Kapitel 9

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Als Anna endlich aus dem Flieger stieg, atmete sie tief durch. Das erste Mal Helsinki, das erste Mal Finnland. Sie hatte zwar schon andere skandinavische Länder bereist, aber bis hier her war sie noch nie gekommen. Und dass ihre beste Freundin am Ausgang auf sie warten würde, machte ihre Nervosität nicht besser. Eher im Gegenteil. Auch wenn sie fast jeden Tag über Skype miteinander sprachen, sich so real endlich wieder zu sehen, war für sie Beide etwas Besonderes.
Lexy war die letzten Tage schon echt aufgeregt gewesen und nun stand sie da, zappelte von einem Bein auf das andere und reckte den Kopf um über die Leute zu schauen die ihr entgegen kamen. Sie würde ihre beste Freundin unter tausenden erkennen, schon alleine weil nur Anna diese unverwechselbare Haarfarbe hatte. Endlich sah sie ihre Freundin kommen und setzte sich in Bewegung um sie zu begrüßen. Die beiden fielen sich quietschend und plappernd in die Arme und jeder der sie so sehen konnte, hielt sie sicher für nicht ganz normal.
„Aaaaaah! Ich hab dich soooo vermisst!“ quiekte Anna, als die Beiden halbwegs wieder zur Ruhe gekommen waren und auf dem Weg aus dem Flughafen heraus waren.
„Oh Süße, du hast mir sooooooooooooooo gefehlt!" jubelte auch Alexandra und drückte Anna nochmal an sich.
„Aber heilige Scheiße, es ist ja echt saukalt hier!“ Die junge Frau fröstelte leicht und zog schnell ihre dicke Jacke über, die sie in der warmen Flughafenhalle noch in der Hand gehalten hatte. „Das sind doch garantiert Minusgrade, oder?“
„Habe dich ja gewarnt. Ich weiß gar nicht genau wie kalt wir es haben. Zu kalt auf alle Fälle." brummte Lexy und nahm ihre Freundin an die Hand. „Erst mal zu mir, Gepäck loswerden und dann in die Stadt?"
Anna nickte heftig. „Klar doch! Ich bin ja schließlich hier um was zu erleben!“ lachte sie und tänzelte mit ihrem Koffer im Schlepptau herum. „Wie kommen wir denn zu dir? Müssen wir etwa mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren?“ Annas Kichern bedeutete Lexy, dass sie ihre Worte keinesfalls so negativ meinte, wie sie klangen, aber generell war sie eben den Luxus gewohnt, seit ihrem 18 Geburtstag ein eigenes Auto vor der Türe stehen zu haben, womit Lexy eben nicht dienen konnte.
Diese streckte ihrer Freundin die Zunge raus. „Die paar Stationen können wir auch Bus fahren, es sei denn du willst ein Taxi ausgeben." lachte sie und schaute Anna mit hochgezogener Augenbraue an. „Ich konnte den Dienst leider nicht loswerden, da eine Kollegin krank geworden ist. Müssen also nach dem shoppen nochmal zu mir damit ich duschen und mich fertig machen kann." erklärte sie den Tages- und Abendplan und konnte es immer noch nicht ganz fassen, dass Anna jetzt hier war.
„Macht nix, ich finde schon was zu tun in deiner Bar!“ Anna grinste und zog ihre Jacke enger um sich. „Und ich glaube, wir nehmen heute einfach mal den Bus.“ Sie folgte Alexandra, die ihr voran in Richtung der Haltestellen ging, und versuchte dabei nicht zu auffällig zu frieren.
Auf eine solche Kälte war sie irgendwie doch nicht eingestellt gewesen und alle dickeren Sachen, die sie dabei hatte, waren noch im Koffer vergraben. Da es für Alexandra der erste Besuch war, den sie aus Deutschland bekam, hatte sie in den letzten beiden Tagen ihre kleine Wohnung auf Hochglanz gebracht. Es dauerte nicht lange und sie waren bei ihr zu Hause angekommen. Nach einer kurzen Wohnungsführung und einer Umkleideaktion von Anna konnte es auch schon wieder losgehen.
„Hast du Hunger?" fragte Lexy ihre beste Freundin.
„Du glaubst es kaum, aber ich hab nen Bärenhunger.“ lachte diese und sah an sich herunter. „Aber hey, in den Klamotten würde es gar nicht auffallen, wenn ich etwas zunehme. Ich sehe eh aus, wie ein Michelinmännchen! Da kann ich jetzt auch Hunger haben und ein ganzes halbes Schwein auf Toast essen oder so!“
„Willst du was typisch finnisches essen oder jetzt erst mal einfach Fast Food? Gibt eine nette Sport-Bar die leckere Burger und so etwas anbietet. Heißt Sports Academy und die Typen die da so rumhängen sind auch nicht so übel." wollte die junge Frau wissen und zwinkerte ihrer Freundin zu.
„Essen Finnen nicht traditionell verdorbenen Fisch oder so etwas Ekelhaftes?“ Anna rümpfte ihre Stupsnase und schüttelte sich. „Da wären mir dann nämlich Burger echt bedeutend lieber! Ich hatte nämlich nicht vor, mir hier in Tagen den Magen zu verderben und dann am Dienstag meine Marketingpräsentation zu verpassen!“
„Ich glaube du verwechselst das mit Schweden. So schlecht ist das finnische Essen gar nicht." Lexy musste lachen, denn sie erinnerte sich an einen Bericht den beide mal bei Pro 7 über vergammelten Fisch gesehen hatten und der Anna dazu verleitet hatte ein paar Wochen keinen Fisch zu essen.
„Oh, echt? Dann hab ich das verwechselt!“ Anna schüttelte den Kopf. „So nen Gammelfisch hätte ich nämlich im Leben nicht gegessen! Egal, wie viel Hunger ich gehabt hätte!“ Sie kicherte auf und stupste Lexy an, die verträumt durch den Bus blickte. „Der Typ, der da gerade ausgestiegen ist, hat dich übrigens die ganze Zeit angestarrt!“
Lexy zuckte leicht zusammen als ihre Freundin sie anstupste. „Was hast du gesagt?" fragte sie leicht verwirrt und starrte weiterhin aus dem Fenster.
„Ich sollte vielleicht lieber sagen, dass du gar nichts mitbekommst! Der eine Typ da eben hat dich die ganze Zeit angestarrt!“ wiederholte Anna ihre Worte von zuvor, lediglich leicht abgewandelt. „Sind wir überhaupt noch richtig? Oder sind wir schon im falschen Stadtteil, weil du hier vor dich hin träumst?“
„Ich träume? War grad nur etwas abwesend. Aber die nächste müssen wir eh aussteigen, also kannst du schon mal deine Sachen zusammen suchen." Die junge Frau stand bereits auf und griff nach einer von Annas Taschen.
„Na, dann habe ich dich ja perfekt geweckt!“ Annas Grinsen wirkte leicht teuflisch und ihre grün-grauen Augen blitzten amüsiert auf. „Lass mich raten... Riku?“ -
„Was ist mit Riku?" So ganz da war Lexy immer noch nicht denn sie runzelte die Stirn und schüttelte dann den Kopf.
Das wiederum brachte ihre beste Freundin erneut dazu laut aufzulachen. „Na da! In deinem Köpfchen!“ Sie tippte Lexy vor dir Stirn. „Du träumst von ihm! Eindeutig!“
„Ach Quatsch!" wehrte Lexy ab und guckte Anna böse an. „Rede nicht solchen Unsinn. Lass uns jetzt schnell zu mir und dann wieder los. Ich habe nämlich auch Hunger und so viel Zeit bleibt auch nicht mehr bis ich in die Bar muss!"
Noch immer grinsend folgte Anna ihr und hatte mit der abwehrenden Antwort Lexys ihre Bestätigung für ihre Vermutung bekommen: Ihre beste Freundin hatte ganz klar von diesem Riku geträumt und könnte sich innerlich dafür ohrfeigen, dass sie diesem Kerl eine Abfuhr erteilt hatte. Jetzt musste es nur das Schicksal gut mit ihr meinen, dann würde sie ihn vielleicht sogar irgendwann wieder sehen können...
Samu musste sich beeilen, denn er und Riku wollten sich treffen und er war bereits zu spät. Sein Kumpel hatte ihn vor ein paar Stunden angerufen und gefragt ob er ein paar Stunden seiner Zeit erübrigen konnte und er hatte zugesagt. Seit dieser Begegnung in der Bar war die Stimmung bei Riku sehr merkwürdig und der Sänger erhoffte sich zu erfahren was da bei seinem Freund los war. Müde öffnete der Gitarrist seine Wohnungstüre, als Samu klingelte und bat seinen Kumpel noch immer niedergeschlagen wirkend herein.
„Willst du was trinken?“ murmelte er leise und war schon auf dem Weg in die Küche, bevor Samu überhaupt etwas gesagt hatte.
„Einen Kaffee bitte." rief Samu ihm nach und war leicht erschrocken über das Erscheinungsbild seines Freundes.
Er folgte Riku in die Küche, lehnte im Türrahmen und schaute ihn forschend an.
„Wenn ich nett sein will, würde ich sagen du siehst müde aus. Wenn ich ehrlich sein will, würde ich sagen du siehst scheiße aus. Was ist bei dir los?"
Riku zuckte nur mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich schlafe nicht mehr wirklich.“ Er seufzte leise und reichte Samu den Kaffee aus seinem neu erworbenen Kaffeevollautomaten. „Ist halt alles etwas... ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll... aber irgendwie ist alles seltsam im Moment. Und am Schlimmsten ist, dass ich echt nicht zur Ruhe komme und nicht schlafen kann.“
Sein Freund fuhr sich durch die Haare und hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache. Das letzte Mal, als Riku sich so verhalten hatte war vor drei Jahren gewesen, als seine Ehe zerbrochen war.
„Es muss doch einen Grund geben. Machst du dir über irgendwas Gedanken?"
„Ja... nein... ach... keine Ahnung... Ich bekomme Alexandra einfach nicht aus dem Kopf.“ gestand der Gitarrist leise und senkte den Kopf.
Er wollte nicht, dass Samu ihm ansehen konnte, wie nachdenklich er wirklich war. Schließlich würde er sich dann nur wieder viel zu viel Sorgen machen und das wäre neben dem Stress, den sie mit den neuen Proben und dem ganzen Drumherum zur Zeit hatten, einfach zu viel. Samu jedoch kannte seinen Freund besser als manch anderer und ließ sich nicht so leicht abwimmeln. „Geht es nur um diese Kellnerin oder steckt da noch mehr hinter?"
Erneut zuckte Riku nur mit den Schultern. „Midlife Crisis oder was? Kann schon sein... Zumindest hab ich im Moment das Gefühl, dass das mit mir und den Frauen einfach nie wieder was wird. Vielleicht sollte ich eine meiner Gitarren heiraten und mit ihr glücklich werden...“ Die letzten Worte kamen zynisch über seine Lippen und schnell kniff er selbige zusammen, als er realisiert hatte, dass er seine Gedanken laut ausgesprochen hatte.
Samu griff nach seiner Tasse und trank einen Schluck Kaffee bevor er antwortete.
„Was ist denn speziell an dieser Frau so besonders, dass sie dich so aus der Bahn wirft?" Er wusste bereits, dass Riku immer versuchte solche Gespräche ins Ironische zu ziehen, deshalb ignorierte er das erst mal.
„Keine Ahnung... Also... ich meine... erst fand ich sie nur echt hübsch und niedlich... aber irgendwie... hat mir ihre Art gefallen. Wie sie mir Paroli geboten hat und überhaupt... Und dann dieser niedliche Akzent... Sie ist eindeutig keine Finnin!“ Langsam blickte der Gitarrist wieder auf und sah Samu aus traurigen Augen an. „Ich hatte einfach das Gefühl sie wäre die perfekte Frau. Und sie wusste mit Sicherheit nicht, wer ich bin...“
Mitfühlend legte Samu seinem Freund die Hand auf seine Schulter.
„Hattest du denn das Gefühl, sie mag dich auch? Wenn auch nur der Hauch einer Chance besteht, würde ich versuchen um sie zu kämpfen. Denn so wie ich das sehe ist das schon verdammt lange her seit du so etwas bei einer Frau gefühlt hast, oder irre ich mich da?"
„Mehr als verdammt lange...“ murmelte Riku leise und seufzte dann. „Weißt du... im ersten Moment, als ich mich entschuldigt hatte, da hatte ich echt das Gefühl, sie könnte mich mögen. Ich habe sie herzhaft zum Lachen gebracht und ihre Augen haben so gestrahlt. Aber... als sie mir dann die Abfuhr erteilt hat... so kalt und sachlich... Ich glaube einfach nicht, dass ich bei ihr irgendwann eine Chance haben werde. Eher friert die Hölle zu...“

I'm gonna win this little gameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt