Protokoll: Rose; part 12

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Datenübertragung: Rose D. Hawk (POV)

Dampf stieg aus meiner selbstgetonten Keramiktasse von der Brühe, die ich mir gekocht hatte. Ich saß, in Decken eingewickelt, auf meinem Balkon und starrte über die Dächer hinaus in den Horizont.

Dämmerungen waren für mich stets etwas Besonderes gewesen. Der Himmel erblühte in Farben, die Sonne kletterte und etwas begann, etwas ging zu Ende, entweder der Tag oder die Nacht. Es bedeutete jedes Mal, dass man noch am Leben war, und dafür sollte man dankbar sein.

Ich war es.

Der Tee, den ich während meiner Nachtschicht im Internat getrunken hatte, war vergiftet gewesen. Zuerst war es mir noch gut gegangen, irgendwann war mir schwindlig geworden und nun hustete ich bereits seit Donnerstag schwarzen Atem. Was es auch war, das man mir untergeschoben hatte, es hatte zudem Fieber und Brechreiz in mir ausgelöst und ich war selbst nach zwei Tagen noch zu schwach, lange Strecken zu spazieren.

Das war zweifelsohne Phynx' ... nein, Kazakas Werk.

Sie wusste, wo ich war, sie wusste, wie ich lebte und mit welchen Personen ich Kontakt pflegte. Meine Teereserven waren hochwertig, biologisch und rein vegan. Phynx hätte sie unmöglich in der Produktion mit Gift versehen können, was letztlich hieß, dass man bei mir eingebrochen war. Und ich hatte es nicht gemerkt. Es waren keine Spuren hinterlassen worden. Keine Anzeichen, nichts.

Kazakas Vorgehensweise war immer sehr diskret, aber effektiv gewesen, und sobald sie etwas wollte, ließ sie sich nicht aufhalten.

Und sie hatte es auf mich abgesehen. Wegen meiner Vergangenheit bei Firewalk.

Mein Handy blitzte auf. Mein privates. Abermals las ich die Nachrichten, die von ihr stammten. Irgendwie war sie an meine Nummer gekommen, irgendwie hatte sie mich gefunden, irgendwie ... Ich hatte Angst. Ihre Nummer war unsichtbar, jede, die ich blockte, war es, und der Absender gab sich nicht namentlich zu erkennen, doch ich wusste, dass es sie war. Warum? Warum konnte sie mich nicht ziehen lassen? Alles, wonach ich mich sehnte, war lediglich Frieden ...

Rose?

Rose, antworte.

Rose, ich weiß, dass du es bist. Antworte mir!

Wenn du mir nicht antwortest, muss ich dich dazu zwingen, Rose. Willst du das verantworten? Du kennst die Konsequenzen. Ich lasse nichts unversucht.

Warum ignorierst du mich, Rose?

Und zum Licht sprach die Finsternis: Flackern sollst du, sei die Flamme, welche uns führt, sei der Stern, der uns den Weg blinkt, die Lampe auf der Straße, der Zunder, der das Holz zum Brennen verführt, sei die Wärme zur endlosen Kälte auf dass wir uns vereinigen der Erde zuliebe.

Hat dir das nicht gereicht? Wir brauchen dich, Rose. Komm zurück. Tony weint um dich. Du erinnerst dich an die Farbe seiner Tränen, nicht? Warum lässt du ihn leiden? Warum lässt du uns leiden? Warum lässt du sie alle leiden?

Rose?

Glückwunsch. Du hast sie leiden lassen.

Mir wurde schlecht von ihrer letzten Nachricht. Worauf sie sich bezog, war ... nein, ich konnte nicht. Ich konnte es nicht aussprechen, nicht denken. Meine Schuldgefühle würden mich übermannen und mich sofort in Tränen ausbrechen lassen.

Ich griff den Henkel meiner Tasse fester, kniff die Augen zusammen und konnte mich trotzdem nicht dagegen wehren, meiner Trauer freien Lauf zu lassen.

Ich hustete zu meinem Weinen und schnappte nach Luft, weil ich kaum durch die Nase atmen konnte.

Kazaka hatte es gewagt, mir zu drohen. Würde das Zeichen mit der flackernden Straßenlaterne nicht bereits als Grenzüberschreitung gelten, somit sicherlich das, was sie danach getan hatte.

Sie hatte mein Heimatdorf zerstört. Die Schlagzeilen waren überfüllt mit Einmeldungen, Berichten, Reportagen und Interviews von Überlebenden des Anschlags. Das Hochland war beschädigt, unzählige Menschen tot, all das nur, um meine Aufmerksamkeit zu erregen? Ich hatte sie unterschätzt, mich für zu unwichtig gehalten. Nie hätte ich angenommen, sie würde so weit gehen. Ich war ein Niemand, eine Abtrünnige. Ich war eine Verräterin. So hatte sie mich persönlich nach unserer Trennung genannt. Wofür brauchte sie mich nach so langer Zeit? Nach sieben Jahren.

Wie konnte ich dieses Leid beenden?

Worauf hatte sie es abgesehen? Vergeltung? Gerechtigkeit? Bloßen Terror? Konnte Kazaka überhaupt noch zwischen diesen Dingen unterscheiden?

Gott, ich hatte solche Angst, dass ich zitterte bei der Vorstellung über das, was sie noch nicht getan hatte.

Meine Sorge um Kaya ... Cuano hatte mich betäubt. Wenn Kazaka mich beobachten ließ, musste ihrem Spion aufgefallen sein, dass Cuano und ich nach der Sperrstunde miteinander gesprochen hatten. Das tat ich nicht mit jedem Schüler. Außerdem hatten wir zusammen geboxt, waren mit meinem Bruder in einem Auto gesessen, hatten Gespräche geteilt, die fast ... unangemessen waren. Sie waren zu tief für ein gewöhnliches Studentin-Lehrerin-Verhältnis. Und dann die Geschenke, nur zwei, die wir ausgetauscht hatten, doch sie zählten und sie bedeuteten viel.

Ich hatte befürchtet, sie hätten sie ebenso vergiftet oder ihr etwas angetan. Mein Herz hatte so sehr von diesem Gedanken geschmerzt, dass ich im Internat angerufen hatte, ob sie auf ihrem Zimmer war. Als man verneint hatte, hatte ich mich nicht mehr stillhalten können. Ich war in meinem Zustand losgegangen, um sie zu suchen.

Gott sei Dank war sie direkt vor meiner Nase gewesen. Sie hatte im Regen gestanden und sich berieseln lassen, in meiner Straße, bei Nacht, und sie war so ... schön gewesen. Licht hatte auf sie niedergeschienen und ihr nasses, glattes Haar in Gold getaucht, ihre Umrisse wie bei einem Heiligenschein glühen lassen. Dieser Augenblick hatte ein Gefühl in mir entfacht, das ich nicht fühlen durfte, und auch das bereitete mir Angst.

Ich konnte es mir nicht erlauben, etwas für einen Schüler zu empfinden. Nicht zur jetzigen Zeit und auch niemals sonst. Es würde uns beide gefährden, wobei es mir nicht einmal darum ging. Sie durfte nicht gefährdet werden durch mich.

Keiner durfte wissen, wer ich wirklich war oder was hinter meiner Fassade steckte. Ich mochte wie ein Lamm aussehen, doch ich war einmal ein Wolf gewesen. Das bereute ich zutiefst und es war die Narbe, die sich immer wieder öffnen und bluten würde. Kazaka hatte mir das bewiesen.

Ich war gefährlich, zu wissen, wer ich war, war gefährlich und jeder in meiner Nähe, sogar, wenn ich kaum welche zuließ, war nun wegen mir bedroht. Ich hatte inständig gehofft, in Ruhe und Frieden leben zu können. Ich hatte alles dafür getan. Ich war untergetaucht, hatte das Land gewechselt, einen neuen Job in einer Kleinstadt angenommen, Menschen in meiner Freizeit gemieden, niemanden geliebt und niemandem vertraut ... Scheinbar war es nicht genug gewesen. Was hatte ich falsch gemacht? War das hier meine Bestrafung? Ewig zu flüchten vor der Polizei, alten Feinden und Freunden und in verzehrender Einsamkeit zu verharren? Ich fühlte mich so allein. So verletzt. Schuldig.

Ich hustete in meine Decke und hinterließ auf ihr einen schwarzen Fleck, fast wie Ruß. Oder ... Nikotin!

Das Stofftuch, das ich Cuano gegeben hatte!

Nicht mein Schicksal bestrafte mich. Es war Kazaka.

Ich musste etwas unternehmen. Ich konnte nicht tatenlos herumsitzen, während Menschen starben.

Deswegen schrieb ich der unbekannten Nummer zurück.

Kazaka wollte etwas von mir und lediglich ich konnte verhindern, dass sie Unschuldige in unseren Zwist mit hineinzog. Ich hatte keine Wahl. Für das Wohl aller plante ich, mich in die Höhle des Löwen zu begeben. Vielleicht würde er sich rächen. Vielleicht würde er auch Gnade walten lassen. Oder er würde gnadenlos sein.

Ach, wäre Kazaka nur ein Löwe ...

Bis es soweit war, musste ich weiterhin eine Lehrerin spielen, der niemand Böses zutraute. Ich war kein böser Mensch. Ich hatte nur das Richtige tun wollen ...

Wie war ich in dieses Schlamassel geraten? Wie war ich zu der Person geworden, die ich heute war?

Ich stellte mir diese Fragen, obgleich ich wusste, dass die Antwort auf meine Mutter zurückzuführen war.

A Baptism of Fire - Hawk's Eyes SerieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt