Kapitel 13

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Als ich nach dem Waschen zurück in die Küche ging, hatte Noah den Campingkocher aufgebaut. Eine Flamme züngelte unter einem kleinen Kochtopf aus mattem Edelstahl. Wir tauschten die Plätze. Noah machte sich nun auf den Weg ins Badezimmer und ich blieb in der Küche. In einer Stofftasche fand ich eine Dose mit Essen. Darauf bedacht, mich nicht an dem scharfkantigen Blech zu schneiden, öffnete ich die Dose und kippte den Inhalt in den Kochtopf. Mit einem Löffel rührte ich regelmäßig um, bis ein warmer Dampf aus dem Topf aufstieg. Mein Magen knurrte.

Noah kam aus dem Bad zurück. Den leeren Wasserkanister stellte er in eine Ecke und setzte sich mit gutem Abstand zu mir auf den Fußboden.

Schweigend warteten wir, bis das Gericht zu kochen begann. Dann schalteten wir den Campingkocher aus und füllten die Hälfte des Essens jeweils in eine Plastikschale. Völlig ausgehungert löffelten wir unser Essen. Anschließend schob mir Noah noch einen Cookie rüber.

Frisch gewaschen und satt lehnten wir uns zurück.

»Warum nutzt du eigentlich Wasserkanister?« Ich klang müde, obwohl ich im Auto einiges an Schlaf hatte nachholen können.

»Im Haus gibt es weder Strom, noch Wasser.«, antwortete Noah.

Er bemerkte relativ schnell, dass mir diese Antwort nicht genügen würde, also setzte er hinzu: »Nach dem Tod meines Onkels hat meine Tante Teresa das Haus geerbt. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber anscheinend begleicht sie die Rechnungen nicht mehr.«

»Lebte sie nicht hier?«, hakte ich nach.

»Die beiden waren beste Freunde in der Highschool. Nach dem Abschluss haben sie geheiratet. Irgendwann funktionierte die Beziehung nicht mehr und sie lebten getrennt. Trotzdem haben sie sich nie scheiden lassen.«

»Warst du viel bei deinem Onkel?«

Noah winkelte seine Beine an und stützte die Arme auf. »Ich bin bei ihm aufgewachsen.«

»Weshalb hat er nicht dir das Haus vererbt?«, fragte ich.

»Das hätte er vielleicht« Noah senkte den Blick. »Wäre er nicht so plötzlich gestorben.«

Angespannt pulte ich an meinem Daumen. Erst als ich dies realisierte, ließ ich die Hände in meinen Schoß sinken.

»Vor einem Jahr wollten wir unseren Grandpa zu Thanksgiving besuchen. Ich weiß noch, dass wir vollbepackt waren mit Süßkartoffeln und Kürbiskuchen. Meine Mom hielt den Truthahn im Arm. Conor, mein Bruder, hat ununterbrochen davon geredet, dass Grandpa und er Football gucken wollten.«, erinnerte ich mich und seufzte. »Aber Grandpa hat die Tür nicht mehr geöffnet. Dad ist schließlich durchs Fenster eingestiegen und fand unseren Grandpa tot im Badezimmer.«

Noah guckte mich stumm an.

»Er hatte wohl einen Herzinfarkt.«

»Das tut mir leid.«

»Braucht es nicht.«, sagte ich leise. »Er hatte ein tolles Leben, und er war der beste Grandpa, den wir uns hätten wünschen können. Bei ihm durften wir alles. Besonders Conor. Die beiden konnten ewig über Sport reden. Ich habe mich immer schnell aus dem Staub gemacht, damit mich keiner zum Football zwingt.«

Jetzt hoben sich Noahs Mundwinkel wie automatisch. In seinen Augen konnte ich einen warmen Glanz erkennen. So aufrichtig, dass ich nicht anders konnte, als ihn ebenfalls anzulächeln. Ich hätte nicht sagen können, wie lange wir uns so ansahen. Die Zeit verging, und es kümmerte uns nicht. Wir hatten schließlich nichts vor außer zu reden, zu essen und zu schlafen.

»Deine Wunde sollte neu versorgt werden. Ich hole den Verbandskasten aus dem Auto.«, sagte ich irgendwann.

Noah versteifte sich. Die Wärme in seinem Blick verschwand.

Mit den Händen drückte ich mich vom Fußboden hoch, wobei ich gegen etwas stieß, das unter einen der Küchenschränke gerutscht sein musste. Noah stand zeitgleich auf, also zog ich den winzigen Gegenstand herbei und steckte ihn wortlos ein.

»Du kannst nicht rausgehen.«, erklärte er mit einem Mal.

Ich richtete mich vollständig auf und lachte verwirrt. »Ich gehe doch nur den Verbandskasten holen.«

»Das geht nicht, okay?« Alarmiert lief Noah zur doppelflügligen Küchentür mit den goldenen Türknäufen. »Ich muss dem ganzen heute noch ein Ende setzen.«

Zuerst dachte ich, er wollte mich zu seiner Belustigung nervös machen. Beinahe hätte ich angefangen zu lachen, doch als ich die Ernsthaftigkeit in seinem Gesicht sah, und wie angespannt er aussah, wurde mir schlagartig klar, dass dies kein Spaß war. Es war bitterer Ernst. Noah hatte irgendetwas vor, und ich steckte mittendrin. Die ganzen Gespräche, die wir geführt hatten, waren nichts wert gewesen. Ein Ablenkungsmanöver, mehr nicht.

Schmerz flammte in mir auf. Ich bemühte mich, die Fassung zu bewahren und so zu tun, als wäre mir von Anfang an bewusst gewesen, dass dies nur ein Spiel war. Bloß nichts anmerken lassen. Einfach nur aushalten, genau wie bei Prüfungsangst.

Denn der einzige Weg hier raus, war, sich durchzuschlagen.

»Julie« Noah schien meine Veränderung wahrzunehmen.

Ich drückte den Rücken durch, um stärker zu wirken. »Also, was soll ich tun?«

Er wirkte irritiert.

»Soll ich den Lockvogel spielen? Willst du mich erschießen?«

»Was?« Seine Atmung beschleunigte sich.

»Ich kann auch wegrennen, falls dich das irgendwie ... herausfordert.«, sagte ich spitz.

»Julie« Seine Pupillen waren geweitet. »Wovon redest du?«

Stirnrunzelnd schaute ich Noah an.

»Was meinst du?«, wiederholte er. »Wieso erschießen?«

»Du wolltest dem ganzen doch ein Ende setzen.«, sprudelte es aus mir hervor. »Das hast du gesagt.«

»Gott, Julie.«, murmelte Noah. Er fuhr sich durchs Haar. »Ich würde dir niemals etwas antun.«

»Schwer zu glauben«, entgegnete ich kühl. »Nachdem du einen Mann angeschossen und mich als Geisel genommen hast.«

Kopfschüttelnd guckte Noah mich an. Er öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, aber schloss ihn letztendlich wieder, während er den Blick senkte und sich auf die Lippe biss. Ich war verwirrt und kraftlos, während mein Herz nicht zu Beben aufhören wollte. Ständig rotierten meine Gedanken. Wenn er mich nicht erschießen wollte, wem oder was wollte Noah dann ein Ende setzen? Was taten wir eigentlich an ausgerechnet diesem Ort, und wie würde ich jemals wieder nach Hause kommen?

Mein Magen verdrehte sich, als mich die Erkenntnis wie ein Schlag traf. Ich wusste nicht einmal die halbe Wahrheit. Noah hatte mich die gesamte Zeit über am langen Arm verhungern lassen und nur die Informationen preisgegeben, nach denen ich ausdrücklich verlangt hatte. Ich war so dumm. So verdammt dumm. Weshalb hatte ich mich überhaupt darauf eingelassen?

Weil ich keine Wahl gehabt hatte. Und ich hatte noch immer keine.

Nicht ohne dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt