Kapitel 11

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Inzwischen war es stockdunkel draußen. Noah war auf dem Fahrersitz eingeschlafen. Ich hingegen wälzte mich von einer Seite auf die andere. Vollkommen übermüdet lehnte ich die Stirn gegen das kühle Fenster. Die Scheibe war beschlagen, sodass ich mit meinem Zeigefinger wilde Muster auf ihr hätte zeichnen können. Doch ich war viel zu müde und hungrig. Morgen früh mussten wir unbedingt etwas zu essen auftreiben, sonst würde ich nicht mehr lange durchhalten. Glücklicherweise schien es Noah ähnlich zu gehen. Er war nicht sehr begeistert gewesen, nachdem wir uns mein letztes Sandwich geteilt hatten.

Gähnend ließ ich meinen Kopf vom Fenster zum weichen Stoffsitz gleiten. So war es definitiv gemütlicher. Das leichte Frösteln, das auf meinen Armen lag, verschwand langsam. Eine wohlige Wärme breitete sich in meinem ganzen Körper aus. Unfassbar, dass wir schon zwei Tage unterwegs waren. Was hatte ich wohl im Unterricht verpasst? Redeten die Schüler über mich?

Eigentlich hätte es mir gleichgültig sein können, was man über mich sagte. Für die meisten Menschen war ich nur ein Gesicht, dass sie einmal gesehen hatten. Es würde sich in einem Jahr kaum jemand mehr an mich erinnern. Neue Nachrichten, Erfahrungen und Bekanntschaften fluteten täglich unsere Gehirne. Das war bei jedem so, und jeder würde vergessen werden. Begonnen als Baby, das niedlich im Einkaufswagen saß und die nette Kassiererin anlächelte, als Teenager, der entgegen aller Erwartungen einer alten Dame über die Straße half, bis hin zum Erwachsenen. Schon am Abend hatte man uns vergessen. Jede gute Tat. Nur die schlechten nicht ganz so schnell. Doch selbst diese könnte man uns nicht ewig vorhalten. Man könnte uns höchstens mit dem Tode bestrafen.

Tränen brannten in meinen Augen, während ich daran dachte, wie gerne ich alleine war, weil ich es mochte, wenn endlich mal niemand mehr etwas zu mir sagte, und dass es sicherlich Menschen auf dieser Welt gab, die den ganzen Tag mit niemandem sprechen konnten, es sich aber so sehr wünschten.

»Bist du immer noch wach?«, hörte ich Noah leise fragen.

Ich blickte zu ihm herüber.

»Ich kann nicht schlafen. Zu viele Gedanken.«, flüsterte ich.

»Harvard?« Aus seiner durchs Flüstern noch raueren Stimme war Belustigung herauszuhören.

Augenverdrehend lächelte ich.

Dann drehte ich meinen Kopf, sodass ich wenigstens Noahs Umrisse sehen konnte. »Tut dein Arm noch weh?«

»Nein«, erwiderte er distanziert.

Zögernd sah ich ihn an. Es war, als würden sich Eiseskälte und die größte Wärme in diesem jungen Mann vereinen. Jeder Schritt nach vorne bedeutete wieder einen Schritt zurück.

»Falls du rote Striemen auf deiner Haut entdeckst, ist das eine Sepsis.«, sagte ich vorsichtig. »Pass auf dich auf.«

»Alles ist gut. Ich habe keine Blutvergiftung und ich werde auch keine kriegen.« Noah zog seinen Pullover von der Kopfstütze. Ehe ich mich abwenden konnte, hatte er sich auch schon das T-Shirt über den Kopf gezogen. Mir wurde schwindelig, und mein Herz pochte wie wild in meinem Brustkorb. Ich biss mir auf die Unterlippe und starrte auf das Armaturenbrett, in der Hoffnung, er würde sich gleich wieder etwas anziehen.

In aller Ruhe hängte Noah das, vom Regen feucht gewordene, T-Shirt notdürftig über die Kopfstütze. Es schien ihn nicht sonderlich zu interessieren, dass er nun oberkörperfrei neben mir im Auto saß. Vielleicht war das hier keine Premiere für ihn, weil er schon mit etlichen Mädchen zusammen gewesen war. Bei dem Gedanken spürte ich ein Ziepen in meiner Brust und wie mir ein wenig gleichgültiger wurde, was er tat. Gut so. Ich sollte öfter über die Leichen in seinem Keller nachdenken. Oder über seine Verflossenen.

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