Kapitel 18

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Tränen der Hilflosigkeit rollten über meine Wangen. Der salzige Geschmack breitete sich auf meinen trockenen Lippen aus. Fieberhaft überlegte ich, was uns in dieser Lage noch helfen könnte, da überraschte Noah mich. Er streckte beide Arme mitsamt der Waffen in die Luft. Die Mündung richtete sich gen Himmel, und die Polizisten näherten sich uns siegessicher. In meinem Gehirn ratterte es, doch die Aufregung brachte mich wieder und wieder durcheinander. Noah ließ den Revolver fallen. Die tödliche Waffe landete im Gras, weit genug entfernt von den Polizisten, jedoch nah genug am meinem Fuß, als dass ich ihn mir hätte nehmen können.

Mit bebendem Herzen trat ich an Noah heran. Die Polizisten hatten uns fast erreicht.

Würde Noah nun auch die Pistole fallen lassen, wäre alles aus. Intuitiv bückte ich mich. Plötzlich hörte ich die Polizisten miteinander kommunizieren. Entweder würde man mir gleich eine Pistole an die Schläfen pressen oder ich würde blutend und mit einer Kugel in der linken Brust umkippen. Doch nichts geschah. Schließlich war Noah noch immer bewaffnet.

Ich packte den Revolver und umschloss ihn fest mit meinen Fingern. Meine Handflächen wurden feucht bei dem Gedanken, dass nur ein kleines bisschen Druck am Abzug ein Menschenleben beenden könnte. Intuitiv richtete ich die Waffe auf die Polizisten. Jetzt war ich nicht mehr das unschuldige Mädchen, dass als Geisel unterwegs war. In diesem Moment hatte ich mich selbst und bei vollem Bewusstsein zur Mittäterin gemacht.

Noahs Augen ruhten auf mir. Das spürte ich, obwohl ich mich auf meine Gegner konzentrierte. Er schien mir nicht zugetraut zu haben, so selbstsicher mit einem Revolver umzugehen. Dass ich absolut keinen Durchblick hatte, versteckte ich demnach ziemlich gut.

»Lassen Sie die Waffe fallen!«, sprach einer der Polizisten. Ich dachte nicht im Traum daran, ihm gehorsam zu sein.

Stattdessen richtete ich den Revolver blitzschnell in Richtung des Himmels und drückte den Abzug. Der Schuss war ohrenbetäubend. Adrenalin flutete meine Venen, während ich noch mit dem erstaunlicherweise sehr starken Rückstoss des Revolvers zu kämpfen hatte.

Irgendwer sagte meinen Namen. Noah. Ich konnte ihn nicht richtig verstehen. Der Druck auf meinen Ohren war zu groß, und die Konzentration kostete mich all meine Kraft.

»Lauf«, sagte ich und nahm meine eigene Stimme nur gedämpft wahr. »Lauf!«

Als Noah nicht reagierte, schob ich mich vor ihn und drängte ihn zurück. Er ließ es sich gefallen, sonst hätte ich ihn selbst mit größtem Kraftaufwand kein noch so winziges bisschen bewegen können. Ein Polizist nahm Noah ins Visier. Hastig senkte ich den Revolver bis zum Gesicht des Beamten. Ich war schon immer gut im Zielen, auch wenn das hier etwas völlig anderes als Dart in den Schulpausen war.

»Jetzt mach schon!«, wiederholte ich, beinahe ärgerlich. In meinen Ohren knackte es, als ich schluckte, und plötzlich verschwand das Gefühl, alles zu hören, als wäre ich unter Wasser.

Noah wollte etwas sagen, da brachte ich ihn durch eine eilige Handbewegung zum Schweigen. Professionelle Killer waren wir nicht, das hatten die Polizisten längst verstanden. Vielleicht sollte ich aus diesem Grund noch einen Schuss obendrauf legen. Nur, um mir etwas mehr Respekt zu verschaffen.

Ich schoss ein weiteres Mal in die Luft, da konnte ich im Augenwinkel erkennen, wie sich Noah langsam zurückzog. Ohne mich würde ihn nichts mehr aufhalten. Er würde den Fluss überqueren, den Hang hinaufklettern und rennen, bis er endlich in Sicherheit wäre. Was auch immer sein Plan war, solch eine Chance würde Noah vielleicht nie wieder bekommen, um ihn in die Tat umzusetzen.

Obwohl ich meine Entscheidung keineswegs bereute, war der Anblick, der sich mir nun bot, erschreckend. Ich stand mutterseelenallein vor einer Schar an Polizisten, die mich leicht geduckt umkreisten. Der Fluchtweg, den Noah genutzt hatte, war nun versperrt, und sie näherten sich mir konsequent.

Meine Augen huschten zum Wald. Ein Polizist mit relativ breiten Schultern starrte mich von dieser Seite aus an. Die Vögel zwitscherten wieder munter, so als würde mein Leben nicht gerade den Bach heruntergehen. Ich wünschte, die Sonne würde nicht scheinen, und es würde regnen. Tränen kullerten mir über die Wangen. Ich sehnte mich nach Kälte, nach einem tristen Himmel, der nicht so strahlend blau wie heute war, und dass die Bäume ihre grünen Blätter wieder verloren, als wäre es Herbst.

Diesen Mai hätte mein Leben erst richtig beginnen sollen. Nach der Krankheit meiner Mum hätten wir zum ersten Mal wieder einen kleinen Ausflug machen können. Vielleicht zum See, oder einfach nur ein Picknick in unserem Garten. Mit einigen Schulfreunden hätte ich den Führerschein gemacht. Eigentlich hätte auch eine Reise nach Texas stattfinden sollen. Wie sollte ich meiner besten Freundin erklären, dass ich in Straftaten verwickelt war? Würden wir überhaupt noch Freunde sein, wenn ich lebend aus dieser Situation herauskam?

Und zu allem Übel verpasste ich auch meine Abschlussprüfungen. Aufgrund einiger Schwierigkeiten waren diese bereits verschoben worden. Noch einmal ginge das nicht - erstrecht nicht für eine Straftäterin wie mich -, und in einem Monat wäre das Halbjahr vorbei.

Meine Knie drohten unter meinem Körper nachzugeben, aber ich zwang mich, durchzuhalten. Ich war Noahs Ablenkung. Solange ich existierte, würde man ihn in Frieden lassen. Dieser Gedanke beruhigte mich zunehmend und gab mir mehr Kraft, als ich mir jemals eingestanden hätte.

Mein Dad war früher oft spazieren gegangen. Manchmal war ich dabei gewesen. In Gedanken hatte ich immer ausgerechnet, wie lange wir für eine bestimmte Strecke brauchten. Die Lösung meiner Rechnungen, war wie eingebrannt in mein Gehirn: Circa zehn Minuten für eine halbe Meile. Das hieß, wenn Noah rannte, könnte er vielleicht schon eine ganze Meile hinter sich gebracht haben, aber auf keinen Fall mehr als anderthalb, denn den Hang hinaufzuklettern würde ihn enorm viel Zeit kosten.

Ich guckte die Polizisten der Reihe nach an. Zuerst diejenige vor mir, dann drehte ich mich einmal um die eigene Achse. Es würde sich nicht lohnen, noch einmal zu schießen. Irgendwann würden sie realisieren, dass ich keine wahrhaftige Bedrohung war, sondern bloß ein Ablenkungsmanöver.

Langsam, wie in Zeitlupe, hob ich die Arme. Ich stand breitbeinig auf der Wiese, sodass ich es schaffte, trotz der Hitze und meines wiederkehrenden Schwindels, das Gleichgewicht zu halten. Meine Finger lockerten sich um den Griff der Waffe. Erst jetzt fiel mir auf, wie verkrampft ich sie festgehalten hatte, denn meine Hand war schon ganz steif. Der Revolver glitt mir aus der Hand, und in dem Moment stürzten sich die Polizisten auf mich.

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