Kapitel 34

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Ilvy

Nachdem dieses Kind allen ernstes alle zehn Minuten angefangen hatte, rumzuschreien, waren wir sehr dankbar gewesen, als seine Tante Luke dann zwei Stunden später abholte. Aber auch das Geschrei konnte nichts an meiner Einstellung zu Kindern ändern. Ich hatte sie einfach furchtbar lieb und liebte es, mich um sie zu kümmern. Trotzdem war ich völlig fertig und ging nach Hause. Gally protestierte nicht, da er auch so müde war wie ich. Meine Mutter hatte nicht auf meine Nachricht geantwortet und Sonntags fuhren hier keine Busse. Also musste ich auch noch laufen. Ich kam dann schließlich völlig genervt und fertig zu Hause an und war zur Abwechslung mal froh, dass niemand da war, der mich nervte. Deswegen beeilte ich mich mit Duschen, verharrte aber noch einen Moment, da das warme Wasser auf eine angenehme Weise meine Muskeln lockerte. Und danach fiel ich, ohne mich umzuziehen und ohne zu essen, tot ins Bett. Morgen war Montag und ich war null vorbereitet.

"Guten Morgen ihr da draußen, gerade auf dem Weg ins Badezimmer oder dreht ihr euch nochmal im Bett um? Wir sind dabei und begleiten euch mit der besten Musik und den aktuellen Stau- und Unfallmeldungen." Oh Gott. Ich schlug neben mich und brachte somit meinen Wecker zum Schweigen. Eigentlich war so ein Radiowecker echt was Gutes aber bestimmt nicht, wenn sie einen morgens schon mit Staumeldungen bombardierten. War doch klar, dass es Staus gab. Sie wollten einfach alle nur ihren morgentlichen Kaffee haben und dann den Tag so schnell es ging hinter sich bringen. Dass sie sich noch nicht prügelten, wer welches Brötchen bekam, war dann auch alles.

Ich setzte mich langsam auf und ließ die Beine von meinem Bett baumeln. Normalerweise hätte ich jetzt noch Mila wecken müssen aber dadurch, dass sie außer Haus schlief, hatte ich mehr Zeit. Ich tigerte gemächlich durchs Zimmer und suchte mir Anziehsachen heraus. Dann tapste ich barfuß ins Bad und machte mich fertig. Alles ging so langsam wieder seinen gewohnten Gang und ich wurde immer wacher. Ich hörte, wie unten jemand durch den Flur ging, und lief runter. "Mama, was machst du denn hier?", fragte ich völlig verwirrt. "Ich wohne hier?", entgegnete sie. "Aber um diese Uhrzeit? Müsstest du da nicht schon längst weg sein?" Sie nickte. "Ich hab auf dich gewartet, um dir was zu sagen. Es geht um das lange Wochenende. Sorg dafür, dass Mila heute Mittag mit hierher kommt. Eigentlich sollte sie wieder bessere Laune haben. Ich will es wieder gut machen, in Ordnung?" Ich nickte und schon war sie aus der Tür raus. Langes Wochenende? Das hatte ich ja total vergessen! Wir hatten sowohl Freitag als auch Montag frei und Mama hatte früher öfter mit uns Kurztrips gemacht, wenn solche Wochenenden anstanden. Das wäre eine super Idee! So könnte ich mal wieder Zeit mit meiner Schwester verbringen, ohne diesen ganzen Stress, den man automatisch immer durch die Schule hatte. Auch wenn sie nichts von unserer Mutter wissen wollte, müsste sie trotzdem mitkommen. Ohne Newt. Nur wir drei. Ich hoffte inständig, sie würde ja sagen.

Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es schon ganz schön spät war und deshalb machte ich mich sofort auf den Weg zur Bushaltestelle. Der Bus kam genau in dem Moment, als ich dort ankam. Ich schaute nach einem freien Platz und entdeckte Clint, der auf den Platz neben sich klopfte. Lächelnd setzte ich mich. "Guten Morgen.", sagte er freundlich. "Den wünsche ich dir auch.", sagte ich und wir redeten über allerlei Zeug, bis wir aussteigen mussten. Sofort hielt ich Ausschau nach Mila und entdeckte sie vor dem Gebäude, wie sie mit Newt diskutierte. Ich steuerte auf sie zu, doch plötzlich stand Gally vor mir. "Breit für die Überraschung?", lachte er. Ich nickte, etwas geschockt. Plötzlich lagen seine Lippen auf meinen und alle schauten uns an. Vorsichtig, sodass es keiner mitbekam schob ich ihn ein Stück zur Seite. "Daran muss ich mich erst gewöhnen, glaub ich. Tut mir Leid." Er nickte verständnisvoll. "Ich muss zu Mila. Wir reden später. Ich liebe dich", sagte ich und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Dann lief ich Richtung Mila. Immer noch begleitet von den Blicken aller und vielen dummen Kommentaren.

Als sie mich sah, wollte sie weggehen aber ich hielt sie am Ärmel. "Was gibt's denn so Wichtiges?", fragte sie gelangweilt aber ihre Augen leuchteten vor Neugier. Sofort ließ ich sie los. "Guten Morgen Newt. Mila, du musst nachher mitkommen. Mama hat was vor am Wochenende. Ich glaube, wir fahren endlich mal wieder weg.", grinste ich. Sie überlegte kurz. "Mitkommen muss ich eh, weil ich frische Sachen brauche, weil die von Newt bei aller Liebe zu groß sind. Aber das mit dem Urlaub kannst du vergessen." Sie verschränkte die rme. "Bitte mach mich nicht dafür verantwortlich, wenn du mit Mama nicht klarkommst im Moment. Bitte. Siehs als Urlaub nur für uns zwei. Bitte Mila." "Wenn Newt mitkommen kann, dann ja." "Ähm..", setzte er an aber ich unterbrach ihn. "Ein Urlaub für uns zwei. Und er kann ja mit zum Flughafen oder Bahnhof oder wie auch immer wir dahin fahren." "Seh ich auch so. Bitte geh mit. Mit nach Hause und mit in den Urlaub. Ich werde auf dich warten. Nicht, dass ich dich nicht gerne bei mir hätte. Im Gegenteil. Aber du gehörst nach Hause und wie du siehst gibt es im Moment mindestens zwei Personen, die dich lieben, egal, wie du dich benimmst.", sagte Newt jetzt. Er war auf meiner Seite? Ich mochte ihn. Er war ein feiner Kerl. Mila atmete einmal tief durch und schaute erst Newt und dann mich an. "Ich geh nach Hause, weil ich muss und ich bleibe auch da. Und ich fahre, oder fliege mit. Aber nur, wenn du uns so weit begleitest, wie du kannst und ich mach das alles nur für dich.", sagte sie zu ihm. Jetzt sah sie mich an. "Und für uns, weil du meine Schwester bist und ich dich liebe und nicht alleine lassen will." Ich grinste. Sie würde mitkommen, auch wenn es ihr dann nicht mehr gefiel.

Es klingelte und wir gingen in die Klasse. Gerade als ich mich setzen wollte, griff jemand um meine Taille und hielt mich auf. Ich sah, dass es Gally war. Für einen kurzen Moment vereinte er unsere Lippen und ich ließ es zu, ohne nachzudenken. Im Raum wurde es schlagartig still und alle schauten uns an. Sogar Herr Janson, der gerade durch die Tür kam, verharrte in der Bewegung und ging erst weiter als wir uns lösten. Das Schweigen im Raum hielt an und dann hörte ich, wie Gallys Kumpel das Schweigen brachen, indem sie anfingen zu diskutieren. Es sah so aus, als schmiedeten sie einen Plan. Immer wieder schauten sie mich an. Sie hassten mich.

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