Kapitel 35

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Meine Atmung ging viel zu schnell, und es gelangte nur stoßweise Sauerstoff in meine Lunge, sodass ich mich zeitweise fühlte, als würde ich mit Jakes Hand auf meinem Mund ersticken. Panisch schielte ich immer wieder zu der Lücke zwischen den Kartons. Es zerriss mir das Herz, zu sehen, wie Noah immer schwächer wurde. Zuerst lösten sich seine völlig verkrampften Hände von dem Hals des Gegners. Langsam fielen sie hinab, bis sie wieder neben Noahs müden Körper baumelten. Für den Bruchteil einer Sekunde flatterten seine Lider, und schließlich glitt Noah hinab auf den Boden, wo sein Kopf dumpf aufkam. Schmerz flammte in mir auf. Mit geweiteten Pupillen starrte ich ihn an, als könnte es etwas ändern, doch das tat es nicht.

Im nächsten Moment verlor Noah endgültig das Bewusstsein.

Miles war wie gelähmt. Einer der Männer packte ihn und presste ihm die Hände auf den Rücken. Fast automatisch drückte mich Jake fester an sich, damit ich es nicht schaffte, mich loszureißen. Zappelnd wie ein Fisch wand ich mich in seinen Armen, weil ich wollte, dass er mir zuhörte, aber er ließ es nicht zu.

Tränen quollen aus meinen Augen. Meine Wange berührte Jakes Brust, die wie verrückt bebte.

»Nicht, Julie«, wisperte Jake in mein Ohr. »Beruhige dich.«

Jede Faser meines Körpers war in Alarmbereitschaft übergegangen. Ich fasste mir an den Hals und ließ meine Hand zu meiner Schulter wandern. Mein Brustkorb schien zu platzen, und ich bemühte mich, immer langsamer und ruhiger zu atmen, sodass Jake nach wenigen Sekunden die Hand von meinem Mund nahm. Möglichst lautlos hob ich den Kopf von seiner Brust, stützte mich mit dem Arm auf dem Boden ab und drehte mich ein Stück. Jakes tiefbraune Augen blieben an mir hängen. Ich sah seine aufgeplatzte Lippe, das kurze, dunkelblonde Haar und zum ersten Mal nicht bloß den misstrauischen, unberechenbaren Jungen in ihm, der sich stets unmöglich und fast so verhielt als hätten ihm seine Eltern keine Manieren beigebracht.

Ein Geräusch aus Richtung Miles und Noah ließ uns zusammenfahren. Gemeinsam spähten wir durch die Lücke zwischen den Kartons. Der eine Mann hielt Miles am rechten Arm fest und zog ihn mit sich. Der Andere hatte sich Noahs schlappen Körper gekrallt und schleifte ihn neben sich her. Ich konnte hören, wie Jake die Zähne zusammenbiss. Mein Blick ging zu der Tür, die in den Verkaufsraum führte. Sie blieb fest verschlossen, während sich einer der Männer mit Miles im Schlepptau an den Lastenaufzügen zu schaffen machte.

Das war der Moment, in dem Jake aufsprang und hinter den Kartons hervor stürmte. Er riss die Pistole aus seinem Hosenbund, lud sie und baute sich vor den Männern auf. Miles begann, sich zu drehen und zu winden, und rammte dem Gegner seinen Ellbogen in die Seite. Hastig guckte ich mich um. Nichts. Bloß Plastikfolie und Kisten. Mein Herz schlug mir bis zum Hals.

Miles verpasste seinem Gegner einen Schlag ins Gesicht, sodass dieser für den Bruchteil einer Sekunde ins Taumeln geriet, bevor er sich wieder fing, um sich an Miles zu rächen. Jake richtete die Waffe auf den Mann, da ließ der zweite Kerl endlich Noah fallen und stürzte sich auf Jake. Reflexartig schoss ich in die Höhe. Ich griff nach einem der kleineren, leeren Kartons und rannte auf meine Freunde zu. Jake fiel zu Boden, wo er unsanft auf dem Rücken landete. Sein Gegner befand sich über ihm. Noch im Gehen stülpte ich dem Mann den Karton über und drückte mit all der Kraft, die ich aufbringen konnte, auf den Kartonboden, um dem Kerl jegliche Möglichkeit zu rauben, sich wieder aus der nach Pappe riechenden Dunkelheit zu befreien. Jake verpasste dem Mann, der ihn niedergerungen hatte, einen Tritt gegen das Schienbein. Und dann noch einen. Diesmal traf Jake die Knie des Mannes, und dieser gab Laute des Schmerzes von sich. Jeder Ton riss mein Innerstes entzwei und ich ließ den Karton los, während sich der Mann auf dem Fußboden krümmte.

Plötzlich wurde ich gepackt. Miles Gegner hatte mich an den Haaren erwischt. Starke Schmerzen malträtierten meine Kopfhaut, und ich schlug um mich, während ich mich instinktiv dem Feind näherte, damit das Ziehen endlich aufhörte. Seine freie Hand, bis über das Handgelenk tätowiert, presste er an meinen Hals.

Jake griff nach der Pistole, die ihm zwischenzeitlich aus den Händen geglitten war. Innerhalb von drei Sekunden war er wieder auf den Beinen und verpasste meinem Gegner mit dem Griff der Waffe eine derartige Kopfnuss, dass der Kerl tatsächlich ins Wanken geriet. Er ließ von meinen Haaren ab, und packte Miles am Kragen, ehe sich dieser losreißen konnte. Jake holte aus und seine Faust schnellte dem muskulösen Mann mit solcher Wucht ins Gesicht, dass ihm Blut zwischen den Zähnen hervorquoll und aus seinem Mund hinaus, bis über sein Kinn lief. Wutentbrannt tastete der Mann nach seiner Waffe. Seine markanten Gesichtszüge waren angespannt und Schweißperlen verhedderten sich in seinen kurzen Haaren.

Ich rannte los. An der Tür zum Verkaufsraum betrachtete ich das Touchpad. Hektisch guckte ich mich um, bevor ich 4 7 1 3 eingab und auf ein bestätigendes Geräusch wartete. Fast zeitgleich knackte es in der Tür und ich drehte den Knauf, ohne an die Fingerabdrücke zu denken, die ich hinterlassen würde.

Jake hockte sich neben Noah. Robust rüttelte er an den Schultern seines besten Freundes, bevor er den bewusstlosen Noah packte und mit ihm zur Tür eilte. Da sprintete Miles auch schon auf uns zu. Nach Luft japsend überholte er mich. Jake drückte ihm die Waffe in die Hand.

So schnell wir unter diesen Umständen konnten, liefen Jake und ich, Noah stützend, durch den Supermarkt. Mittlerweile waren die Eingangstüren verriegelt und der lange Gang vor den menschenleeren Kassen wirkte wie aus einem Horrorfilm, in dem die Menschheit schon lange ausgerottet war und sich nur noch Zombies auf der Erde und in den verlassenen Gebäuden bewegten.

Vor den verschlossenen Türen hielten wir inne. Jake schaute sich suchend um. Wir brauchten Schutz. Eine Wand, eine Mauer oder notfalls auch eine halbhohe Kasse, hinter der wir Deckung suchen konnten.

Plötzlich fiel ein Schuss. Ich erstarrte zu Eis.

Jake zerrte Noah und mich hinter eine der Kassen, wo wir uns sofort duckten. Mein Magen brannte und rotierte schon wieder, und ich spürte meinen Puls rasen.

Ein weiterer Schuss ertönte. Dann hörten wir quietschende Schuhsohlen auf den Fliesen, und schlagartig tauchte Miles auf. Hilfesuchend blickte er sich um. Als sein Blick auf uns fiel, atmete Miles auf. Kurz entschlossen rüttelte er an der verriegelten Tür, und als das alles nichts brachte, richtete Miles die Pistole auf das Schloss und schoss, sodass es aufsprang und wir in die Freiheit hinausstürmen konnten.

Der unabgeschlossene Chevrolet stand direkt neben dem Eingang. Jake öffnete die Hintertür und ich sprang mit eingezogenem Kopf in den Wagen hinein. Zu zweit versuchten wir, Noah neben mich zu bugsieren. Nach einer Minute war es geschafft. Jake öffnete die Autotür und setzte sich auf den Fahrersitz. Ohne zu zögern ließ er den Motor an, während Miles um den Geländewagen herumlief. Ich verkrampfte mich und tastete vorsichtig mit zwei Fingern nach Noahs Halsschlagader.

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