Schreck am Morgen

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Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag Liam noch im Tiefschlaf neben mir. Nach seiner letzten Nacht vermutlich kein Wunder. Ich konnte nur für ihn hoffen, dass die Kopfschmerzen sich in Grenzen halten würden. Erst einmal ließ ich ihn jedoch weiterschlafen, während ich aufstand und mir eine Jacke überzog. Dann ging ich in die Küche, wo Alex bereits mit einem Becher Kaffee am Tisch saß. „Morgen.“, murmelte er gähnend, als ich den Raum betrat. „Gut geschlafen?“ Schulterzuckend öffnete ich das Regal und holte mir ebenfalls einen Becher heraus. „Nicht sehr lange, aber gut.“ - „Gestern Abend noch Besuch gekriegt?“ Mein Mitbewohner grinste mich schief an. Ich verdrehte die Augen und nickte. „Ja, Liam hat sich spontan dazu entschieden vorbei zu kommen. Alles andere als nüchtern, also sollte ich ihm vielleicht schonmal ein Glas Wasser bereit stellen.“ Etwas schuldbewusst setzte ich mich neben Alex. „Tut mir leid, falls wir dich aufgeweckt haben.“ Doch er schüttelte sofort den Kopf. „Quatsch, ich saß sowieso noch ewig an meinem Uni-Kram.“ Er warf einen Blick auf seine Uhr. „Apropos Uni, ich muss gleich los in die Bibliothek. Aber grüß Liam von mir.“ - „Klar, mach ich.“, entgegnete ich, während er aufstand und die Küche verließ. Doch nur wenige Sekunden später, hörte ich ihn rufen: „Mia? Vielleicht solltest du dir das hier mal ansehen.“ Sein Ton sagte mir sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. Besorgt trat ich auf den Flur. Alex stand am Fenster und sah mit hochgezogenen Augenbrauen nach draußen. Sobald ich neben ihm stand und seinem Blick folgte, gefror mir das Blut in den Adern. 

Fast die gesamte Straße vor unserem Haus war mit Reportern inklusive Kameras bedeckt. Autos hatten Schwierigkeiten zwischen all den Menschen durch zu fahren, da die Reporter offenbar auch einige Passanten angezogen hatten. „Was zur Hölle geschieht da unten?“, fragte ich, doch Alex war genauso perplex wie ich. „Ich habe keine Ahnung.“, murmelte er. Dann wanderten unsere beiden Blicke gleichzeitig zu meiner noch geschlossenen Zimmertür. „Oh nein.“, stöhnte ich und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. „Woher wissen die, dass er hier ist?“ Alex hob unschuldig die Hände. „Definitiv nicht von mir.“ Für ein paar Minuten blickten wir beiden stumm nach draußen. „Vielleicht hat einer der Nachbarn ihn gestern Abend gesehen?“ schlug Alex irgendwann vor. Zögernd schüttelte ich den Kopf. „Im Treppenhaus war eigentlich niemand außer uns beiden.“ Aber auszuschließen war diese Erklärung natürlich trotzdem nicht. Bevor wir uns weitere Gedanken machen konnten, öffnete sich die Tür zu meinem Zimmer und ein gähnender Liam trat auf den Flur. Sobald er uns am Fenster stehen sah, blieb er mit irritiertem Gesichtsausdruck stehen. „Alles klar bei euch?“, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen und versuchte an uns vorbeizuschauen. Schnell ging ich zu ihm und schob ihn in Richtung Küche. „Natürlich. Möchtest du was frühstücken?“ Aber so einfach wollte Liam es mir wohl leider nicht machen. „Mia, ich kenne dich besser als du denkst. Ich weiß wenn etwas nicht stimmt, also sag mir jetzt bitte was los ist.“ Nervös sah ich zu Alex, der noch immer am Fenster stand. „Es… es gibt da ein Problem.“, murmelte ich und trat neben ihn. Liam folgte mir auf dem Fuß. Anstatt nach draußen zu sehen, beobachtete ich Liams Reaktion. Alles Blut schien aus seinem Gesicht zu weichen. Seine Augen weiteten sich, dann wurden sie zu engen Schlitzen. „Was hast du getan?“ Die Wut in seiner Stimme war deutlich zu hören. Entgeistert sah ich ihn an. „Wie bitte? Was ich getan habe? Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein.“ Genervt schüttelte Liam den Kopf. „Nicht du. Er.“ Ich folgte seinem finsteren Blick. Alex wirkte komplett überrumpelt. „Du denkst ich hätte denen Bescheid gesagt?“, fragte er mit weit aufgerissenen Augen. Liam funkelte ihn nur weiterhin böse an. Doch das war Antwort genug. „Liam, hör auf mit dem Unsinn.“, sagte ich leise, aber bestimmt. „Wieso sollte er so etwas tun?“ Ohne seinen Blick von Alex abzuwenden, zuckte er mit den Schultern. „Vermutlich weil er eifersüchtig ist und unsere Beziehung zerstören will.“ Lachend schüttelte Alex den Kopf. „Eifersüchtig? Ich habe eine Freundin, mit der ich sehr glücklich bin.“ Das schien Liam keineswegs von seinem Verdacht abzubringen. Also versuchte ich noch einmal, ihn zur Vernunft zu bringen. „Denkst du wirklich, Alex möchte gerne, dass seine Wohnung von Paparazzi belagert wird?“ - „Vielleicht gefällt ihm die Aufmerksamkeit ja.“ Ich spürte, wie die Wut sich nun auch in mir aufbaute. „Okay, das reicht. Du kannst jetzt gehen, Liam. Ruf dir doch einfach wieder ein Taxi. Immerhin sind Taxifahrer so unglaublich vertrauenswürdig und geben ganz bestimmt niemals Infos über deinen Aufenthaltsort an die Presse weiter.“ Ohne seine Reaktion abzuwarten, lief ich in mein Zimmer und schlug die Tür hinter mir zu. Tränen der Wut standen in meinen Augen. Gerade jetzt. Gerade jetzt, wo alles so gut gelaufen war. Wieso konnte Liam nicht einmal seine Zunge im Zaum halten? Auch ich war alles andere als froh über die Reporter, aber Liams Verhalten gegenüber Alex war schlicht und ergreifend nicht in Ordnung. 

Es klopfte kaum hörbar an der Tür. „Hau einfach ab.“, rief ich und wischte die Tränen von meinem Gesicht. Dennoch hörte ich, wie sie die Tür öffnete und kurz darauf wieder schloss. Ich musste mich nicht umdrehen um zu wissen, dass es nicht Alex war, der hinter mir stand. „Falsche Tür.“, teilte ich Liam mit. „Die Haustür ist an der anderen Seite des Flurs.“ Liam seufzte und setzte sich neben mich auf mein Bett, sodass ich gezwungen war, ihn anzusehen. Jedes Anzeichen von Wut war aus seinen Gesichtszügen verschwunden. „Ich bin ein Idiot.“ Stumm nickte ich. Da konnte ich ihm absolut nicht widersprechen. „Es tut mir wirklich leid. Das mit dem Taxi hatte ich total vergessen.“ - „Und deshalb gibst du einfach Alex die Schuld? Was soll so ein Mist?“ Hilflos zuckte Liam mit den Schultern. „Es war halt mein erster Gedanke. Ein bescheuerter Gedanke, ich weiß.“, fügte er hinzu, als er meinen Gesichtsausdruck sah. „Und wie kommst du jetzt da unten raus?“, fragte ich, ohne Liam anzusehen. Es dauerte eine Weile, bis er reagierte. „Du willst also immer noch, dass ich gehe?“ Meine Kehle war wie zugeschnürt. Als er keine Antwort erhielt, stand Liam seufzend auf. „Na dann.“ Für einen Moment stand er einfach nur im Raum. Dann ging er langsam zur Tür. „Nein.“, sagte ich leise und stand auf, kurz bevor er die Tür erreicht hatte. „Will ich nicht.“ Ich spürte, wie die Tränen zurückkehrten und sich erneut in meinen Augen sammelten. Liam blieb stehen und drehte sich zu mir um. „Ich habe Angst, Liam.“, murmelte ich und sah zu Boden. „Die da draußen sind erst seit ein paar Stunden da und wir streiten uns jetzt schon. Was wenn jetzt alles wieder kaputt geht?“ Mit wenigen Schritten war Liam bei mir und schloss mich in seine Arme. „Nein, Mia. Von denen lassen wir uns nichts kaputt machen. Das verspreche ich dir.“ Und aus irgendeinem Grund glaubte ich ihm. 

Don't let me go..Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt