40 - Ehepaar Engler lädt ein

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Am Freitag ist es schließlich soweit. Ich halte Vincents Hand, die ungewöhnlich schwitzig ist. Seine Anspannung überträgt sich womöglich gleich noch auf mich und das kann ich nicht gebrauchen, deswegen schlinge ich beide Arme völlig unvermittelt um seinen Körper und küsse ihn. Mein Freund ist dermaßen perplex von meiner Offensive, dass er den Kuss erst nicht erwidert, dann aber scheint er sich daran zu erinnern, wie gut es sich anfühlt, wenn wir einfach bloß rumknutschen. Seine Hände legt er auf meine Hüften, zieht mich zu sich und ich seufze.

Genau in dem Moment öffnet mein Vater uns die Tür und Vincent löst sich erschrocken von mir.

Papa mustert meinen Freund aus seinen grauen Augen streng und ich kichere innerlich. Er sieht wesentlich bulliger und einschüchternder aus, als er in Wahrheit ist, aber das weiß Vincent noch nicht. Dementsprechend paralysiert steht er neben mir wie das Reh im Scheinwerferlicht und starrt meinen Vater verängstigt an.
„Vincent", sagt er dann jedoch mit fester Stimme, als er sich plötzlich fängt. Er setzt sein typisches, leicht spöttisches Grinsen auf und reicht Papa die Hand.
„Tach, ich bin Falk", stellt Papa sich vor und nimmt Vincents Hand in seine kräftigen Pranken. Er lächelt und kleine Fältchen bilden sich rund um seine Augen, die augenblicklich seine gesamten Züge verändern und ihn gleich viel freundlicher wirken lassen. „So wie ich mein Lottchen kenne, hat sie dich geküsst und nicht umgekehrt."
„Und wenn's andersherum gewesen wäre?", frage ich schelmisch. Papa sieht meinem Freund distanziert in die Augen, während er mir antwortet: „Dann sollte Vincent mir das besser verschweigen."

„Na, hast du ihn schon ganz verschreckt, Falk, ist er schon gegangen?", ertönt plötzlich die Stimme meiner Mutter im Flur und wenig später schüttelt auch sie Vincent die Hand. „Dorothea, wir sagen Doro", stellt sie sich knapp vor und bindet ihre blonden, von vielen grauen Strähnen durchzogenen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. „Charlotte, Schatz." Sie küsst mich auf beide Wangen, auf die französische Art. „Kommt rein. Du bist ...?", dreht sie sich halb zu meinem Freund um, den ich an die Hand nehme, damit er mir auf dem Weg ins Wohnzimmer nicht verlorengeht oder gar von meinem Vater in ein Gespräch verwickelt wird.
„Vincent, freut mich", wiederholt er seinen Namen für sie.
„Vincent, alles klar", nickt Mama resolut und wir landen kurz darauf auf der Couch.

„Zwei Bier", stellt meine Mutter fest und deutet auf uns beide. Dann mustert sie Papa, zeigt erst auf sich selbst, dann auf ihn. „Vier Bier."
„Vier Bier und das Knoblauchbrot", bestätigt mein Vater.
„Vincent", wendet meine Mutter sich an meinen Freund. „Du isst doch Knoblauch, oder?"
„Nur wenn Charlotte welchen isst", erwidert er und meine Mutter lacht.
„Die konnte Tiefkühl-Knoblauchbaguettes noch nie widerstehen, also brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Hilf mir mal tragen", bittet sie Papa schließlich.
„Entschuldigt uns", verabschiedet er sich stellvertretend für sie beide und meine Eltern verlassen das Wohnzimmer.

„Was war'n das vor der Tür vorhin, hä?", fragt Vincent mich sofort und ich kann nicht anders, ich lache ihn leise aus für seine überschäumende Nervosität. „Ich dachte, mir ist das wichtig und dir ist das wichtig. Nimm das bitte ernst."
Er klingt wie seine Mutter, aber das sage ich ihm jetzt nicht, dafür würde er mir wahrscheinlich noch den Kopf abreißen.
„Tu dir einen gefallen, Vincenzo, und entspann dich", rate ich ihm, streichle über seine Wange, aber er weicht mir aus.
„Würde ich ja, aber du bringst mich vor deinem Vater in Verlegenheit, und wenn du nochmal so 'nen
lustgeleiteten Anschlag auf mich planst, dann warn mich doch wenigstens. Selbst Terroristen kündigen ihre Attentate vorher an, wieso machst du das nicht?" Ich zücke unbeeindruckt mein Handy.
„Ich tweete mal kurz, dass ich nachher noch flachlegen werde." Vincent greift nach meinem Handgelenk.
„Das wirst du schön bleiben lassen, außerdem lass ich mich von dir nachher ganz bestimmt nicht mehr anfassen, du sabotierst mich hier nach Strich und Faden."
„Es ist süß wie du immer noch glaubst, du hättest da irgendein Mitspracherecht", grinse ich und pikse ihn verspielt in den Bauch.
„Ey, du –" Er packt mich an den Hüften, schlingt beide Arme um mich und drückt meine Arme gegen meinen Körper. So viel Kraft wendet er nur selten auf, aber diesmal hat er einen Standpunkt zu vertreten. „Du kleine Schlampe", flüstert er leise in mein Ohr und es bringt mich zum Lachen. Vincent knabbert versöhnlich an meinem Ohrläppchen, da räuspert sich mein Vater hinter uns und mein Freund läuft rot an wie eine Tomate, gibt mich ohne Umschweife frei und ich rutsche brav von seinem Schoß, ziehe die Beine an und lecke mir kurz über die Oberlippe. Vincent sieht es im Augenwinkel. Mit einem schüchternen Danke nimmt er das Bier entgegen, das Papa ihm reicht.

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