Kapitel 27

112 7 1
                                    

Amber PoV.

Im Krankenhaus angekommen, setzen wir beide uns in die Notaufnahme. Denn meine offene Narbe ist wirklich ein Notfall. Während wir warten, schweigen wir. Ich weiß auch nicht, was ich zu Chiara sagen soll. Denn mir schwirren gerade ganz andere Dinge in meinem Kopf herum. Allein die Vorstellung, dass ich erneut genäht werden muss, bereitet mir eine solche Angst, dass ich am liebsten schreiend wegrennen würde. Nur leider komme ich dazu nicht mehr. Denn plötzlich steht mein behandelnder Arzt vor uns.

„Ms. Miller. Was machen sie denn hier? Wir haben doch erst in gut drei Wochen einen Termin.", spricht er seine Gedanken aus. „Ich weiß.", antworte ich zögerlich. „Es gibt ein kleines Problem.", rede ich weiter. „Welches?" Mit hochgezogener Augenbraue wartet Dr. Brown auf meine Antwort. Die ich ihm sogleich liefere. Wenn auch etwas kleinlaut. „Meine Narbe...ist wieder aufgegangen. Also nur ein Teil, aber trotzdem blutet sie und es schmerzt."

„Wie konnte das denn passieren?", will er von mir wissen. Da ich aber nicht genau weiß, was ich darauf erwidern soll, überlege ich einen Moment. Scheinbar einen Moment zu lang, denn Chiara fängt an zu reden und erzählt meinem Arzt natürlich die ganze Wahrheit. „Das ist ein bisschen kompliziert, aber ich sage es ihnen. Auch wenn sie es vielleicht nicht glauben werden und es im ersten Moment mehr als verrückt klingt.", druckst sie herum.

Dr. Brown wartet gespannt darauf, dass meine Freundin weiterredet. „Amber wurde vor ein paar Tagen entführt. Wir haben sie erst gestern da raus geholt, da wir auch nicht wussten, wo sie ist. Die Leute, die sie gekidnappt haben, haben ihr auf den Rücken geschlagen und dabei ist die Naht wahrscheinlich wieder aufgegangen. Ich mache mir selbst Vorwürfe, dass wir sie nicht rechtzeitig gefunden haben und so etwas passiert ist.", sagt sie niederschlagen und enttäuscht von sich selbst.

Dr. Browns Augen werden groß und er sieht mich fragend an. Wahrscheinlich möchte er von mir wissen, ob das Gesagte wirklich stimmt oder Chiara sich nur irgendeine krasse Geschichte ausgedacht hat, um schneller dranzukommen. Nur leider ist diese Story nicht ausgedacht. „Das ist die Wahrheit. Eigentlich dachte ich, dass nichts Schlimmes passiert ist, aber da habe ich mich wohl getäuscht." Nachdem mein Arzt sich wieder gefangen hat, stellt er mir sachlich einige weitere Fragen.

„Wann ist die Naht wieder aufgegangen?" „Vor etwa einer Stunde. Wir sind so schnell es geht ins Krankenhaus gefahren, um sie wieder nähen zu lassen.", antwortet Chiara an meiner Stelle. „Na dann kommen sie mal mit und wir sehen uns das ganze Mal an.", fordert der Arzt uns auf. Wir leisten seinen Worten Folge. Langsam und mit Chiaras Hilfe stehe ich von dem nicht gerade rückenfreundlichen Stuhl auf. Dann laufen wir Dr. Brown hinterher in sein Behandlungszimmer.

„Du ziehst deine Jacke und alles was du noch drunter hast aus und legst dich dann auf die Liege.", dabei zeigt er mit seiner Hand auf die weiße Arztliege. Vorsichtig öffne ich den Reißverschluss von der Jacke und streife diese ab. Was anderes habe ich sowieso nicht drunter, da ich meine Arme nicht hochbekommen habe. In einem moderaten Tempo lege ich mich auf den Bauch und warte auf die nächste Vorgehensweise des Arztes.

Mit weißen Handschuhen nähert er sich der Liege und betrachtet den provisorischen Verband. „Haben sie den dran gemacht?", wendet er sich an meine Freundin. „Ja. Es tut mir leid, wenn das falsch war, aber es hat ziemlich stark geblutet und..." Mit einer einfachen Geste unterbricht der Arzt Chiaras Rede. „Sie haben nichts falsch gemacht. Das kriegen wir schon wieder hin.", beruhigt er sie. „Und jetzt zu ihnen Ms. Miller. Ich mache jetzt den Verband ab und sehe mir das ganze Ausmaß mal an."

Er holt eine Verbandsschere aus einem Schubfach neben der Liege und beginnt damit den Verband aufzuschneiden. Als er damit durch ist, schiebt er die einzelnen Bahnen von meinem Rücken herunter und entfernt langsam die Kompresse, welche durch das ganze Blut ein wenig festklebt. „Die Naht ist nur an einer Stelle leicht aufgerissen. Das nähen wir mit ein paar Stichen und dann sollte das wieder halten. Natürlich sind körperlichen Anstrengungen danach für die nächsten ein, zwei Wochen zu meiden. Aber vor allem gilt, nichts Heben. Haben sie das verstanden?"

„Ja. Ich habe es verstanden." „Gut Ms. Miller. Möchten sie eine Betäubung? Oder geht es auch ohne? Sie haben die Wahl." Fieberhaft überlege ich, „Ohne Betäubung. Sonst dauert es so lange, bis ich meinen Rücken wieder spüren kann und dieses Gefühl ist nicht gerade angenehm.". Die paar Stiche werde ich wohl so aushalten. „Wie sie möchten."

Während Dr. Brown alles Nötige vorbereitet und zusammensucht, tritt Chiara neben mich und greift nach meiner Hand, um sie festzuhalten. Dann beugt sie sich zu mir runter und sagt leise, „Wenn es wehtut, drückst du einfach meine Hand. Du schaffst das und musst keine Angst davor haben. Okay?" „In Ordnung.", nicke ich ein klein wenig entspannter.

Dann tritt Dr. Brown schon wieder an mich heran. Auf dem Wagen neben ihm liegen eine Menge sterile Instrumente. Mein Blick bleibt an der langen Nadel haften, mit der er meine Haut zunähen wird. „Das könnte etwas brennen.", warnt der Arzt mich freundlicherweise, bevor er den aufgerissenen Teil der Narbe mit Desinfektionsmittel einsprüht.
Um kein Geräusch von mir zu geben, beiße ich meine Zähne fest zusammen. Gleichzeitig quetsche ich Chiaras Hand, obwohl der schmerzhafteste Teil noch nicht mal begonnen hat.

Nachdem die offene Stelle gereinigt ist, greift der Mann nach der Nadel. Jetzt fängt es an. Tief durchatmen. Das machen sie nur für dich. Um dir zu helfen. Das hälst du aus. Außerdem ist Chiara auch noch da. Schon beim ersten Stich kneife ich meine Augen fest zusammen und Tränen fangen an ungehindert über meine Wangen zu laufen. Trotzdem versuche ich leise zu sein und nicht zu schluchzen. Natürlich bemerkt Chiara meine Gemüts-
veränderung. Deshalb fängt sie an, mir beruhigend über den Kopf zu streichen. Bei meiner Reaktion könnte man glatt denken, dass ich ein Kleinkind bin. Aber es tut nun mal verdammt weh.

Ich weiß nicht, wie lange ich diese Tortur ertrage, aber ich bin froh und vor allem erleichtert, als es endlich vorbei ist. Zum Schluss macht der Arzt mir ein neues Pflaster auf meine Narbe. „Sie haben es geschafft Ms Miller. Die Fäden ziehen wir dann in einer Woche." „Okay. Kann ich heute wieder nachhause oder muss ich noch hierbleiben?", will ich von Dr. Brown wissen. „Wenn sie mir versprechen, dass sie sich zuhause hinlegen und nicht so viel bewegen, dann können sie ruhig gehen.", legt er mir seine Bedenken ans Herz.

„Ich passe auf, dass sie heute und die nächsten Tage die Füße stillhält.", mischt sich Chiara in das Gespräch ein. „Ich nehme sie beim Wort.", antwortet der Arzt ihr. „Gut. Dann verabschiede ich mich an dieser Stelle von ihnen."
„Warten sie.", halte ich Dr. Brown auf. Der Mann dreht sich zu mir um. „Wir haben uns das letzte Mal darüber unterhalten, dass ich für meinen Rücken schwimmen gehen soll. Ab wann kann ich das umsetzen?"

„Bevor wir die Fäden gezogen haben, nicht. Danach sollte das ganze kein Problem mehr darstellen." „Dann weiß ich Bescheid. Danke." „Gern. Und jetzt gehen sie nachhause. Ich glaube mich zu erinnern, dass dort jemand auf sie wartet.", lächelt er Chiara und mich an. Von seiner Aussage bin ich etwas überrascht. Normalerweise hat ein Arzt so viele Patienten, dass das nicht selbstverständlich ist. Zumal mich der Arzt erst seit knapp drei Monaten kennt. ,,Danke. Dann bis nächste Woche.", verabschiede ich mich höflich von meinem Arzt und reiche ihm noch meine Hand, bevor Chiara und ich den Raum und das Krankenhaus endlich wieder verlassen.
_________________________________________

Neues Kapitel.😊

AmberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt