Unerwartete Begegnung

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Natürlich wusste ich noch genau, wo Liam wohnte. Immer wieder war ich in Gedanken den Weg zu seiner Wohnung gegangen, hatte mir überlegt was ich zu ihm sagen sollte, doch zu einem Ergebnis war ich nie wirklich gekommen. Und jetzt, wo ich tatsächlich auf dem Weg zu ihm war, konnte ich sowieso nicht klar denken. 

Vermutlich wäre es doch besser gewesen, wenn ich ihn einfach angerufen hätte. Auch das wäre persönlich gewesen. Und trotzdem drehte ich nicht um und fuhr wieder nach Hause. Denn es ging nicht nur darum, mich bei Liam zu bedanken. Ich wollte ihn wiedersehen. Was genau zu diesem plötzlichen Entschluss geführt hatte, wusste ich selbst nicht. Aber ich war mir sicher, dass es das Richtige war. 

Als ich die U-Bahn verließ und unter den freien Himmel trat, stellte ich fest, wie dunkel es bereits war. Dennoch fiel es mir nicht schwer, den richtigen Weg zu finden. Sobald das moderne Hochhaus in Sichtweite kam, blieb ich mit klopfendem Herzen stehen. War ich wirklich dazu bereit, Liam nach gut einem Vierteljahr wiederzusehen? Was sollte ich sagen, außer „Danke“? Kopfschüttelnd ging ich weiter. Es war unsinnig, mir jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen. Wenn ich Liam erst einmal gegenüber stand, würde sich der Rest schon irgendwie ergeben. Gerade als ich nach Liams Klingelschild suchte, öffnete sich die Haustür. Dankbar lächelte ich dem älteren Mann zu, der sie mir aufhielt. Statt dem Fahrstuhl nahm ich die Treppe. So hatte ich mehr Zeit, um mich auf das Kommende vorzubereiten. Doch schon nach weniger als einer Minute stand ich bereits vor Liams Wohnungstür. Es kam mir vor, als sei ich eine Ewigkeit nicht hier gewesen. Nachdem ich noch einmal tief durchgeatmet hatte, hob ich meine Hand und klingelte. Dann trat ich einen Schritt zurück und wartete. 

Wenig später hörte ich, wie sich Schritte näherten und schon öffnete sich die Tür. Aber bei der Person die nun vor mir stand, handelte es sich nicht um Liam. Es war eine junge Frau. Dunkelbraune Locken umrahmten ihr Gesicht, ihre Augen waren wachsam auf mich gerichtet. Für einen Augenblick dachte ich, ich hätte die falsche Wohnung erwischt. Aber ich war mir absolut sicher, dass das nicht der Fall war. „Hallo“, begrüßte sie mich mit einem etwas unsicheren Lächeln. Es dauerte einen Moment, bis ich mich wieder gefangen hatte. „Hallo… ist… ist Liam da?“, fragte ich mit nervös zitternder Stimme. Ihr Lächeln verschwand. Fast schon ängstlich warf sie einen Blick zurück in die Wohnung und sah dann wieder mich an. „Tut mir leid, aber wer genau sind Sie? Und woher kennen Sie diese Adresse?“ - „Ich… ich bin… ich wollte nur…“, begann ich, überlegte es mir dann jedoch anders: „Wer sind denn Sie überhaupt und was machen Sie hier?“ Immerhin war das hier Liams Wohnung. Die Frau runzelte die Stirn und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Ich wohne hier.“ 

Und auf einmal machte alles einen Sinn: Sie wohnte hier. Zusammen mit Liam. Weil sie seine Freundin war. Natürlich. Wie hatte ich auch erwarten können, dass er monatelang auf mich wartete? Ich hätte damit rechnen müssen, dass er jemand anderem begegnen würde. „Tut mir leid… ich hätte niemals hierher kommen dürfen. Bitte sagen Sie Liam nicht, dass ich hier war.“ Ohne ihre Reaktion abzuwarten, drehte ich mich um und lief zum Treppenhaus. Erst als ich wieder auf der Straße war, verlangsamte ich meine Schritte. Ich hatte zu lange gewartet. Von Anfang an hätte ich mich mehr um den Kontakt mit Liam bemühen müssen. Immer war er es gewesen der mich angerufen, oder mir geschrieben hatte. Nie war etwas von mir aus gekommen. Natürlich hatte er das irgendwann gemerkt. Und jetzt war es zu spät. Denn jetzt hatte er jemanden gefunden, der vermutlich viel besser zu ihm passte. Es war meine Pflicht, mich von nun an endgültig von ihm fernzuhalten. Ich konnte nur hoffen, dass er glücklich mit ihr war. Denn genau das verdiente er, nach allem was er mit mir hatte durchmachen müssen. Und dennoch schmerzte es. Mehr, als ich jemals für möglich gehalten hätte. 

Die Tage vergingen und so langsam gewöhnte ich mich an den Uni-Alltag. Auch das Zusammenleben mit Alex funktionierte einwandfrei. Obwohl wir beide einiges zutun hatten, aßen wir oft gemeinsam und es einfach angenehm, nicht komplett alleine zu wohnen. Seine Freundin wohnte etwas außerhalb von London, kam ihn aber oft am Wochenende besuchen. Mit ihr verstand ich mich ebenfalls sehr gut, was besonders Alex zu freuen schien. 

Auch mein Geburtstag kam immer näher und im Gegensatz zu letztem Jahr, freute ich mich dieses Mal deutlich mehr auf diesen Tag. Denn Caro würde mich endlich besuchen kommen. Ich hatte sie nun gut einen Monat nicht mehr gesehen und musste feststellen, wie sehr sie mir fehlte. Obwohl ich erst am Sonntag Geburtstag hatte, kam sie bereits am Freitag in London an. Selbstverständlich holte ich sie vom Flughafen ab, sodass wir anschließend gemeinsam zu meiner Wohnung fahren konnten. Von dieser war meine beste Freundin ebenso begeistert wie ich. Alex begegnete sie nur ganz kurz, da Harry uns beide zum Abendessen eingeladen hatte. Sein Haus war schwer mit der U-Bahn zu erreichen, weshalb wir lieber ein Taxi nahmen. Auf halbem Weg klingelte plötzlich mein Handy. Sobald ich die Nummer sah, runzelte ich die Stirn. Wollte Harry uns etwa spontan wieder ausladen? 

„Hey, was gibt’s?“, fragte ich neugierig. „Seid ihr schon auf dem Weg?“ - „Ja, wir müssten in zehn Minuten da sein. Wieso fragst du?“ Aus dem Hintergrund waren undefinierbare, laute Geräusche zu hören. Harry seufzte. „Die Jungs sind noch da und ich glaube ich werde sie auch so schnell nicht wieder los. Soll ich sie brutal rauswerfen oder stören sie euch nicht?“ Lachend schüttelte ich den Kopf. „Kein Problem, Harry. Ich bin mir sicher, Caro freut sich die anderen auch mal wieder zu sehen.“ - „Super, dann bis gleich!“ 

Erst als nachdem ich aufgelegt hatte, wurden mir Harrys Worte so richtig bewusst. Es stand außer Frage, dass nicht nur Louis, Zayn und Niall anwesend sein würden. Auch Liam war bei Harry. Es sah ganz so aus, als wäre unser Wiedersehen unvermeidbar. 

Don't let me go..Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt