Schmerz

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LIAMS SICHT:

Schwerer Rauch umhüllte meinen Kopf, drang in meine Lungen. Erneut atmete ich tief aus, sah zu wie immer neue Muster entstanden. Es roch widerlich. Noch vor einem halben Jahr hatte ich einen weiten Bogen um jeden gemacht, der eine Zigarette in der Hand hielt. Und jetzt saß ich hier, alleine. Fremdes Land, fremde Stadt, fremdes Hotelzimmer. Obwohl es bereits später Abend war, wurde es hier nicht kalt. Wie in einer Sauna schien die Hitze still zu stehen, drohte mich zu erdrücken. Nicht, dass mich das gestört hätte. Es war unangenehm, doch es war immer noch angenehmer als der konstante Schmerz, der sich seit einem halben Jahr nicht mehr aus meinem Herz vertreiben ließ. Alkohol half. Und Nikotin. Beides verdrängte den Schmerz für einen kurzen, fast magischen Augenblick. Doch sobald dieser Augenblick verflogen war, kehrte der Schmerz zurück. An manchen Tagen war es kaum auszuhalten. Oft fragte ich mich, ob ich möglicherweise einen Fehler gemacht hatte. Die falsche Entscheidung getroffen. Aber in diesen Momenten rief ich mir nur einmal kurz den Grund für mein Handeln in Erinnerung und sofort waren alle Zweifel verflogen. Ich durfte nicht an mich denken. Ich musste an Mia denken. An ihre Zukunft, an ihr Wohlbefinden. Mia. Wunderschöne, warmherzige Mia.

Wütend schmiss ich den Rest der Zigarette zu Boden und zerkleinerte sie mit meiner Schuhsohle. Dann sprang ich auf, trat zurück ins Hotelzimmer und schloss die Balkontür. Hier drinnen war es eiskalt. Die Klimaanlage machte ein lautes, surrendes Geräusch. Schon nach wenigen Sekunden fühlte ich mich, als würde ein Presslufthammer meinen Kopf bearbeiten. Mein Blick wanderte zur Minibar. Etwas Beruhigendes wäre jetzt nicht schlecht. Gegen meine Kopfschmerzen würde es aber vermutlich nicht helfen. Seufzend ließ ich mich auf der Bettkante nieder. Würde dieser Schmerz irgendwann verschwinden? Oder war er von nun an Teil meines Lebens? So wie eigentlich Mia Teil meines Lebens hätte sein sollen. Kopfschüttelnd stand ich wieder auf und ging rastlos im Zimmer auf und ab. So konnte es nicht weiter gehen. Ich musste etwas tun, irgendetwas. Vielleicht hatten die anderen Recht. Vielleicht würde es besser werden, wenn ich erst einmal wieder auf der Bühne stand. Aber was wenn nicht? Mein Gedankenstrom wurde unterbrochen, als ich laute Stimmen von draußen hörte. Für einen Moment dachte ich, ein paar Fans hätten unser Hotel gefunden und die Security überlistet. Dann jedoch erkannte ich Harrys Lachen. „Nein, definitiv nicht. Aber ich dachte es ist besser wenn ihr in der Nähe von uns seid, sollte es irgendwelche Probleme geben…“ Mit wem zur Hölle sprach er da? Wer sollte in unserer Nähe sein? Neugierig stellte ich mich hinter die Tür, um das Gespräch auf dem Flur besser verstehen zu können. „Ihr habt ehrlich ein ganzes Hotel ausgebucht? Noch ein Beweis dafür, wie verdammt erfolgreich ihr mittlerweile seid.“, entgegnete jemand. Ich zog scharf die Luft ein. Der deutsche Akzent war unverkennbar. Doch es war nicht Mia, die da sprach. Ihre Aussprache war um einiges besser. Trotzdem erkannte ich die Stimme.

Wenn Caro hier war, hieß das dann auch, dass Mia… Nein. Bestimmt nicht. Caro war mit Harry befreundet. Und dennoch… „Es ist besser wenn ihr in der Nähe von uns seid.“, hatte Harry gesagt. Nicht ‚du‘.  Vielleicht hatte sie eine andere Freundin mitgebracht? Weshalb zitterte ich auf einmal so sehr? Wenn Mia tatsächlich gerade auf der anderen Seite dieser Tür war…

Die Stimmen wurden leiser, die Schritte entfernten sich. Verzweifelt presste ich ein Ohr an die Tür, um so viel wie möglich zu verstehen. „Wir haben in Zimmer 214 eine Art Küche aufgebaut, wenn ihr also Hunger habt… bedient euch. Ansonsten sind natürlich auch ein paar Sachen auf euren Zimmern. 230…232… ah, hier ist es. Hereinspaziert.“ Ich musste es wissen. Gewaltsam riss ich meine Tür auf. Doch sobald ich auf den Flur trat sah ich, wie sich am anderen Ende eine Tür schloss. Es war mucksmäuschenstill, nur mein Herz pochte lautstark gegen meine Rippen.

MIAS SICHT:

Das Geräusch von Lukes gleichmäßigem Atem klang durch den Raum. Ansonsten war es still, abgesehen vom leisen Surren der Klimaanlage. Es war kein Wunder, dass Luke direkt eingeschlafen war. Erst der lange Flug, dann die Fahrt zum Hotel… auch ich hätte gerne geschlafen. Und obwohl ich durchaus müde war, bekam ich meine Augen nicht zu.

Irgendwo in diesem Hotel lag Liam und schlief vermutlich seelenruhig. Vielleicht war sein Zimmer sogar direkt nebenan. Wusste er, dass ich hier war? Interessierte es ihn überhaupt? Seufzend drehte ich mich auf die Seite und starrte die Wand an. Ich hätte nicht hierher kommen sollen. Es war ein riesengroßer Fehler, dass wusste ich. Aber ich hatte es Caro versprochen.

Stundenlang wälzte ich mich im Bett herum. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. Natürlich war mir nicht in den Sinn gekommen, irgendwelche Schlaftabletten mitzunehmen. Aber mit ein bisschen Glück gab es welche in der Küche, die Harry vorhin erwähnt hatte. Möglichst leise, um Luke nicht zu wecken, stand ich auf, zog mir schnell einen Pullover über und verließ das Zimmer. Welche Nummer hatte Harry uns genannt? Ich sah mich unsicher um. Dann entdeckte ich jedoch die einzige Tür die aufstand und hinter der Licht zu sehen war. Zimmer 214. Ja, das musste es sein. Gähnend öffnete ich die Tür ein Stück weiter und betrat den Raum. Dann jedoch blieb ich wie angewurzelt stehen.

Obwohl er mir den Rücken zugedreht hatte, erkannte ich Liam in Sekundenschnelle. Er öffnete gerade ein Regal und holte einen Becher hinaus. Offenbar hatte nicht mitbekommen, dass er nicht mehr alleine im Raum war. Schritt für Schritt ging ich rückwärts und tastete dabei nach der Tür. Doch ich verfehlte sie und trat mit voller Wucht gegen den Türrahmen. Der Schmerz in meinem Fuß war nebensächlich. Denn das Ganze hatte ein ziemliches Geräusch verursacht. Liam wirbelte erschrocken herum und starrte mich mit perplexem Gesichtsausdruck an. Ich konnte mich nicht bewegen. Wie festgefroren stand ich in der offenen Tür und erwiderte seinen Blick. Sekunden vergingen, Minuten vergingen. Vielleicht sogar Stunden. Dann öffnete Liam den Mund. „Mia.“ Mehr brauchte es nicht. Nur der Klang meines Namens aus seinem Mund brachte alles zum Einstürzen. Die gesamte Fassade, die ich um mich herum aufgebaut hatte, um den Schmerz bloß nicht an mich heran zu lassen, bröckelte und ließ mich schutzlos zurück. Ich versuchte einen weiteren Schritt zurückzusetzen und dieses Mal klappte es. Ohne zu zögern drehte ich mich um und rannte. Erst als ich zitternd unter meiner Bettdecke lag stellte ich fest, dass ich die ganze Zeit über die Luft angehalten hatte. 

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