Kapitel 7

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Ilvy

Kaum hatte es geklingelt, waren alle aufgestanden und auf den Hof gelaufen. Nachdem wir uns dann auch wieder gefunden hatten, waren auch wir raus gegangen und hatten uns zu einer Gruppe von Leuten, die wie bereits kannten, gesellt. Mila führte eine angeregte Unterhaltung mit Brenda und Thomas und wurde dabei unbemerkt von Newt beobachtet,  der sich mit Minho unterhielt. Teresa stand etwas abseits und stocherte geistesabwesend mit einer Plastikgabel in einem Früchtebecher herum. Ein Ball flog auf mich zu und ich hielt ihn locker mit dem Fuß. Gerade als ich ihn zurückschießen wollte, wurde ich unterbrochen.

"Hallo, ähm ich bin Ben", sagte ein Junge, der plötzlich in meinem Blickfeld auftauchte. Ich schüttelte die Hand, die er mir hinhielt. "Ilvy" Er schien nett zu sein. "Gut gehalten. Vielleicht solltest du mal bei uns mitspielen." Er nickte in Richtung des Fußballplatzes. Ich warf einen flüchtigen Blick in die Richtung und sah haufenweise aufgebrezelte Mädchen um den Platz rumstehen. Mit solchen wollte ich keinen Kontakt haben. "Nein, lass mal. Aber danke." Er folgte meinem Blick und nickte verständnisvoll. "Sag mal, was war das denn da mit Gally und dir? Also wenn ich fragen darf.", schnell hörte er auf zu reden und druckste verlegen rum. Ihm war scheinbar peinlich, dass er überhaupt gefragt hatte. "Naja also... Er hat mich halt angequatscht." "Na DAS haben wir jawohl auch gehört. Dass du überhaupt noch mit ihm redest...!", rief Minho dazwischen. Auch die anderen in unserem Kreis hatten jetzt ihre Gespräche eingestellt und schauten mich aufmerksam an. "Das meine ich nicht. Danach. Er war einfach freundlich. Abgesehen von den dummen Kommentaren natürlich. Ich weiß gar nicht, was ihr habt. " Allen klappte der Mund auf und Teresa ließ vor Schreck den - mittlerweile leeren- Becher fallen. "Wenn das so ist...", sagte Ben nachdenklich, schnappte sich den Ball und eilte davon. Ich zuckte mit den Schultern und wandte mich an den immer noch sprachlosen Minho. "Wann hört denn hier die Pause auf?" "Äh, um viertel nach zehn. Warum?" Ich warf einen schnellen Blick auf die Uhr. Fünf nach. "Ich wollte noch schnell auf die Toilette. Dann hab ich ja noch genug Zeit. Wir sehen uns dann im Unterricht!" "Soll ich mitkommen?", fragte Mila, die scheinbar von meinem Tatendrang irritiert war. "Nein schon gut. Ich denke, ich finde mich alleine zurecht." Sie schaute mich besorgt an, nickte dann aber.

Als ich in das riesige Gebäude ging, war ich erstmal orientierungslos. Dann sah ich aber ein paar Wegweiser und verließ mich darauf, dass nicht irgendjemand aus Spaß die Schilder vertauscht hatte. Ich irrte ein wenig umher und fand dann endlich den Raum. Zuvor hatten wir einen anderen Weg nehmen müssen, weil wir bei der Schulleitung gewesen waren. Ich stand vor der Tür und überlegte, ob ich vielleicht klopfen sollte. Aber es war noch ein bisschen zu früh, sodass ich dachte, ich wäre noch alleine. Also ging ich, ohne zu klopfen, einfach rein. Er wartete bereits. In dem Raum war es relativ dunkel, weshalb ich das Licht anschaltete. Gally saß auf den Lehrerpult aber ich ging, ohne ihn zu beachten, zu unserem Tisch und setzte mich auf den Platz, auf dem ich zuvor schon gesessen hatte. "In Mathe sitzen wir anders, weil unsere Mathelehrerin meint, dass sie uns so vom Quatschen abhalten kann.", bemerkte er.  Ich zuckte mit den Schultern. "Spielst du jetzt Eiskönigin oder wie?" "Du wolltest dich doch mit mir  treffen. Dann erzähl jetzt nicht so einen Müll, sondern sag, was du willst." Doch, definitiv Eiskönigin.

"Wow. Okay, also in dieser Schule habe ich einen Ruf." Er mache eine allumfassende Geste. "Diesen Ruf habe ich mir hart erkämpft und kann es mir nicht leisten, ihn wegen einem Mädchen aufzugeben." "Du musst wegen mir überhaupt nichts aufgeben. Leb dein Leben einfach weiter und lass mich da raus." "Warte, warte. Es hieß, dass es zwei Neue gibt. Und einer von denen wurde als Opfer auserkoren. Die letzte, die den Raum betritt. Denn wenn es zwei sind, geht der Mutige immer voraus. Also das haben wir zumindest vermutet. Und es hat sich bestätigt, als deine Schwester quer durch die Klasse geschrien hat." Ich schüttelte den Kopf.  Ich sollte das Opfer sein? Klar. Immer auf die Schwachen. "Und was heißt das jetzt? Werde ich gemobbt? Wird mein Duschgel Blau gefärbt und mein Shampoo Grün?" Er lachte. "Nein. Für sowas haben wir Teresa. Aber naja. Die Mädels, die immer mit uns Sportlern rumhängen, werden dich vielleicht ab und an verarschen. Und wenn du nicht aufpasst, kriegst du in Sport auch mal einen Ball an den Kopf. Das einzige, was von mir kommt, sind dumme Sprüche. Ich versuche mein Bestes, damit du dadurch nicht verletzt wirst und die anderen weiterhin den Glauben haben, dass ich ein Arsch bin." Wie nett von ihm. Ein echter Gentleman. "Das einzige, was in diesem Satz richtig war, war der Teil, dass du ein Arsch bist"

"Vielen Dank. Also: was hältst du von dem Plan?" "Wieso solltest du ausgerechnet mich verschonen? Das macht keinen Sinn." "Ich denke nicht, dass du sowas verdient hast." Schüchtern lächelte er und wurde sogar ein wenig rot. In dem Moment klingelte es. Er schien erleichtert. Schnell gingen wir vor die Tür, damit sich keine Gerüchte breit machten. Als er seine Freunde auf uns zukommen sah, sagte er: " In Mathe sind neben Newt zwei Plätze für dich und deine Schwester frei. Neben mir ist auch noch einer und neben Ben und Bratpfanne auch. Schnell, schau so, als hätte ich dich beleidigt!" Ich senkte den Kopf und ging von ihm weg. Ich sah meine Freunde und steuerte auf sie zu. "Da bist du ja!", rief Mila, packte Newt am Arm und zog ihn mit zu mir. Als er Gally sah, nickte er ihm kurz zu. Begrüßung unter Kumpels halt.

"Newt hat mir grad von der Mathe Sitzordnung erzählt. Wenn die Lehrerin nichts dagegen sagt,  können wir uns auf die beiden freien Plätze neben ihm setzen!" Sie strahlte vor Freude und hüpfte auf und ab. Die anderen vier waren jetzt auch bei uns angekommen und schauen sie an. Thomas zog eine Augenbraue hoch. "Sie können in Mathe nebeneinander sitzen.", verkündete Newt und die anderen verstanden. "Ich denke, ich setze mich neben äh, Gally.", sagte ich leise. Dennoch hörten es alle aus unserer Gruppe. Und es war das zweite Mal an diesem Tag, dass ich sprachlos angestarrt wurde.

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