Protokoll: Und der Plan eines Geistes lichtet sich II; part 49

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Ich schleppte meinen Rucksack bis in meine Wohnung hinauf, und meine Finger krümmten sich schwach um das Geländer. Mein Gang war träge, ich ausgehungert. Weder konnte ich essen noch schlafen oder meinen Tag produktiv nutzen. Sobald ich oben war, war ich lediglich fähig, Kore zu füttern. Dann ließ ich mich auf dem Sofa nieder, vergrub mein Gesicht in den Händen und ...





... und weinte.

Täglich weinte ich, seitdem wir angekommen waren, Tony und ich. Wir hatten seine sogenannte »Waffe in Flammen« gefunden, wenngleich ich nicht wusste, wofür das stand: eine verborgene Siedlung im Nirgendwo der Wüste, bescheiden, weit, doch nicht groß, und es war viel Arbeit zu verrichten. Ich hatte gleich am ersten Tag eine ergattert, nachdem wir uns in der hiesigen Gaststätte gemeldet hatten. Der Besitzer hatte uns gemustert und gefragt, weshalb wir Blut unter den Augen trügen und ich hatte geantwortet, dass Tony und ich uns nicht voneinander unterscheiden würden. Daraufhin hatte dieser uns skeptisch betrachtet und mir nach ein paar weiteren vorsichtigen Fragen einen Job angeboten. Allgemein schienen die Leute anfangs übervorsichtig mit Fremden. Hier. Wo ich nun schlief, putzte und bediente und mich um die Reparaturen kümmerte. Im Gegenzug erhielt ich eine warme Mahlzeit und regelmäßige Duschen, dreimal die Woche durfte ich, und in dieser Bruthitze freute ich mich auf jede einzelne. Ich beklagte mich nicht. Wir mussten Wasser sparen.

Obwohl ich mich fabelhaft integriert hatte, ich die Siedler mochte und sie mich und ich gut behandelt wurde, fehlte in mir etwas. Von der Energie, die ich vor meinem Aufbruch besessen hatte, war nichts übriggeblieben. Jene war einer Lethargie und Depression gewichen. Manchmal war ich abends – natürlich nur allein – am Heulen, selbst wenn ich meine Gründe nicht kannte, und ich fühlte mich einsam und verlassen, und ein andermal war ich leer, vollkommen ausgesogen. Ich hatte nichts, über das ich mich beschweren konnte, außer dass ich meinen Bruder vermisste und ihn telefonisch in dieser Gegend nicht erreichen konnte. Ich verstand nicht, was mit mir nicht stimmte. Warum war ich so dermaßen kraftlos? Wieso konnte ich niemandem erzählen, wie ich wirklich empfand?

Niemand wusste, dass ich mich nachts in den Schlaf schluchzte. Jedermann dachte, ich wäre gutgelaunt. Charmant. Eine Frohnatur. Gott, wie gelang es mir, dieses Spiel aufrechtzuerhalten? Ich verstellte mich, und ich tat es automatisch, als hätte ich gar keine Wahl. Ich war falsch. Und das frustrierte mich, weil mich keiner sehen konnte, wie ich war. Keiner sah mich. Dabei wollte ich gerne meine Maske ablegen, mein wahres Ich entblößen ... Leider musste dafür jemand imstande sein, es noch vor mir zu erkennen, und wer besäße eine solche Menschenkenntnis?

Ich war kaum achtzehn und verdeckte bereits das Gefühl, tot zu sein.

Meine Wellen waren feucht und klebten an meinem Gesicht vom Schweiß. Ich hatte meine Bluse geöffnet, mein dunkler BH schimmerte ohnehin durch den weißen Stoff. Meine braun gebrannte Haut glänzte im grellen Sonnenschein. Mir entging nicht, wie mich vor allem die Männer ringsum beäugten, auch nicht Malcolm. Er linste oft derart auffällig zu mir herüber, dass ich mir ein Lachen verkneifen musste. Doch sie würden mir nichts tun und ebenso nichts versuchen. Das war mir ein Rätsel. In der Highschool hatte man mich ständig angegraben. Es war fast so, als beschützte mich irgendetwas. Etwas aus dem Unbekannten. Zwar vertraute ich den Leuten, aber ein merkwürdiges Gefühl beschlich mich dennoch. Was? Was war es? Eine Frau hätte hier das Sagen, hieß es, wohl eine Art Bürgermeisterin, mehr berichtete man mir nicht trotz meiner Neugierde. Ich war ihr bisher nicht begegnet und man verriet mir auch nicht, wo sie sich aufhielt. Mysteriös. Und irgendwie spannend. Eine Frau. Mein ganzer Körper kribbelte.

Ich verwarf meine abwesenden Gedanken und wandte mich dem Augenblick zu. Ich hatte mich den Hirten und Bauern angeschlossen, da mir Dic, mein Chef, freigegeben hatte und ich trotzdem helfen wollte. Vieh umschwärmte mich, brachte mich zum Lachen. Ich hatte noch nie so viel Tier auf einmal gesehen, und ich liebte es. Ich liebte diese Tiere. In manchen Momenten wünschte ich, man hätte mich Tonys Gruppe zugeteilt. Er und zehn andere hüteten die Schafe, eine ganze Herde, und wie laut sie waren und wie sie rochen und wie eifrig sie auf der Steppe drängelten! Mit ihren süßen Glöckchen und den frechen Äuglein. Wenn ich könnte, würde ich ihnen mein ganzes Leben verschreiben. Einzig und allein diesen Schafen, und ich würde sie beschützen und scheren und sie pflegen. Das Beste hieran war die Gewissheit, dass wir sie nicht essen würden. Und wir missbrauchten sie nicht. Nein, sie profitierten von uns und wir von ihnen.

A Baptism of Fire - Hawk's Eyes SerieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt