"Ich brauche dich."

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Es klopfte an der Tür, doch ich öffnete nicht. Caro hatte ihren Schlüssel dabei und in meinem aktuellen Zustand wollte ich niemandem sonst begegnen. Ich lag bereits seit mehreren Stunden unbewegt im Bett, bekam jedoch kein Auge zu. Es war schwer zu sagen, was genau mich derart beschäftigte. Zum einen vermisste ich Luke. Ich hatte mich so sehr an seine Anwesenheit gewöhnt, dass nun ein Teil von mir selbst zu fehlen schien. Andererseits spielte auch Liam eine große Rolle in den Gedanken, die mich vom Schlafen abhielten. Seufzend drehte ich mich auf die Seite, sodass ich aus dem Fenster sehen konnte. Ich hörte wie sich der Schlüssel im Schloss drehte. Also doch Caro. Vermutlich hatte sie erst testen wollen, ob ich wach war. Ich schloss meine Augen und stellte mich schlafend. Momentan war mir einfach nicht nach reden zumute. Die Tür fiel kaum hörbar ins Schloss. Dann herrschte Stille. Was hatte Caro vor? Wenig später näherten sich leise Schritte dem Bett. Sobald sich die Matratze leicht senkte, wusste ich, dass es nicht Caro war, die soeben den Raum betreten hatte und sich nun neben mich legte. „Schläfst du?“ Liams Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Für einen kurzen Moment dachte ich daran, mich einfach weiter schlafend zu stellen, aber dann überlegte ich es mir anders und schüttelte den Kopf. Was tat Liam in meinem Zimmer? Und wieso unternahm ich nichts gegen seine Anwesenheit? „Ich muss dir etwas sagen.“, murmelte er. Sofort beschleunigte sich mein Herzschlag. Ich zog mir die Decke bis zum Kinn und schwieg. „Was ich dir über gestern Abend erzählt habe… das stimmte nicht ganz.“ Was? Hatte er mir etwa doch nicht die Wahrheit erzählt? Zu gerne hätte ich mich zu ihm umgedreht, doch schon so war es schwer, ruhig zu atmen. Noch mehr Nähe würde mir bestimmt nicht gut tun. „Ich wollte nicht neben dir schlafen. Ich meine… natürlich wollte ich das, aber ich wusste, dass es dir nicht gefallen würde. Deshalb habe ich mein Kissen und meine Decke vom Bett genommen und auf den Boden gelegt. Und dann bist du noch einmal aufgewacht.“ Mein Herz pochte wild in meiner Brust, doch noch immer sagte ich kein Wort. „Du warst noch immer ziemlich betrunken und wahrscheinlich immer noch im Halbschlaf. Aber du hast… du hast geredet. Mit mir.“ Was auch immer er als nächstes sagen würde, ich wusste, dass es nichts Gutes sein konnte. Als ich das letzte Mal in seiner Gegenwart derart betrunken gewesen war, hatte ich ihm erzählt wann genau ich mich in ihn verliebt hatte. Und das, obwohl wir zu dem Zeitpunkt nicht einmal ein Paar waren. „Du hast nach meinem Arm gegriffen. Mich nicht losgelassen. Und dann hast du mich gebeten, bei dir zu bleiben. Und… und du hast gesagt, dass ich dich nie wieder alleine lassen soll. Dass du mich brauchst.“ Verzweifelt schloss ich meine Augen. „Bitte sieh mich an.“ Ich blieb unbewegt liegen, drehte ihm weiterhin den Rücken zu. „Mia.“ Der Klang meines Namens aus seinem Mund, setzte meinen gesamten Körper unter Strom. Ganz langsam drehte ich mich um, sah Liam jedoch nicht an. „Ich war betrunken.“, murmelte ich, als würde das mein Verhalten in irgendeiner Weise rechtfertigen. „Betrunkene Menschen lügen nicht.“, entgegnete Liam. Natürlich hatte er Recht. Trotzdem schüttelte ich den Kopf. „Betrunkene Menschen können nicht rational denken. Wahrscheinlich wollte ich einfach nur nicht alleine sein und du warst der einzige Mensch in der Nähe. Wie du selbst gesagt hast: ich habe trotzdem noch halb geschlafen. Ich wusste wahrscheinlich überhaupt nicht wer du bist und wo ich-“ Liam hielt einen Zeigefinger an meine Lippen und brachte mich so zum Schweigen. „Ich denke nicht, dass es bei dem Satz ‚Ich brauche dich, Liam‘ viel Interpretationsspielraum gibt.“ Ich hatte seinen Namen gesagt? In seiner Nähe würde ich definitiv keinen Tropfen Alkohol mehr anrühren. „Warum leugnest du deine Gefühle?“, fragte Liam, während sein Finger von meinen Lippen zu meiner Wange wanderte. Meine Haut schien unter seiner Berührung zu brennen. „Ich habe Angst.“, flüsterte ich wahrheitsgemäß. „Wovor?“ – „Wieder verletzt zu werden. Ich habe Angst, dass du mich wieder verlässt.“ Die folgende Stille war fast unerträglich. Schließlich seufzte Liam. „Ich weiß. Aber ich kann nichts anderes tun, als dir zu versprechen, dass das ganz bestimmt nicht passieren wird.“ Ich schüttelte den Kopf. „Das kannst du überhaupt nicht wissen. Vielleicht bist du mich irgendwann einfach leid, wer weiß das schon.“ Liam schnaubte und nahm mein Gesicht nun in beide Hände, sodass ich keine andere Wahl hatte, als ihn anzusehen. Sofort verlor ich mich in seinen Augen und vergaß für einen Moment alles um uns herum. „Ich liebe dich, Mia. So sehr. Dich zu verlassen war der größte Fehler, den ich jemals gemacht habe. Aber daraus habe ich gelernt! Es spielt überhaupt keine Rolle, wie viel Tage die Woche wir uns letztendlich sehen. Obwohl ich es natürlich schön fände, dich immer bei mir zu haben. Aber was wirklich zählt ist, dass wir einander haben. Was du letzte Nacht gesagt hast, kann ich nur zurück geben. Ich brauche dich, Mia.“ Sein Blick war derart intensiv, dass es mir schwer fiel, gleichmäßig zu atmen. „Ich kann verstehen, dass du Angst hast. Mein Verhalten war richtig bescheuert. Aber wäre es dir lieber, mich nach dieser Reise nie wieder zu sehen?“

Daran hatte ich noch überhaupt nicht gedacht. Und der Gedanke gefiel mir ganz und gar nicht. Zögernd schüttelte ich den Kopf. Ein verhaltenes Lächeln erschien auf Liams Gesicht, doch es erreichte nicht seine Augen. „Letztendlich ist es ganz allein deine Entscheidung. Du weißt genau was ich für dich empfinde und ich hoffe, dass du mir noch eine Chance gibst.“

LIAMS SICHT:

Mia unter Druck zu setzen, war das allerletzte was ich wollte. Es sollte ihre eigene Entscheidung sein, nicht von mir erzwungen. Trotzdem musste sie wissen, wie ich das ganze sah. Der Gedanke, sie möglicherweise nie wieder in meinen Armen zu halten, nie wieder ihre Lippen auf meinen zu spüren, war unerträglich. Manchmal fragte ich mich, ob man einen Menschen vielleicht zu sehr lieben konnte. Obwohl sich in den letzten Monaten absolut nichts an meinen Gefühlen für Mia geändert hatte, hatten sie mich bei unserem Wiedersehen noch einmal komplett von Neuem übermannt. Und seitdem war es nicht besser geworden. Jedes Mal wenn ich sie sah, spürte ich eine geradezu überwältigende Freude, allein aufgrund der Tatsache, dass sie endlich wieder in meiner Nähe war. Jetzt, wo uns nur wenige Zentimeter voneinander trennten, schlug mein Herz in rasendem Tempo. Ich konnte kaum klar denken und wählte dennoch jedes Wort mit Bedacht.

Während ich auf ihre Antwort wartete, sah ich Mia ganz genau an. Ihr Mund war leicht geöffnet, als wäre sie kurz davor etwas zu sagen, doch noch immer war kein Laut zu hören. Ihre Wangen hatten wie immer einen hellrosa Stich, der sich so oft in ein dunkles Rot verwandelte. Ihre Augen. War ich einmal in ihrem Blick gefangen, gab es kein Zurück mehr. Noch nie war ich einem Menschen begegnet, dessen Gefühle so deutlich in seinen Augen lesbar waren. Ich könnte Stunden damit verbringen, Mia einfach nur anzusehen.

Sie bewegte sich so schnell, dass ich Schwierigkeiten hatte, ihr mit meinem Blick zu folgen. Im einen Moment lag sie noch neben mir, im nächsten Moment stand sie am bodentiefen Fenster und drehte mir den Rücken zu. Langsam stand ich ebenfalls auf, ging um das Bett herum und blieb etwa einen Meter hinter ihr stehen. „Soll ich… möchtest du, dass ich gehe?“, fragte ich mit pochendem Herzen. Schon lange war ich nicht mehr derart nervös gewesen. Erleichtert atmete ich auf, als Mia den Kopf schüttelte. Sie wollte als das ich bei ihr blieb. Das war schon mal ein gutes Zeichen. Aber wieso war sie plötzlich aufgesprungen? Und wieso sah sich mich nun nicht mehr an?

„Ich kann das was passiert ist nicht einfach vergessen.“, sagte sie schließlich leise und sofort breitete sich eine schmerzhafte Enttäuschung in mir aus. „Aber ich kann auch nicht ignorieren, was ich fühle.“, fuhr sie in diesem Moment fort. „Ich kann nicht ignorieren, dass ich mich nach deiner Nähe sehne und dass mir der Gedanke daran, dich nie wieder zu sehen, panische Angst macht.“ Ich wagte es kaum zu atmen, aus Angst eines ihrer geflüsterten Wörter zu verpassen. Mia drehte sich wie in Zeitlupe um. Mit Schrecken sah ich, dass ihre Augen feucht waren. „Ich brauche Zeit, Liam. Ich habe mich erst gestern von Luke getrennt und ich kann nicht… Ich habe mich ihm gegenüber so grausam verhalten und es wäre nicht richtig… ich weiß ja selbst nicht einmal ob diese Entscheidung richtig ist, aber ich brauche dich.“ Mittlerweile strömten die Tränen ihre Wangen hinunter. Mit nur einem Schritt war ich bei ihr und schlang meine Arme um ihren zarten Körper.

„Nimm dir so viel Zeit wie du brauchst.“, murmelte ich und vergrub mein Gesicht in ihren Haaren. „Und ich hoffe du weißt, dass ich immer für dich da bin. Egal wann, egal um was es geht.“

Don't let me go..Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt