#WeLoveMia

717 37 2
                                    


„Okay, krass.", waren die Worte, mit denen Alex das Schweigen brach. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Caro nickte. „Die haben gerade wirklich Millionen von Menschen gesagt: ‚Lasst Mia in Ruhe oder wir sind weg vom Fenster'." - „Naja", wandte Alex ein, „Nicht nur Mia." - „Nein, aber wer eins und eins zusammen zählen kann weiß, dass es um sie ging. Liam war auffallend ruhig."

Während die beiden das eben Gesehene diskutierten, saß ich schweigend daneben. In meinem Kopf herrschte ein riesiges Durcheinander, ich wusste nicht, wie ich meine Gedanken sortieren sollte. Wessen Idee war dieser Livestream gewesen? Wieso gingen sie jetzt, über einen Monat später, mit dem Vorfall an die Öffentlichkeit? Wieso hatte mich niemand gefragt, was ich davon hielt? Immer mehr Fragen türmten sich auf. Als erneut mein Name fiel, fokussierte ich mich wieder auf das Gespräch, das neben mir stattfand. „Ich glaube nicht, dass es um Mia ging.", sagte Alex gerade. „Nach dem, was passiert ist, haben sie alle vermutlich Angst um ihre Familien und Freunde. Vor allem um ihre Freundinnen. Oder Angst, überhaupt wieder eine Beziehung einzugehen. Und um sich selbst diese Angst zu nehmen, haben sie Klartext geredet." Natürlich. Es ging nicht um mich. Wie sollte Liam jemals wieder eine Beziehung führen, wenn er Angst vor einer Wiederholung der Ereignisse hatte? Ich war seine Vergangenheit. Der Livestream galt der Zukunft. Vor meinen Augen spielte sich eine Zukunftsvision ab. Liam, mit einer wunderschönen Frau, Arm in Arm, vor ihnen liefen zwei kleine Kinder. Zwillinge. Verärgert kniff ich meine Augen zusammen, um das Bild zu vertreiben. Wo kamen diese unfassbar albernen Gedanken her? Ich war diejenige, die Liam verlassen hatte. Natürlich würde er irgendwann jemanden neues finden. Glücklich sein. Und genau das wollte ich doch. Dass er glücklich war. „Hast du dir Liam mal angeschaut?", fragte Caro nun Alex. „Der war völlig fertig. Als hätte er wochenlang nicht richtig geschlafen. Wahrscheinlich macht er sich immer noch Sorgen um Mia." Da war es wieder, mein Schuldbewusstsein. „Mal schauen, was die Leute online zu dem Livestream sagen.", murmelte Caro und griff nach ihrem Handy. Sie öffnete die Twitter-App und scrollte für ein paar Sekunden durch die Kurznachrichten. „Oh wow.", war alles, was sie sagte. Nun war meine Neugier geweckt. Sowohl Alex als auch ich rückten näher an Caro heran und schauten auf ihr Handy. Eine scheinbar endlose Ansammlung von Beiträgen, alle versehen mit dem gleichen Hashtag. Caro scrollte immer weiter, doch es nahm kein Ende. Die Fotos und Namen der Accounts machten deutlich, dass es sich hier fast ausschließlich um One Direction Fans handelte. Ohne zu fragen nahm ich Caro das Handy aus der Hand, doch sie protestierte nicht. Stattdessen murmelte sie: „Sie haben wirklich sehr schnell eins und eins zusammen gezählt." Die meisten Beiträge überflog ich nur, doch manche las ich mir ausführlicher durch.

‚Unfassbar was manche Leute unter Fan sein verstehen. Privatleben bleibt Privatleben. #WeLoveMia'

‚Vergleicht den Liam aus dem Livestream doch mal bitte mit Fotos auf denen er zusammen mit Mia zusehen ist. Welcher Liam sieht glücklicher aus? #WeLoveMia'

‚Wen ihr liebt, den lieben wir auch! #Teamwork #WeLoveMia'

‚Fanliebe kann gefährlich sein. Endlich spricht es mal jemand aus! #WeLoveMia'

‚Stellt euch vor ihr werdet dafür gehasst und bestraft, geliebt zu werden. Manche Menschen sind widerlich. #WeLoveMia'

Ein Beitrag hatte bereits mehrere hundert Likes und wurde etliche Male retweetet:

‚Danke Mia! Danke Eleanor! Ihr macht Liam und Louis glücklich und das ist alles was die Mehrheit von uns will! #WeLoveMia #WeLoveEleanor'

Alex hatte mittlerweile sein eigenes Handy herausgeholt, um die Beitrage ebenfalls zu lesen. „Kann man sehen, wer das ins Leben gerufen hat?", fragte Caro und beugte sich über Alex' Handy. Der schüttelte den Kopf. „Dazu sind es zu viele Beiträge. Vermutlich irgendein Fan, die Jungs selber waren es zumindest nicht. Aber sie haben alle ein paar Beiträge geliket, so wie es aussieht." Augenblicklich wanderte mein Daumen zu der Suchleiste. Liams Twitterprofil hatte ich schon lange nicht mehr aufgerufen, es fühlte sich seltsam an, seinen Namen einzutippen. Sein letzter Beitrag lag bereits einige Wochen zurück, irgendetwas über einen anderen Sänger, der ein neues Lied veröffentlich hatte. Ich öffnete die Rubrik Likes, unsicher was ich eigentlich erwartete. Beim Livestream selber hatte er geschwiegen. Schwieg er auch jetzt? Der oberste Beitrag war wenige Minuten alt.

‚#WeLoveMia'

Der nächste Beitrag war älter und hatte nichts mit dem heutigen Livestream zutun. „Das Bekanntgeben einer Trennung sieht anders aus.", stellte Caro fest, die nun mir über die Schulter blickte. Wortlos gab ich ihr das Handy zurück. „Alles in Ordnung, Mia?", fragte sie besorgt. „Du hast schon lange nichts mehr gesagt." - „Ich weiß nicht was ich sagen soll. Was ich denken soll.", entgegnete ich.

„Ruf ihn an." Caro und ich wandten unsere Blicke synchron in Alex' Richtung. Der zuckte mit den Schultern. „Warum denn nicht? Rein theoretisch spricht jetzt nichts mehr gegen eure Beziehung." - „So einfach ist das nicht", murmelte ich kopfschüttelnd. „Die Leute, die mich hassen, haben sich nicht in Luft aufgelöst." - „Nein, das stimmt.", gab Alex mir Recht. „Aber dafür hast du jetzt eine Armee von Menschen, die dich vor diesen Idioten beschützen." Seufzend lehnte ich mich im Sofa zurück. „Und was wenn doch noch einmal etwas passiert? Das würde Liam sich nicht verzeihen." - „Rein theoretisch kannst du auch morgen von einem Auto angefahren werden. Das Leben ist niemals ohne Risiko." Ich verdrehte die Augen. „Mag sein, aber ich stelle mich nicht freiwillig mitten auf die Straße." Alex grinste. „Sehr vernünftig." - „Ich denke, du solltest erst einmal mindestens eine Nacht drüber schlafen.", warf Caro ein. „Und schauen, wie sich das Ganze weiter entwickelt."

Auch Alex sah ein, dass das die beste Idee war, sodass wir wenig später alle drei in unseren Betten lagen. Vor der Aufregung, die der Livestream gebracht hatte, waren wir den ganzen Tag in London unterwegs gewesen, sodass es mich nicht wunderte, dass Caro innerhalb weniger Minuten eingeschlafen war. Ich hingegen lag noch lange Zeit wach im Bett. Wie dachte Liam über die Reaktion der Fans? War das Problem der Sicherheit damit für ihn aus dem Weg geschafft? Konnte er nun aufhören, sich Sorgen um mich zu machen? Oder brachte ihn das Ganze in eine unangenehme Situation, weil er den Fans eigentlich längst hatte mitteilen wollen, dass wir nicht mehr zusammen waren? Auf laufenden Band bildeten sich in meinem Kopf neue Fragen, doch die Antworten blieben aus. Und dann sah ich plötzlich aus dem Augenwinkel etwas aus der Richtung meines Nachttisches aufleuchten. Mein Handy. Ich hatte es vor dem Schlafengehen lautlos gestellt, damit weder Caro noch ich in der Nacht durch mögliche Nachrichten aufgeweckt wurden. Aber wer sollte mir mitten in der Nacht schreiben? Verwundert und neugierig zugleich griff ich nach dem Handy. Sobald ich es in der Hand hielt, wurde mir mein Irrtum bewusst. Niemand hatte mir geschrieben. Der Bildschirm leuchtete, weil mich jemand anrief. 

Don't let me go..Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt