Kapitel 40

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Mit schnellen Schritten ging sie den Gang entlang und war froh, als sie an der Zimmertür angekommen war. Ungeduldig klopfte sie an die Tür und wartete, bis endlich aufgemacht wurde.
Anna, die gerade aus der Dusche kam, öffnete die Tür und sah ihre Mutter entsetzt an. „Mama!“ kam nur ein Wort über ihre Lippen und sie trat instinktiv zur Seite, damit ihre Mutter eintreten konnte. „Guten Tag, Annabell." erwiderte Frau von Derenthal und schaute sich pikiert in dem Zimmer ihrer Tochter um. „Ich hatte auf eine Antwort auf meine Bitte gehofft."
„Ich hatte viel zu tun!“ murmelte Anna leise und setzte sich auf das kleine Sofa.
Bewusst bot sie ihrer Mutter weder einen Platz, noch etwas zu trinken an, wollte sie doch eigentlich nur, dass sie wieder verschwand. Diese kannte das Benehmen ihrer Tochter bereits und setzte sich neben sie.
„Haben wir das nicht alle? Aber ein paar Minuten Zeit für deine Mutter wirst du doch wohl erübrigen können."
„Wozu, damit du mir wieder Vorwürfe machen kannst?“ zeigte die junge Frau die deutliche Ablehnung. „Außerdem… warum eigentlich. Hast du denn jemals Zeit für mich, außer dann, wenn du es willst?“
„Kind du weißt doch, wie eng mein Zeitplan ist." überging ihre Mutter die Äußerung ihrer Tochter und ließ dann den Blick über sie gleiten. „Wie siehst du eigentlich aus? Hast du dich auch so zurecht gemacht, als du noch mit Steffen zusammen warst?“
Die Studentin schnaubte wütend und stand nun wieder auf. „Wie ich aussehe? Mama, ich komme aus der Dusche und war vorher im Stall. Wie soll ich da aussehen? Außerdem geht es dich einen feuchten Dreck an! Und lass gefälligst dieses Arschloch aus dem Spiel!“ fauchte sie.
Die Augen ihrer Mutter weiteten sich geschockt. „Aber Annabell, wie redest du mit mir! Das ist unmöglich. Wenn du dich ein bisschen angepasst hättest, wärst du jetzt verheiratet..."
„Angepasst? Sag mal, geht’s noch? Jetzt sagst du mir wahrscheinlich auch noch, dass ich es ihm hätte verzeihen müssen, dass er mich geschlagen hat?“ Anna hatte gar nicht mehr vor sich abzuregen oder in irgendeiner Art und Weise zu zügeln. Ihre Mutter schien es ja fast schon so zu wollen.
Die Hand von Frau von Derenthal ging an ihre Brust. „Was ist denn bloß mit dir los? Steffen war kein Schläger, ihm ist einmal die Hand ausgerutscht, weil ihr euch gestritten habt. Und das mit dem Ehevertrag hätte dein Vater ihm schon klar gemacht!"
„Wer einmal zuschlägt tut es wieder. Er hat eine Grenze überschritten, die ich nicht akzeptiere, Mama. Niemals!“ Anna schüttelte heftig den Kopf und wandte ihrer Mutter den Rücken zu. „Außerdem ist es doch wohl meine Sache ob und wann ich heirate. Genauso, wie die Tatsache, dass ich mich von Steffen getrennt habe. Da hast du nicht mitzureden!“
„So schlimm kann er ja nicht gewesen sein, wenn sich Alena Schuster ihn sich geschnappt hat. Kannst du dir vorstellen, was das für eine Aufregung im Club war, als mir das erzählt wurde?"
„Nein kann ich nicht. Und es ist mir auch vollkommen egal! Steffen kann machen, was er will. Genau wie Alena auch! Ich will diesen Mistkerl nicht einmal mehr geschenkt haben! Aber das scheint ja nicht in deinen Kopf rein zu gehen!“ Die junge Frau lief in ihrem Wohnzimmer ruhelos auf und ab und sah ihre Mutter dabei auch weiterhin nicht an.
„Ich erkenne dich gar nicht wieder. Seit du mit dieser Alexandra befreundet bist, bist du frech, aufmüpfig und hältst dich nicht mehr an gesellschaftliche Regeln. Ich hätte dir diese Freundschaft von Anfang an verbieten sollen!" Nun war auch Annas Mutter aufgestanden und verschränke die Arme vor ihrer Brust.
„Ach ja, war klar, dass du das alles wieder an Lexy festmachen willst!“ Anna pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und trat dann wieder einen Schritt auf ihre Mutter zu, die knapp einen halben Kopf kleiner war, als ihre Tochter. „Außerdem wüsste ich nicht, was eine Hochzeit für eine gesellschaftliche Regel sein sollte. Es ist verdammt noch mal keine Regel, dass man mit 28 verheiratet sein muss oder dass man eine Hochzeit auf Grund solcher schwerwiegenden Vorkommnisse nicht abblasen darf! Zumal dein Traumschwiegersohn ja mittlerweile eine Vorstrafe wegen Körperverletzung hat! Das würde ein noch schlechteres Bild in der Öffentlichkeit abgeben, als meine Trennung von ihm!“
„Mit dir kann man einfach nicht mehr vernünftig reden seit du aus dem Haus bist." Ihre Mutter klang enttäuscht und ging hoch erhobenen Hauptes zur Tür. „Ich werde jetzt wieder gehen. Ich hoffe das nächste Mal treffen wir uns unter besseren Umständen."
„Genau, es ist besser, wenn du gehst. Und vielleicht wäre es auch einfach besser, wenn wir einfach Abstand voneinander halten! Und nur damit du es weißt, ich werde in den nächsten Wochen keine der Termine wahrnehmen, die du mir geschickt hast.“ Warf Anna ihrer Mutter noch an den Kopf, als diese schon fast an der Tür war.
Osmo hatte es sich gerade mit einem Glas Wein auf seinem Sofa gemütlich gemacht und seufzte zufrieden. Das gute Gefühl seit der Trennung von Veera hielt an und hatte sich nach den Streit zwischen Samu und Milla sogar noch verstärkt. Immer wenn er etwas zur Ruhe kam wanderten seine Gedanken zu Anna und er fragte sich, wie es ihr wohl ging.
Und auch Anna dachte an Osmo, nachdem sie vergeblich versucht hatte ihre beste Freundin zu erreichen. Entweder Osmo oder Samu. Nur einer von Beiden konnte ihr jetzt weiter helfen und ihr vielleicht sagen, ob Lexy mit Riku unterwegs war, oder nicht. Entsprechend wählte sie nachdenklich Osmos Nummer und wartete ungeduldig, als das Freizeichen ertönte.
Der Musiker schreckte aus seinen Gedanken auf als sein Handy klingelte. Für ein paar Momente starrte er einfach nur überrascht auf das Display, weil da Annas Name stand. „Hallo Anna."
„Osmo, hi… ich… ich weiß es ist total doof, dass ich anrufe, aber… ich, ich kann Lexy nicht erreichen und… ich … ich kann sie einfach nicht erreichen…“ In Annas Stimme klangen deutlich die Tränen mit, die ihr noch immer über die Wangen liefen und die einfach nicht mehr aufhören wollten.
„Hey... Es ist gar nicht doof, ich freue mich deine Stimme zu hören. Wir haben heute Probe gehabt und Lexy ist mit Riku danach mitgefahren. Aber du klingst gar nicht gut, was ist los?" Osmo hatte sich aufgesetzt und in seiner Stimme konnte man die Sorge hören.
„Ich… ich habe mich mit meiner Mutter gestritten…“ murmelte Anna ehrlicher als geplant, hatte sie doch eigentlich nur den Musiker darum bitten wollen, den Kontakt zu ihrer besten Freundin herzustellen, damit sie mit ihr reden konnte.
„Worum ging es bei dem Streit?" Er spürte wie schlecht es Anna ging und fragte deswegen auch sofort nach.
„Um Steffen… Mama versteht es einfach nicht, dass ich mich getrennt habe und sie kann es nicht akzeptieren…“ murmelte die junge Frau und setzte sich niedergeschlagen auf ihre Couch. „Sie… sie sagt ich halte mich nicht mehr an Regeln und wäre aufmüpfig und macht das alles wieder mal an Lexy fest…“
„Was diesen Mistkerl angeht war das die richtige Entscheidung, lass dir da bloß nichts anderes einreden. Du und deine Mutter, ihr lebt in verschiedenen Welten und versteht euch deshalb nicht, kann das sein?" Seine Stimme klang ruhig und er versuchte das Gespräch aufrecht zu erhalten.
„Sie lebt in ihrer High Society Welt. Sie musste nie arbeiten und wollte es auch nie. Stattdessen treibt sie sich die ganze Zeit im Golf- oder Country Club rum. Sie wirft mir ja auch vor, dass ich sie vor ihren sogenannten Freunden dort blamiert habe, weil Steffen jetzt die Tochter ihrer ärgsten Konkurrentin geheiratet hat…“ seufzte Annabell und wischte sich die Tränen aus den Augen und von der Wange.
„Ich denke du kannst wirklich froh sein, dass du nicht so eine eingebildete Country Club Tussi bist. Du hast etwas erreicht, beziehungsweise bist noch etwas dabei und hast Lexy, die dich da unterstützt..." Er räusperte sich und setzte leise „Und wenn du möchtest bin ich auch da..." hinterher.
„Danke… das… das bedeutet mir echt viel…“ Ihre Stimme war noch immer leise und klang ein wenig zerbrechlich, obwohl sie mittlerweile immerhin aufgehört hatte zu weinen. „Aber… weißt du… meine Mutter will mich immer noch da hin bringen. Ich soll ja eine Country Club Tussi werden und einfach einen Mann heiraten und an seiner Seite hübsch aussehen. Mehr muss ich nicht können, sagt sie. Außer natürlich die Familie auf diversen Events vertreten und dabei einen guten Eindruck hinterlassen. Deswegen auch die ganzen Instrumente, Sprachen und der ganze Horror in meiner Kindheit und Jugend… Mama… Mama will mit mir angeben… und… ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie mich wirklich liebt oder… wirklich haben wollte damals…“ Sie schluckte hart und erneut kamen ihr die Tränen, die sie wieder nicht zurück halten konnte.
Osmo fuhr sich nachdenklich durch die Haare bevor er antwortete. „Deine Mutter ist bestimmt der Typ, der sich in dieser Welt wohl fühlt und das Gleiche für ihre Tochter will. Dass diese aber ganz anders ist, kann sie wohl nicht verstehen und kämpft dagegen an. Ich kann dir nicht sagen, wie das mit euch funktionieren soll, ich rate dir nur da nicht einzuknicken. Ich denke deine Mutter liebt dich auf ihre Weise, kann das nur nicht zeigen. Anna auch wenn wir uns nicht lange kennen, kann ich dir nur sagen das ich dich mag, genauso, wie du bist."
„Danke…“ murmelte sie erstickt zurück. „Ich weiß nur einfach irgendwann nicht mehr, was ich noch tun soll. Ich… ich will einfach nur noch, dass sie mich in Ruhe lässt. Ich weiß nur einfach nicht mehr, was ich noch tun soll, damit sie das akzeptiert.“
„Ein Gespräch in Ruhe würde wahrscheinlich nichts bringen, oder? Was wäre wenn du ihr einen Brief schreibst und alles erklärst? Manchmal hilft so was ja, wenn man in Ruhe über Worte nachdenken kann?"
„Das ist lieb gemeint, aber… was meinst du, was ich schon alles versucht habe… Reden, Briefe, Emails… Es interessiert sie nicht. Ich muss mich gesellschaftskonform benehmen und allein schon, dass ich die Hochzeit abgesagt habe, ist in unseren Kreisen nicht konform… So sieht sie es. Und damit bin ich das schwarze Schaf der Familie, das man wieder auf den rechten Weg zurück bringen muss. Sie will nicht, dass ich lebe, wie ich es will, sie will, dass ich so lebe, wie sie es sich immer vorgestellt hat.“ Sie seufzte erneut und schluchzte dann leise in den Hörer.
Osmo hatte begonnen in der Wohnung auf und ab zu laufen und fühlte sich etwas hilflos. „Ich muss ehrlich sagen, dass ich dann keine Idee habe. Wahrscheinlich machst du es schon richtig, wie du es machst, auch wenn es sich manchmal nicht so richtig anfühlt. Lass dich nicht verbiegen und in ein Leben drängen, das du nicht führen willst!"
„Ich versuche es… weißt du… manchmal hätte ich einfach Lust hier abzuhauen und für immer hier weg zu gehen. Weit weg…“ Sprach Anna ihre Gedanken laut und ehrlich aus. „Im Moment hält mich hier nur noch mein Studium und Sunshine. Sonst nichts.“
„Wo willst du denn hin? Wie lange musst du denn noch studieren? Sunshine ist dein..." Osmo hatte sich wieder gesetzt und trank einen Schluck Wein. „Sunshine ist mein Pferd.“ lachte sie leise auf. „Und wo hin… keine Ahnung, einfach weg. Ich habe da keine Pläne. Aber… irgendwo hin, wo Lexy ist!“ Die Frage nach dem Studium hatte sie schon wieder vergessen und so blieb diese zunächst unbeantwortet.
Osmo lachte. „Naja Lexy ist ja im Moment hier und vielleicht wird sie ja auch bleiben, wenn das mit Riku weiterhin gut läuft. Wann bist du denn fertig mit allem?"
"So, wie es im Moment aussieht, habe ich noch das kommende Sommer- und Wintersemester. Dann habe ich alles für den Master durch. Auch die Masterarbeit. Die läuft ja parallel zum letzten Semester mit nur wenigen Kursen und Vorlesungen.“ erzählte sie bereitwillig und seufzte dann. „Und naja. Helsinki ist doch schön… wenn sie da bleibt… wäre das doch auch eine Idee, dass ich dann einfach auch da hinkomme. Allerdings… würde ich mir dann eher etwas außerhalb suchen, wo ich Sunshine mit hinnehmen könnte. Einen kleinen Bauernhof oder so etwas. Davon habe ich als Kind immer geträumt. Und da hätte dann auch Hellboy genug Platz. Das ist übrigens mein Pferd, was ich vor Sunshine hatte, aber der alte Bursche darf nicht mehr geritten werden und bekommt sein Gnadenbrot bei Opa auf dem Gestüt.“
Osmo rechnete kurz nach. „Also bist du in einem Jahr fertig? Helsinki ist ja recht groß. Ich denke da würde sich bestimmt etwas finden wo du deine Pferde unterbringen kannst. Und wenn man das früh genug weiß, können deine Freunde von hier ja schon die Augen aufhalten."
„In einem Jahr wäre schön. Wir sind in Deutschland mitten im Semester. Meine Klausuren sind Anfang Februar, aber für manche Studenten teilweise sogar erst im März. Und ab da ist es dann eben noch ein Jahr.“ Mittlerweile schwang in ihrer Stimme wieder das leichte Lächeln mit, was ihr Osmos Stimme nun wieder auf die Lippen zauberte und sie war innerlich unglaublich froh, ihn einfach angerufen zu haben, obwohl sie zunächst eine ganze Weile mit sich gehadert hatte, ob das wirklich richtig wäre.
„Na komm, das ist doch nicht mehr so lange. Außerdem bist du in wenigen Wochen ja schon wieder hier, wirst von mir bekocht und kannst Lexy ärgern. Und in der Zwischenzeit sind wir alle für dich da, egal was gerade los ist!" Osmo war froh, dass Anna wieder etwas fröhlicher klang.
„Das klingt nach einem außerordentlich guten Plan!“ Sie lachte kurz auf und wurde dann wieder ernst. „Du… Osmo… was ich dich eigentlich noch gefragt haben wollte… weil… telefonieren ist ja recht teuer… also… hast du auch… Facebook oder so etwas?“
„Klar habe ich Facebook! Wer hat das heute denn nicht?" Osmo lachte leise auf. „Wenn du da guckst wirst du mich allerdings mehrmals finden. Ich habe wegen eines Hacker Angriffs damals ein anderes Profil angelegt. Das eine ist noch mit Fans befreundet, das zweite ist privat. Vielleicht ist es einfacher wenn ich dich da suche?"
„Hm, wäre dann wohl sinnvoll. Du findest mich da unter Annabell v. Derenthal. Sollte ich dir vielleicht lieber per Whatsapp schicken, oder?“ Sie lachte ebenfalls auf und dachte darüber nach, wie kompliziert ihr Namen für einen Nicht- Muttersprachler klingen musste.
„Ja schick mir den Namen mal da und ich sende dir dann eine Anfrage. Der klingt echt kompliziert. Ich darf dich doch weiterhin Anna nennen oder?"
„Alle meine Freunde nennen mich so…“ Sie war sich nicht sicher, ob er ihre Worte auch so verstand, wie sie sie meinte, erklärte es aber dennoch nicht weiter.
Osmo lief derweil zu seinen Laptop und gab bei Facebook ihren Namen ein. „Ha Treffer! Hast eine Anfrage von mir ... Anna ..."
„Dann werde ich die gleich mal beantworten… und… Osmo?“ Sie machte eine kurze Pause und hörte ihn gespannt am anderen Ende atmen. „Danke.”
Der Musiker lächelte und fühlte sich unerklärlich gut. "Nicht dafür... Habe ich doch gerne gemacht..."

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