Kapitel 67

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Die Fahrt verging wie im Flug, und als Jake auf den Parkplatz fuhr, fühlte es sich an wie gestern, das wir zuletzt hier gewesen waren.

Er parkte relativ weit hinten, mittig, zwischen zwei fremden Autos. Noah öffnete das Handschuhfach und zerrte eine kleine Stofftasche heraus. Er wies uns an von hinten unter die Vordersitze zu greifen. Zum Vorschein kamen in einem Rucksack insgesamt vier Störsender, ein Akkuschrauber mit Aufsatz zum Bohren, Schraubenzieher, eine Sprühflasche mit Öl und eine einzeln unter dem Beifahrersitz verpackte Rauchbombe.

Miles packte seinen Laptop aus. Nach dem Hochfahren klickte er eine App an. Das Programm startete und seine Augen huschten von einem Icon zum Nächsten. Es faszinierte mich ungemein, wie gut er darin war. Mit einem Klick auf dem Touchpad minimierte Miles das Fenster und der Desktop erschien wieder. Seine linke Hand verweilte auf der Tastatur. Er öffnete ein weiteres Programm. Daraufhin wurde der Bildschirm pechschwarz und ein Quellcode erschien. Spätestens ab hier war ich völlig raus aus dem Thema, doch Miles tippte fleißig auf der Tastatur. Es sah aus, als würden sich seine flinken Finger gleich überschlagen.

Jake inspizierte derweil die Rauchbombe.

»Pass auf. Gleich sitzen wir im Nebel.«, mahnte Miles über den Rand seines Laptops, ehe er sich wieder auf seine Arbeit konzentrierte.

Jake verzog den Mund und stopfte die Rauchbombe zurück in den schwarzen Rucksack.

»In Ordnung. Die Alarmanlage ist ausgeschaltet und die Öffnungssensoren außer Gefecht gesetzt.«, sagte Miles lässig und klappte den Rechner zu.

»Das war unglaublich.« Beeindruckt sah ich ihn an.

Er machte eine wegwischende Handbewegung, die sein Talent mehr in den Schatten stellte, als sie es eigentlich tun dürfte. Anschließend stiegen wir aus. Ich blickte mich um. Das graue Gebäude mit den roten Akzenten war mehrgeschossig. Vor den Eingangstüren, über denen ein riesengroßes Schild mit Aufschrift ›Danny's Grocery‹ in großen, roten Lettern hing, befanden sich reihenweise Einkaufswagen unter einer schlichten Überdachung. Das wusste ich noch aus meiner Erinnerung. Wir befanden uns derzeit allerdings beim verschlossenen, jedoch gut einsehbaren Seiteneingang.

Noah zog sich die Kapuze über sein braunes Haar. Danach lotste er uns zu der Rückseite des Gebäudes. Wir bildeten eine Schlange mit Jake als Schlusslicht und gaben unser bestes, uns möglichst nahe der Außenwand des Supermarktes aufzuhalten, um keinem Zulieferer auf der Straße im Weg zu sein und den Überwachungskameras zu entgehen. Im Eilschritt steuerten wir auf den Eingang zu, der sich hinter den Müllcontainern befand. Ein monströser Lastkraftwagen mit langer Motorhaube rauschte an uns vorbei. Ich lehnte mich möglichst flach an die Außenwand und schaute um die Ecke. Mindestens drei Güter standen unberührt an der rechten Straßenseite. Dahinter parkte gerade ein Truck vor der Be- und Entladestelle.

»Alles okay, es kommt keiner.«, flüsterte ich.

Noah zog den Reißverschluss des Rucksackes auf. Sein Blick wanderte die gesamte Hauswand entlang, bis er zielstrebig einige Meter weiterging und einen der Störsender an der Seite des Müllcontainers platzierte. Miles holte seinen Laptop heraus. Im knien tippte er auf der Tastatur, bis er schließlich den erhobenen Daumen zeigte. Das bedeutete, dass die Kameras ab jetzt bloß noch ein unbrauchbares Störbild anzeigten.

Noah ließ den Rucksack auf den Boden sinken. Er griff sich den Akkuschrauber und befestigte den Metallbohrer. Für den Bruchteil einer Sekunde betrachtete Jake das Schloss. Fachmännisch griff er nach der Sprühflasche mit dem roten Sprühkopf, der lang und ähnlich wie ein dünner Strohhalm hervorragte. Kurzerhand drückte Jake auf den roten Knopf. Zischend gelangte das Öl an die Luft, traf leicht schäumend auf das Schloss. Noah übergab Jake den Bohrer. Er setzte an und begann, das Schloss aufzubohren. Metallsplitter lösten und sammelten sich um das Schloss herum. Besorgt drehte ich mich einmal um mich selbst. Es kam niemand.

Jake sprühte Öl auf das bisherige Loch im Schließzylinder. Danach bohrte er erneut. Wieder sammelten sich Metallsplitter an der Öffnung. Jake legte den Bohrer aus der Hand, kniete sich auf die Pflastersteine und zog einen Schraubenzieher aus der Seitentasche des Rucksacks heraus. Geschickt setzte er ihn am Schloss an und drehte es auf, als wäre der Schraubenzieher der passende Schlüssel.

»Okay, fertig.« Jake stand auf und klopfte sich die Hände an der dunkelblauen Jeans ab. Er legte die Hand auf den Türknauf. Selbstsicher drückte er ihn herunter und überschritt als erster die Türschwelle.

Im Inneren des Gebäudes angekommen, platzierte Noah sofort einen Störsender an der Wand. Jake schloss die Tür hinter uns. Seine Augen suchten die Gegend um die Lastenaufzüge herum ab. Miles blieb vorsichtshalber hinter mir stehen. Er hatte den wichtigsten Job; Die Daten zu stehlen. Was auch geschehen würde, wir mussten ihm Deckung geben.

Noah zog ein Feuerzeug aus der Tasche seiner Sweatjacke. Die Kapuze warf einen Schatten über sein Gesicht. Sein Blick konzentrierte sich auf die Rauchbombe in seiner linken Hand. Die kleine Flamme des Feuerzeuges züngelte und erreichte mühelos die Lunte. Sofort begann sich ein leichter Nebel auszubreiten. Er enttarnte die roten Linien in der Luft, die Lichtschranke, die uns letztes Mal eine Schlinge um den Hals gelegt hatte.

Miles und ich tauschten einen Blick. Dann liefen wir los. Über meine Schulter hinweg guckte ich zu Noah, der sich mit festen Schritten zur Tür begab. Er würde sich um Edwin Hernandez kümmern. Jake würde in diesem Raum warten, um gegebenenfalls ein Ablenkungsmanöver zu starten.

Ein Tippen an meinem Arm erinnerte mich wieder an Miles. Wir wichen den Laserstrahlen aus und öffneten die Tür zum Serverraum. Die grelle Deckenbeleuchtung ging an. Staunend sah sich Miles um. Überall an den Wänden befanden sich Kabel und Geräte, die blinkten und leise surrten. Es war atemberaubend.

»Sieh dir das an«, riss mich Miles staunend aus den Gedanken.

Ich stellte mich neben ihn an einen weißen Tisch. Er klappte seinen Laptop auf und zerrte ein Kabel aus seiner Hosentasche. Dieses Kabel stöpselte er mit einem Ende in eines der blinkenden, flimmernden Geräte, mit dem anderen Ende in seinen Laptop. Anschließend verband er eine Festplatte mit seinem Laptop und sorgte dafür, dass die Daten aus diesem Raum über seinen Laptop auf die Festplatte übertragen wurden.

»Was kann ich tun?«, flüsterte ich.

Miles zeigte mir den Ladebalken auf dem Bildschirm. »Das sind ziemlich große Datenmengen. Wir brauchen mehr Zeit.«

»Ich sage es Jake.«, erwiderte ich.

»Danke.« Miles widmete sich wieder seinem Rechner und ich lief los.

Nicht ohne dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt