Reise durch Südamerika

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Nach diesem Tag wurde Liam für ganze zwei Wochen von weder Caro, noch Lena erwähnt. Es war, als hätten sie mir den Artikel niemals gezeigt. Mich selbst kostete es allerlei Überwindung, nicht im Internet nach weiteren Berichten über Liam zu suchen. Immer wieder ertappt ich mich dabei, wie ich mir innerlich Vorwürfe machte. Vielleicht hatte die Presse ja Recht und Liams Verhalten hing tatsächlich mit unserer Trennung zusammen. Doch bereits nach wenigen Sekunden wurde mir jedes Mal wieder klar, dass es absolut nicht meine Schuld war. Liam hatte sich von mir getrennt. Er war gegangen, er hatte mich verlassen. Wenn jemand das Recht hatte zu leiden, dann war ich das. Und außerdem sah er auf dem Bild glücklich aus. Es war also gut möglich, dass es ihm momentan viel besser ging als zu Zeiten unserer Beziehung. Ich durfte einfach nicht zu viel darüber nachdenken. Liam durfte keine Rolle mehr in meinem Leben spielen.

Die mündliche und gleichzeitig letzte Abiturprüfung meisterten wir alle ohne größere Schwierigkeiten. Das anschließend einsetzende Gefühl von wahrhaftiger Freiheit war unbeschreiblich. Unsere Schulzeit war endgültig vorbei. Die erste Woche nach der bestandenen Prüfung verbrachten wir hauptsächlich damit, diese neugewonnene Freiheit ausgelassen zu feiern. Tatsächlich brachte mich das auf andere Gedanken und zum ersten Mal seit über fünf Monaten war ich wieder richtig glücklich und hatte Spaß. Aber ich wusste ganz genau, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Liam sich wieder in meine Gedanken schleichen würde. Doch vorerst gab es wichtigere Dinge: etwa zehn Tage nach der letzten Prüfung brachten wir Lena zum Flughafen. Sie würde fast ein ganzes Jahr in Südafrika verbringen. Es war ein recht tränenreicher Abschied, aber viel Zeit zum traurig sein blieb mir nicht. Bereits am nächsten Tag bestellte Caro mich zu einem sehr wichtigen Gespräch zu ihr nach Hause. So wichtig, dass „wir auf keinen Fall nur am Telefon darüber sprechen können“. Neugierig und zugleich nervös nahm ich schließlich ihr gegenüber auf ihrem Bett Platz. Ihr ernster Gesichtsausdruck half nicht wirklich dabei, meine Nervosität zu lindern. „Was ist los, Caro?“, fragte ich mit hochgezogenen Augenbrauen. Sie wirkte fast etwas ängstlich. „Ich hätte da so eine Idee…“, begann sie. „Was würdest du von einer Reise durch Südamerika halten?“ Meine Nervosität wich augenblicklich einem anderen Gefühl: Verwirrung. „Südamerika? Wohin genau willst du denn?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Chile, Argentinien, Brasilien… und noch ein paar andere Länder…“ – „Und wie kommst du auf einmal auf den Gedanken? Ich hab dich noch nie zuvor darüber reden gehört, ehrlich gesagt.“, entgegnete ich, noch immer ziemlich verwirrt. „Naja, ich stell mir das ganz interessant vor da mal rumzureisen.“ Ich schnaubte. „Ja, interessant. Und teuer. Tut mir leid Caro, an sich ist die Idee super. Aber ich kann es mir schlicht und einfach nicht leisten.“ Aus irgendeinem Grund wirkte sie nun erst richtig ängstlich. Sie sah mich nicht einmal mehr direkt an. „Das Geld wäre kein Problem.“, murmelte sie. „Wie meinst du das? Natürlich wäre das ein Problem. Es sei denn du willst das für mich bezahlen, was du dir aber erstens auch nicht leisten kannst und ich zweitens niemals annehmen könnte.“ Caro betrachtete das Muster ihrer Bettdecke, als hätte sie noch nie etwas Interessanteres gesehen. „Harry würde zahlen.“, flüsterte sie schließlich. Für einen Moment starrte ich sie nur mit offenem Mund an. „Harry wür-“ Und dann machte alles auf einmal einen Sinn.

„Das kann nicht dein Ernst sein, Caro!“, rief ich wütend und stand auf. „Reise durch Südamerika? Ich werde Liam ganz bestimmt nicht auf seiner verdammten Tour begleiten!“ Auch Caro war jetzt aufgestanden. „Es geht doch überhaupt nicht um Liam! Harry hat uns eingeladen, als Geschenk zum Abitur! Du musst kein Wort mit Liam reden, ich bleib einfach immer an deiner Seite. Und meinetwegen kannst du sogar Luke mitbringen!“ Sie sah mich flehend an. Stöhnend ließ ich mich wieder auf ihr Bett fallen. „Ich wusste gar nicht, dass du überhaupt noch Kontakt zu Harry hast.“, stellte ich nach einer Weile stirnrunzelnd fest. Caro zuckte verlegen mit den Schultern. „Wir telefonieren ab und zu, mehr nicht. Also ich werde sein Angebot auf jeden Fall annehmen, aber ich würde es sehr schön finden wenn du auch mitkommst. Du und Luke. Bitte, Mia?“ Ich seufzte und schenkte ihr dann ein schwaches Lächeln. „Ich überleg es mir, okay?“ Sie nickte und wirkte augenblicklich fröhlicher. „Stell dir das mal vor: wir drei auf Tour mit der berühmtesten Band der Welt! Das wird sowas von grandios!“ Sofort spürte ich, wie sich mein Brustkörper schmerzhaft zusammen zog. Caro schien zu merken, dass sie etwas Falsches gesagt hatte. „Tut mir leid… ich wollte nicht-“, begann sie, aber ich unterbrach sie: „Weißt du, eigentlich hatten wir das immer so geplant. Liam und ich. Sobald ich mit der Schule fertig war, wollte ich erst einmal mit ihm auf Tour gehen.“ Caro antwortete mir nicht. Stattdessen setzte sie sich neben mich und legte mir einen Arm um die Schulter. Ich konnte nicht anders. Ich musste sie einfach fragen. „Hat Harry eigentlich irgendwann mal was über Liam erzählt? Du weißt schon, wegen dem Artikel neulich…“ Caros Schweigen war Antwort genug. „Er hat sich einfach verändert.“, murmelte sie schließlich. „Harry und die anderen hoffen, dass das wieder besser wird, wenn die Tour anfängt. Wenn er wieder auf der Bühne steht.“ Ich vergrub mein Gesicht in den Händen. „Ich verstehe es einfach nicht. Ich verstehe ihn nicht.“, flüsterte ich. „Diese verdammten fünf Monate hätten wir schon irgendwie überstanden. Wieso hat er auf einmal aufgegeben? Und wieso verhält er sich jetzt wie ein Idiot?“ – „Weil er einer ist.“, entgegnete Caro schroff. „Er ist ein richtiger Idiot. Du hast so sehr für ihn gekämpft und quasi sein ganzes Leben zum Besseren gewendet. Und dann trennt er sich einfach von dir, nur weil du noch fünf Monate zur Schule gehen musst und ihr euch solange vielleicht nicht sehr oft gesehen hättet. Ich mochte ihn wirklich gerne. Er hat dich so glücklich gemacht und dafür war ich ihm unendlich dankbar. Und dann hat er alles ohne Grund kaputt gemacht. Er hat dein Herz gebrochen und das werde ich ihm niemals verzeihen.“ Mit Tränen in den Augen lehnte ich mich an ihre Schulter. „Es tut mir leid, dass ich in den letzten Monaten so… so nutzlos war.“, murmelte ich. Doch Caro schüttelte den Kopf. „Du warst nie nutzlos, Mia. Du warst traurig. Und bist es immer noch. Also bitte: komm mit mir nach Südamerika. Dann können wir Liam gemeinsam zeigen, was für ein Idiot er ist.“ Ohne noch groß darüber nachzudenken, nickte ich. „In Ordnung. Aber Luke kommt auch mit. Ohne euch beide an meiner Seite überstehe ich das nämlich nicht.“ Freudeschreiend fiel Caro mir um den Hals. Ich konnte nur hoffen, dass ich tatsächlich die richtige Entscheidung getroffen hatte. 

Don't let me go..Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt