13 - Vinci- und Dagi-Mausi

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Der Spaziergang ist offiziell gestrichen. Mich hat unverhofft eine Idee ereilt, wie ich ein Sample einsetzen könnte, das schon seit Ewigkeiten in meiner Datenbank rumdümpelt und solange ich noch inspiriert bin, kann ich auch gleich den Beat für Capi bauen, den er sich von mir gewünscht hat. Er lässt mir jede künstlerische Freiheit, dafür schätze ich ihn als Klienten sehr. Noch immer mit den Eclairs auf der Hand steige ich in die Bahn ein. Drinnen ist es leer, sodass ich ein freies Vierer-Abteil nur für mich habe, die Beine ausstrecke und aus dem Fenster schaue, hinter dem die Stadt an mir vorbeizieht. Die Sonne scheint. Ich genieße einen kurzen Moment der Stille, bevor ich meine Kopfhörer aufsetze und mich durch die Audios klicke, die Konstantin mir gestern noch geschickt hat.

„Digga, die neue High Hat ist Killer", urteilt er in einer Audio und der Beat, bei dem er mich zuletzt um Rat gebeten hat, beginnt zu spielen. Ich lächle und klopfe mir innerlich auf die Schulter. Er hat recht. Mein Vorschlag, die High Hat noch zusätzlich hoch zu pitchen, damit der Beat mehr Kontrast bekommt, hat wahre Wunder bewirkt. „Woo-hoo", feiert mein Kumpel in seiner Sprachnachricht ab und mein Lächeln wird zu einem breiten Grinsen. Die nächsten Nachrichten dokumentieren seinen Arbeitsprozess. Mit jeder weiteren verändert sich der Beat ein stückweit und am Ende ist daraus wirklich etwas unfassbar Geiles geworden. Das sind beste Voraussetzungen für starke Vocals.
„Dicka, das ist krass. Ich find's übertrieben nice. Wenn Paul darauf seine Texte spittet, geht die Single direkt steil", antworte ich ihm. „Ey, übrigens: Ich glaube, ich hab endlich 'ne Verwendung für dieses Sample von der, die diese Pfeiftöne singt. Du weißt, welche ich meine, oder? Ich bin gerade auf dem Weg ins Studio, ich schick dir das später und vielleicht hast du Bock, mit dran zu feilen."

Minuten später verlasse ich die S-Bahn und biege in die Straße ein, in der sich unser Studio befindet. Die Tür schließe ich mit einer Hand auf. Währenddessen grummelt mein Magen, weshalb ich mich entscheide, ein Eclair schon mal zu futtern und das andere Puddingteil vorübergehend in den Kühlschrank zu legen, bis ich es Marlene als Abschiedsgruß mitgeben kann. In ein paar Stunden muss ich sie vor ihrem Hotel abholen und zum Bahnhof fahren. Mein Auto werde ich nachher also schweren Herzens aus der sagenhaft günstigen Parklücke unmittelbar vor meinem Haus operieren. Außerdem darf ich unterwegs meinen lieben Kumpel Dag-Alexis irgendwo zwischen unserem Studio, meiner Wohnung und Marlenes Hotel aufsammeln. Dementsprechend sollte ich mich ranhalten mit der Arbeit, aber das wird zeitlich doch durchaus machbar sein. Erstmal brauche ich nur eine grobe Beat-Skizze. So kann ich Konstantin zeigen, in welche Richtung ich gehen will.

Mangels Gesellschaft vertreibe ich mir die Vesper-Zeit, indem ich weiter Charlottes Instagram-Profil durchstöbere. Sie ist zwar recht inaktiv, aber die wenigen Fotos, die sie von sich drin hat, gefallen mir ausnahmslos alle. Auf einigen ist sie ungeschminkt, und das sind mitunter meine liebsten. Darauf wirkt sie tiefenentspannt, völlig im Reinen mit sich selbst. Es gibt nur zwei Fotos, auf denen noch andere Personen zu sehen sind. Das eine zeigt sie mit einer Frau, die ich für ihre Mutter halte. Sie ist wesentlich älter, aber die Ähnlichkeit mit Charlotte ist frappierend.

Das andere ist ein Gruppenfoto. Charlotte steht mittig vorn und trägt ein enganliegendes, dunkelrotes Kleid, von dem ich inständig hoffe, dass sie es nie aussortiert hat. Es betont all ihre weiblichen Vorzüge. Außerdem erkenne ich ihre schwarzhaarige Freundin wieder, die gestern auch auf der Party war. Sie hat sich neben Charlotte positioniert, kann aber in dem champagnerfarbenen Cocktaildress optisch bei weitem nicht mit ihr mithalten. Hitze staut sich in meiner mittleren Körperregion und ich schließe die App seufzend. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.

Nach circa zwei Stunden im konzentrierten Workflow habe ich geschafft, was ich mir vorgenommen habe, und genau das versetzt mich in eine prima Laune. Ich bin produktiv gewesen und heute Abend habe ich ein Date mit einer wunderschönen Frau, die scheinbar echt was für mich übrighat.

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