Als ich auf Edwin Hernandez zusteuerte, rutschte mir beinahe das Herz in die Hose. Ich hatte selten einer Person gegenüber gestanden, die solch eine Autorität ausstrahlte.
»Noah«, sagte ich eindringlich.
Er kehrte Edwin Hernandez den Rücken zu. Seine Augen wurden groß und sein Kehlkopf stach deutlich hervor. »Geh.«
»Nein«, murmelte ich. »Ich will dir helfen.«
»Ich will deine Hilfe aber nicht!«, fuhr er mich an.
Edwin Hernandez packte mit der Hand dorthin, wo ich einen Gürtel vermutete. Kurz darauf hatte er eine Pistole in den Händen. Er entriegelte die Waffe und richtete sie auf mich. Langsam schweifte mein Blick zwischen Noah und der Mündung der schwarzen Pistole hin und her. In einem Sekundenbruchteil hatte sich Noah mir zugewandt.
BANG.
Keuchend richtete ich mich wieder auf. Das war verdammt knapp gewesen. Mein Herz schien in meiner Brust zu explodieren.
Edwin Hernandez Finger krümmten sich um den Abzug. Noah ballte seine Hand zu einer Faust. Er packte Edwin Hernandez mit der linken Hand an der Schulter. Mit Rechts holte er aus und traf den Mann fest an den Schläfen. Er taumelte und drückt den Abzug erneut. Eine Kugel feuerte durch die Glasscheibe eines Fensters. Klirrend zersplitterte die Einschussstelle in seine Einzelteile.
Noah behielt die Nähe zu Edwin Hernandez bei. So konnte er ihm nichts anhaben. Noah krallte sich an dem Jackett fest und hob blitzschnell das Bein. Mit voller Wucht rammte er Edwin Hernandez das Knie in den Magen. Jetzt verdrehte er die Augen vor Übelkeit, schoss gleich zweimal. Scheppernd traf die Kugel auf die Stahltür, durch die ich hereingekommen war. Ich schlitterte hinter eine Kasse. Mein Steißbein prallte hart auf dem gefliesten Boden auf. Ich zog scharf die Luft ein und knallte mit dem Hinterkopf gegen ein Regal.
Würgegeräusche vertrieben mir den Schmerz. Ich spähte nach links und entdeckte Noah neben mir auf dem Fußboden knien. Blut tropfte aus seiner Nase und landete in den Fugen der Fliesen. Edwin Hernandez hockte hinter ihm, den Arm um Noahs Hals geschlungen. Tränen schossen mir in die Augen. Noah schielte zu mir, während sein Gegner ruckartig seinen Hinterkopf näher an seine Brust presste. Krächzend versuchte Noah, irgendwas zu mir zu sagen. Immer wieder gab er unverständliche Laute von sich.
Mein Kopf drohte zu platzen. Der Schwindel war unerträglich. Noah würgte. Der Druck auf seinen Hals wurde größer, seine Lider flatterten und er rang um Luft. Ich suchte den Boden ab, entdeckte die Waffe jedoch in Edwin Hernandez freier Hand. Er beobachtete mich. Sein Gesichtsausdruck war misstrauisch und giftig, ein wenig überheblich. Er würde nicht erwarten, dass ich mich wehrte.
Wütend ballte ich eine Faust und schleuderte ihm diese mitten ins Gesicht. Exakt dorthin, wo das Blut bereits aus der Wunde sickerte, die ihm Noah verpasst hatte. Der Griff um Noahs Hals lockerte sich schlagartig. Ich schlug gleich nochmal zu. Und nochmal. Und ein letztes Mal. Es tat furchtbar weh. Meine Handknöchel fühlten sich geschwollen an, wund, blutend.
Edwin Hernandez ging zu Boden. Ich rappelte mich auf und packte Noah an den Händen.
»Nein.« Röchelnd sah er mich an. »Du bist schneller alleine.«
Er hatte recht.
Jakes Stimme hallte in meinen Ohren nach. Julie, ich habe mit Agent Roberts gesprochen. Er beeilt sich, herzukommen.
»Ich komme wieder.«, versprach ich.
Noah nickte.
Da gingen die Türen auf. Lauter Scharfschützen mit Sturmgewehren im Arm betraten das Gebäude. Ich duckte mich automatisch.
Noahs Hand berührte meine.
»SWAT.« Seine Stimme war noch sehr mitgenommen.
»Was?«, flüsterte ich.
SWAT heißt nichts weiter als ›Special Weapons and Tactics‹. Das ist eine Spezialeinheit für besondere Gefahrensituationen. Das hatte Noah in Morris gesagt.
Ich erhob mich unter Tränen. Die Angst zwang mich in die Knie, doch ich hielt dagegen. Mit schweißnassen Händen hielt ich mich an einem Kassenband fest und machte einen der Scharfschützen auf mich aufmerksam. Auf seiner schusssicheren Sicherheitsweste waren tatsächlich die Buchstaben SWAT abgebildet. Der Helm war ebenso schwarz wie der Rest seiner Ausrüstung und aus diesen Gründen begann ich, zum ersten Mal auf dieser Reise echte Hoffnung gegenüber einer fremden Person zu schöpfen.
Das Heulen der Sirene hörte auf. Der Scharfschütze kam direkt auf mich zu. »Juliette, das Gebäude ist umstellt. Agent Roberts wartet draußen auf Sie.«
Ich schlug mir vor Erleichterung die Hände vors Gesicht. Schluchzend beugte ich mich zu Noah herunter. Meine Tränen benetzten seine blutverschmierte Haut. Er sprach so gut er konnte. »Geh.«
Und diesmal war dieses eine, so simple Wort erfüllt von Liebe und Zuneigung. Ich nahm seine Hand und hielt sie ganz fest. »Nicht ohne dich.«
»Es ist besser so.« Noah blickte sich um.
»Nein.« Ich seufzte. »Du kannst mitkommen. Es ist vorbei. Endlich ist das alles vorbei.«
Da folgte ich seinem Blick und plötzlich erfasste mich ein Schock, den ich wohl nie wieder vergessen könnte. Noah suchte nach etwas. Nach der Pistole. Er wollte Edwin Hernandez umbringen. Sich rächen. Endgültig dafür sorgen, dass dieser Kerl keinem Menschen auf dieser Welt noch etwas antun konnte.
»Tu es nicht.« Meine Kehle war wie ausgetrocknet. Mein Herz schmerzte. »Das willst du doch nicht wirklich.«
Seine Augen fanden meine. »Ich bin deswegen losgefahren.«
»Es ist nicht deine Aufgabe, ihn zu bestrafen. Das macht ein Gericht.«, erwiderte ich.
»Er verdient es nicht, zu leben.«
Ich verstand kaum ein Wort.
»Noah, das ist es nicht wert. Du setzt dein ganzes Leben aufs Spiel. Siehst du nicht, was du für eine fabelhafte Zukunft haben kannst? Aber nicht, wenn du das hier tust. Dann verlierst du alles, was dir jemals wichtig war. Deine Freiheit. Miles und Jake. ... Die Anerkennung deines Onkels, deines Dads ... und die Anerkennung deiner Mum.«, sagte ich.
Er zuckte fast unmerklich zusammen. Tränen rollten ihm über die Wangen. Mein Magen zog ich zusammen. Ich beugte mich vor und schloss Noah in meine Arme. Zuerst sträubte er sich dagegen. Ich spürte ganz deutlich, wie er seine Muskeln anspannte und sein Gewicht in die entgegengesetzte Richtung, weg von mir, verlagerte. Doch nach einigen Sekunden legte er seine Hände auf meinen Rücken und presste mich so fest an ihn, dass es beinahe wehtat.
»Ich liebe dich, Noah.«, wisperte ich unter klopfendem Herzen in sein Ohr.
Seine Brust erbebte, doch er rührte sich nicht. Ich hielt still, ließ die Zeit einfach vergehen und fühlte die Wärme seines Körpers an meinem.
DU LIEST GERADE
Nicht ohne dich
AdventureNoah ist so stur, so unberechenbar, so anders, als all diejenigen, die Julie bisher kannte. Und sie weiß, dass sie niemals eine Chance haben werden. Nicht nach dem Chaos, das Noah angerichtet hat. Nicht nach den Racheplänen, die er schmiedet. Doch w...