Party und Paketdienst

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Lange war es mir nicht mehr so schwer gefallen, das passende Outfit zu finden. Natürlich war es nicht die erste Party von Harry, zu der ich eingeladen war, dementsprechend wusste ich, dass so etwas wie ein Dresscode nicht existierte. Jeder trug was er wollte, ob Jogginghose, Jeans oder extravagantes Kleid. Aber heute war keine normale Party, heute war mein Wiedersehen mit Liam. Höchstwahrscheinlich. Ich durfte mich nicht zu sehr darauf einstellen, dann wäre die Enttäuschung zu groß. Natürlich hätte ich Harry auch einfach fragen können, aber ich wollte mir meine dämliche Vorfreude nicht anmerken lassen. Als ich mich endlich für ein Outfit entschieden hatte, wanderten meine Gedanken in eine ganz andere Richtung. Ja, ich freute mich Liam wieder zu sehen. Aber wie genau sollte ich mich ihm gegenüber verhalten? Als seien wir alte Freunde? Sollte ich abwarten bis er auf mich zukam oder selber die Initiative ergreifen? Um dann was genau zu sagen? Ich wusste ja selbst nicht einmal genau, was ich wollte, was ich fühlte. Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich mit meinem Verschwinden richtig gehandelt hatte. Aber diese Information würde Liam vermutlich nichts bringen. Unsere Beziehung hatte nur eine Chance, wenn wir beide zu 100 Prozent dahinter standen und momentan konnte ich das von keinem von uns mit Sicherheit behaupten.

Auch als ich mich bereits auf dem Weg zu Harrys Haus befand, war ich noch nicht weiter gekommen. Letztendlich hing alles von Liams Verhalten ab, sofern er anwesend sein würde. Von der Subway-Station zu Harry war es nur ein kurzer Fußweg, der sich an diesem Tag scheinbar endlos hinzog. Mit jedem Schritt wurde ich nervöser und fragte mich, ob es nicht doch klüger wäre, einfach umzudrehen. Doch dann stand ich bereits vor dem Tor und betätigte die Klingel. Ein Summer signalisierte mir kurz darauf, dass das Tor offen war. Auf dem Weg zur Haustür hielt ich den Blick auf meine Füße gerichtet, um nicht zu stolpern oder gar hinzufallen. Erst als ich direkt vor dem Haus stand fiel mir auf, wie still es war. Keine Musik war zu hören, kein Stimmengewirr. Eigentlich hatte ich extra darauf geachtet, nicht zu früh hier zu sein, aber offenbar war ich nicht die einzige mit diesem Plan gewesen.

„Du bist nicht der Paketdienst."

Ich erstarrte. Mit vielem hatte ich gerechnet, mir verschiedene Szenarien ausgemalt, aber dass Liam mir die Tür öffnen würde, darauf war ich nicht vorbereitet. Langsam hob ich den Kopf. Er stand im Türrahmen, die Arme vor der Brust verschränkt, die Stirn in Falten. Nachdenklich. Überrascht.

„Ich... nein", war alles, was ich hervor brachte. Liam machte keinerlei Anstalten zur Seite zu treten, weshalb ich einfach stehen blieb, anstatt mich der Tür weiter zu nähern.

„Was machst du hier?" Er klang so, als sei ich die letzte Person mit der er gerechnet hatte. Nicht ganz die von mir erhoffte Reaktion.

„Harry hat mich eingeladen."

„Harry ist nicht hier."

Nun war es an mir, überrascht zu schauen. „Harry ist nicht auf seiner eigenen Party?" Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Das schien Liam genauso zu sehen, der nun mit hochgezogenen Augenbrauen fragte: „Party? Was für eine Party?" So langsam begann ich zu verstehen. Harry hatte das hier eingefädelt, jede Wette.

„Es gibt keine Party, richtig?", fragte ich Liam, der sofort den Kopf schüttelte. „Wieso bist du dann hier? Und wo ist Harry?"

„Harry hat einen wichtigen Termin. Und ich soll ein Paket für ihn entgegen nehmen." Noch während Liam sprach, veränderte sich seine Mimik, als ginge ihm buchstäblich ein Licht auf. Dann stöhnte er, fuhr sich mit der Hand erst über sein Gesicht, dann durch die Haare. Er schloss kurz die Augen, bevor er endlich zur Seite trat. „Komm rein."

Nachdem ich an ihm vorbei ins Haus gegangen war, schloss Liam die Tür hinter mir und deutete in Richtung des Wohnzimmers. „Nach dir." Obwohl ich schon eine Weile nicht mehr hier gewesen war, sah alles noch so aus wie immer. Etwas unschlüssig blieb ich neben dem Sofa stehen, unsicher ob ich mich setzten oder stehen bleiben sollte.

„Möchtest du was trinken?", fragte Liam. Ich schüttelte den Kopf und bereute es sofort. Etwas in der Hand zu haben, wäre vielleicht eine gute Ablenkung gewesen. „Wasser, bitte", schob ich hinterher. Der Widerspruch zwischen meinem Kopfschütteln und meiner Aussage schien Liam kurz aus dem Konzept zu bringen, doch dann nickte er und verschwand in Richtung Küche. Während er weg war, entschied ich mich doch dazu, auf dem Sofa Platz zu nehmen. Was hatte Harry sich hierbei bloß gedacht?

Liam kam zurück und reichte mir mein Wasserglas. Bevor einer von uns etwas sagen konnte, klingelte plötzlich ein Telefon. Anstatt sich zu mir zu setzen, sah Liam sich kurz suchend im Raum um und ging dann zu einer Kommode. Er nahm das Telefon in die Hand und schaut auf das Display. Was er sah, ließ ihn die Augen verdrehen, aber er ging ran. „Kannst du mir mal erklären was-", begann er, bevor er von seinem Gesprächspartner offenbar unterbrochen wurde. „Ist sie", sagte er kurze Zeit später mit einem Seitenblick auf mich. Wieder herrschte Schweigen, in dem der Gesprächspartner zu sprechen schien, dann nahm Liam das Telefon vom Ohr, drückte eine Taste und kam zu mir. Zuerst dachte ich er hätte aufgelegt, aber er legte das Telefon neben mir auf das Sofa und stützte sich dann von hinter auf dessen Lehne.

„Hey Mia." Harrys Stimme drang aus dem Telefonhörer. Er klang ausgesprochen fröhlich.

„Hi Harry", entgegnete ich. „Coole Party."

Er lachte und aus dem Augenwinkel sah ich, wie auch Liam grinste. „Tut mir leid", sagte Harry. „Aber irgendwie musste ich dich zu mir nach Hause bekommen."

„Wieso?", fragte nun Liam, dessen Grinsen wieder verschwunden war.

„Damit ihr beiden miteinander redet, verdammt nochmal.", sagte Harry, ohne dabei weniger fröhlich zu klingen. „Ich kann nicht bis in alle Ewigkeit eure Eule sein."

„Eule?", fragten Liam und ich wie aus einem Munde, was Harry zum Lachen brachte. „Ja, Eule. Harry Potter, ihr wisst schon. Als er und Ron nicht miteinander geredet haben und Hermine – ach, ist ja auch egal. Fest steht, ihr müsste miteinander reden. Und weil keine von euch sich getraut hat, den ersten Schritt zu machen, hab ich das netterweise für euch übernommen."

„Ja wirklich, sehr nett", murmelte Liam und sah alles andere als erfreut aus.

„Bis später", rief Harry und bevor einer von uns etwas erwidern konnte, kam aus dem Telefonhörer nur noch ein stetiges Tuten. 

Don't let me go..Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt