau in diese Richtung.

„Weshalb denn sonst?", fragte ich mit ehrlicher Neugier. Liam vergrub sein Gesicht in den Händen und stöhnte laut auf. Dann ließ er die Hände wieder sinken und sah mir direkt in die Augen.

„Mia. Ich habe mich nicht von dir getrennt. Ich habe dir keinen Brief geschrieben, in dem steht, dass du mich bitte nicht kontaktieren sollst. Das warst du. Und ich habe deine Entscheidung respektiert und deine Bitte befolgt, von dem einen Anruf abgesehen. Harry nicht. Deshalb bin ich sauer. Er hat dich in diese Situation gebracht, gegen deinen Willen und das ist einfach nicht in Ordnung." Liam verstummte, wandte den Blick aber nicht von mir ab.

„Du bist sauer auf Harry, weil er mich in diese Situation gebracht hat?" Augenscheinlich hatte ich sein Verhalten komplett falsch gedeutet. Liam nickte und wiederholte: „Das ist nicht in Ordnung."

„Mich hat niemand gezwungen hierher zu kommen", sagte ich. „Wenn ich dir auf keinen Fall begegnen wollte, hätte ich Harry fragen können ob du zu seiner angeblichen Party kommst. Habe ich nicht. Ich bin das Risiko eingegangen. Um ehrlich zu sein..." Ich stockte, entschied mich dann aber doch dafür, alle Karten auf den Tisch zu legen. „Um ehrlich zu sein habe ich gehofft, dass du hier sein würdest."

„Du hast gehofft, dass ich hier sein würde?", wiederholte Liam, als wollte er sichergehen mich richtig verstanden zu haben. „Aber wieso... das macht keinen Sinn."

„Wieso hast du mich nicht angerufen?" Die Frage rutschte mir heraus, obwohl sie eigentlich nur für meine Gedanken bestimmt war. Liams Augenbrauen erreichten fast seinen Haaransatz, offenbar hatte ich ihn jetzt komplett verwirrt. „Wie bitte?"

„Du hast gesagt, du würdest auf mein Angebot zurück kommen", erklärte ich nun gezwungenermaßen und kam mir dabei unendlich albern und kindisch vor. „Aber du hast dich nicht mehr bei mir gemeldet."

„Ich..." Liam schienen die Worte ausgegangen zu sein. Er sah mich nur kopfschüttelnd an, sein Mund stand dabei leicht offen.

„Vergiss es", murmelte ich und wandte den Blick ab.

„Tut mir leid, Mia", sagte Liam. „Aber ich weiß gerade echt nicht, was du mir eigentlich sagen möchtest."

„Das ist das Problem. Ich weiß es selber auch nicht. Ja, ich habe gehofft dich wiederzusehen und ja, ich habe gehofft, dass du mich noch einmal anrufst. Aber ich kann nicht so tun, als sei nichts passiert. Wenn irgendwann wieder..." Ich ließ den Satz unbeendet und sah Liam hilflos an.

„Ich würde alles in meiner Macht stehende tun, um dich zu beschützen", sagte er und griff nach meiner Hand. Es war die erste Berührung seit einer langen Zeit und sie jagte ein Kribbeln durch meinen ganzen Körper.

„Ich habe keine Angst um mich. Ich möchte nicht, dass du dir ständig Sorgen um mich machen musst. Und sollte doch etwas passieren, würdest du dir Vorwürfe machen. Ich weiß nicht, ob ich das zulassen kann."

„Ich weiß. Ich habe deinen Brief gelesen", entgegnete Liam und ließ meine Hand wieder los.

Meine Augen begannen zu brennen und in meinem Hals formte sich ein spürbarer Kloß.

„Ich hätte nicht hierher kommen dürfen", sagte ich leise. „Dieses Hin und Her hast du nicht verdient." Ohne Liam anzusehen stand ich auf und ging in Richtung Haustür. Im Flur holte er mich ein und stellte sich mir in den Weg.

„Ich wollte dich anrufen. Jeden verdammten Tag. Ich wollte zu dir fahren, dich sehen. Aber ich dachte, du hättest nur aus Höflichkeit angeboten, dass ich mich bei dir melden kann. Ich wollte dir Zeit geben, Abstand. Sorgen werde ich mir immer aus irgendeinem Grund um dich machen, einfach weil du mir so verdammt viel bedeutest. Aber ich glaube nicht, dass dir von meinen Fans noch eine Gefahr droht. Der Livestream hat das Verhältnis zwischen denen und uns wirklich grundlegend verändert und wenn ich von Drohbriefen und ähnlichem rechtzeitig erfahre weiß ich, an wen ich mich wenden muss. Und was das viele Hin und Her angeht... davon haben wir beide schon einiges hinter uns und es ist mir echt egal wie viel noch auf uns zukommt. Hin und Her bedeutet, dass es trotz aller Probleme etwas gibt, wofür es sich zu kämpfen lohnt."

Während ich nach wie vor gegen die Tränen ankämpfte, fühlte es sich an, als würde mein Herz immer mehr anschwellen, etwas das physikalisch überhaupt nicht möglich war. Es war nicht in Worte zu fassen, wie sehr ich diesen Menschen liebte. Vermutlich immer lieben würde. Aber trotzdem wäre es unfair für uns beide, jetzt vorschnell zu handeln.

„Ich fliege nächste Woche nach Deutschland", sagte ich. „Eine gute Freundin feiert ihren Geburtstag und meine Familie habe ich auch schon länger nicht gesehen. Wenn ich wieder hier bin melde ich mich bei dir. Okay?"

Liam schien angestrengt nachzudenken, seine Stirn lag in Falten. „Und wenn ich nichts von dir höre?"

Ich musste den Blick abwenden, der Schmerz in Liams Stimme zerriss fast mein Herz.

„Dann bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass du etwas besseres verdient hast." 

Don't let me go..Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt