Kapitel 71

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»Da ist eine Bombe!« Meine Stimme war dem Versagen nahe. »EINE BOMBE! LAUFT!«

Aber ich sah nichts. Kein SWAT-Team. Nur Rauch und Dunkelheit. Und ich bekam kaum Luft. Also lief ich los. Im Rennen packte ich den Griff der aufgebrochene Tür, durch die wir ins Gebäude gelangt waren. Sie knallte gegen die Wand und ich stürmte ins Freie. Außer Atem hielt ich inne und wandte mich dem Gebäude zu. Sonnenstrahlen fielen auf das Blech. Es waren keine Menschen zu sehen. Ich raufte mir die Haare, dann näherte ich mich erneut der Tür. Mein Herz bebte. Du kannst sie da drin nicht sterben lassen, Julie.

Für eine Sekunde war alles ruhig. Kein Vogel zwitscherte, kein Motorengeräusch brach die Stille. Ja, es hatte tatsächlich etwas friedvolles an sich. Ich hielt mich an der Zarge fest, bevor ich einen weiteren Schritt in das Gebäude machte.

Und dann geschah es. Schneller, als ich einen klaren Gedanken fassen konnte. Ein ohrenbetäubender Knall zerriss die Stille und sprengte ein gewaltiges Loch in das Dach des Gebäudes. Trümmer flogen mit solcher Wucht durch die Gegend, dass sie mich mühelos in Fetzen hätten reißen können. Ich riss intuitiv die Hände hoch, während mich eine wahnsinnige Druckwelle nach hinten schleuderte. Dumpf kam ich auf dem Asphalt auf. Zuerst fühlte ich nichts. Ich blinzelte bloß, starrte in die orangerot flackernde Wolke aus Stahlträgern und Blech. Schwarzer Qualm stieg auf und erstickte die Flammen. Meine Augen tränten und brannten, meine Ohren waren taub. Alles geschah wie in Zeitlupe und es fühlte sich nicht an, als könnte es jemals enden.

Mein Gesicht war betäubt von der Hitze. Die Temperaturen im Inneren des Lagerraumes mussten bereits so hoch angestiegen sein, dass sie sich ohne weiteres in ein flammendes Inferno hätten verwandeln können. Jeder Mensch samt Fleisch und Blut hätte gebrannt wie Reispapier, würde der Rauch nicht alles ersticken, was er in seine Klauen kriegte.

Krachend stürzte ein weiterer Teil des Daches ein. Eine neue Flamme züngelte. Das Feuer weitete sich aus und griff auf den bislang unbeschädigten Teil des Gebäudes über. Funken flogen und der Wind blies sie mitsamt des Rauchs über die Häuser der Stadtbewohner hinweg. Keuchend holte ich Luft. Es war, als erstickte ich in dem Qualm und der einzig schwarzen Wolke, die man sicherlich etliche Meilen weit sah.

Ich stützte die Ellenbogen auf und fasste mir an die Stirn. Frisches Blut und wundes Fleisch streiften meine zitternden Finger. Ich stöhnte vor Schmerz auf, der sich in meinem gesamten Körper ausbreitete, aber gab alles, um mich einigermaßen aufzurichten. Mit gekrümmten Rücken blieb ich stehen. Mein Schädel brummte wie verrückt. Ich guckte an mir herunter. Meine Knie bluteten. Die Hose war hinüber. Die Festplatte lag fest in meiner Hand.

Sirenen ertönten lautstark. Ich setzte mich in Bewegung. Mein Herz raste. Das Adrenalin betäubte mich und machte den Schmerz erträglicher. Humpelnd quälte ich mich um die Ecke. Der Eingang für Lieferanten brannte lichterloh. Ich kam mir vor wie ein Soldat, der aus dem Krieg zurückkehrte. Hinter mir lag die Welt in Schutt und Asche, neben mir brannte es, aber ich richtete den Blick in die Zukunft.

Die Feuerwehr rückte an. Das grelle Blaulicht blendete mich. Ich kniff die Augen zusammen, als ich endlich den Haupteingang erahnen konnte. Streifenwagen standen dort. Zwei Großraumfahrzeuge. Drei Feuerwehrautos. Keine Frau ohne Uniform, die sich als Teresa herausstellen könnte.

Ich erkannte Agent Roberts mit Jacke des FBI. Er lehnte frustriert an einem Polizeiwagen neben einigen Überlebenden seines SWAT-Teams und unterhielt sich leise und sichtlich ernst mit Jake. Dieser gestikulierte und zeigte nachdenklich auf das Gebäude vor sich. Plötzlich kämpfte sich eine Gestalt aus dem qualmenden Eingangsbereich heraus. Er hatte Not, sich überhaupt auf den Beinen zu halten. Hustend verlor er das Gleichgewicht und stolperte Agent Roberts beinahe in die Arme. Dieser hatte bereits die Waffe gezückt und holte seine Handschellen hervor.

Ein junger Mann stürmte erst torkelnd, dann zielsicher auf die beiden zu. Er holte aus, doch jemand packte seine Hand, zerrte ihn herunter und drückte seine Faust auf den gepflasterten Untergrund, bevor diese Edwin Hernandez das Nasenbein gebrochen hätte. Da erkannte ich ihn. Zerschrammt und mit blauem Auge; Noah. Er sank auf die Knie. Miles tat es ihm gleich.

Agent Roberts packte Edwin Hernandez wenig zimperlich an den Armen, drückte diese grob auf dessen Rücken und legte ihm die Handschellen an.

»Sie haben nichts gegen mich in der Hand!«, stieß Edwin Hernandez keuchend hervor.

Noah war drauf und dran, wieder auf ihn loszustürmen.

»Hör auf, dich zu wehren.« Miles krümmte seine Finger um Noahs. Er hatte einiges damit zutun, seinen besten Freund zu beruhigen.

»Genau.« Jake rieb sich den Nacken und blickte langsam auf. »Du hast ihm schon eine verpasst. Das reicht für heute. Und außer-«

Er stockte und seine Pupillen weiteten sich, als er mich sah. Erleichterung spiegelte sich in Jakes meerblauen Augen wieder. Ehrliche Erleichterung, weil ich dies überlebt hatte, obwohl mir alleine der Aufprall nach der Explosion das Genick hätte brechen können.

»Julie!«, rief Jake.

Ich hielt einen Moment inne. Irgendwas an meinem Fuß fühlte sich ungesund verdreht an. Meine wunden Knie brannten und der stinkende Qualm stieg mir in die Nase. Da wurde mir klar, was es für ein Wunder war, dass ich überlebt hatte. Wie unglaublich es war, dass wir überhaupt alle noch auf dieser Welt waren. Und, dass ich genau so verzweifelt gewesen wäre wie Noah, als er eben auf Edwin Hernandez hatte losgehen wollen. Er hatte sich sicherlich bis ins kleinste Detail ausgemalt, wie dieser Mann nach seiner Familie auch mich getötet hätte. In die Luft gesprengt hätte er mich. Sodass mich ein Gerichtsmediziner in tausende Einzelteile zerstückelt kaum bis gar nicht mehr hätte identifizieren können. Was für ein Arschloch. Ich konnte mir nicht verkneifen, ihn in Gedanken so zu nennen.

»Du lebst!«, rief Jake überwältigt, jedoch erleichtert.

Miles wirbelte herum. Noah drehte den Kopf.

Schwach lächelte ich.

»Ich habe etwas für euch.«, sagte ich schnell und spürte den Schmerz in meinen Ohren wieder ganz deutlich.

Gespannt guckten mich die drei Jungs an.

Vorsichtig hob ich den Arm und zeigte ihnen, was sich in meiner Hand befand. Miles schossen Tränen in die Augen.

»Die Festplatte« Er lachte und trat dichter, um mich zu stützen, bevor mir die Beine unter dem Körper wegbrachen.

Auch Jake ließ sich zu einem erleichterten Lachen hinreißen. Noah atmete noch immer schwer. Seine Augen waren gerötet und das Gesicht schmerzverzerrt. Tränen rollten mir aus den Augenwinkeln und die Wangen herunter. Wir hatten es geschafft. Die Beweise, um einen grausamen Straftäter und all seine Komplizen hinter Gitter zu bringen, lagen in unseren Händen.

Agent Roberts knallte die Tür des Polizeiwagens hinter dem verhafteten Edwin Hernandez zu. Sein Blick huschte zu Noah, Miles, Jake ... und zu mir. Kurz schloss er die Augen, bevor er sie wieder öffnete und sich mit der Hand über den Mund fuhr. Es war, als könnte er gar nicht glauben, dass ich am Leben war.

»Gott sei Dank.«, hörte ich Agent Roberts murmeln. Er drehte sich ein Mal um die eigene Achse. »Wir brauchen einen Sanitäter!«

Nicht ohne dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt