Am Samstagmorgen überrascht uns der Sommerregen, der mir fast vorkommt wie ein Monsun. Mich wecken die Millionen Tropfen, die gegen das Fenster in Vincents geräumigem Schlafzimmer pladdern. Meinem Freund geht es nicht anders, wie ich schnell feststelle. Er stöhnt und zerrt sich die Decke über den Kopf.
„Was eine Apokalypse." Nur mit Mühe verstehe ich, was er da nuschelt.
„Es hat ganz plötzlich angefangen", sage ich leise. Vincent hebt seine Decke ein Stück an.
„Wie bitte?", fragt er und kneift die Augen zusammen. Langsam gewöhnt er sich an die Lichtverhältnisse. Trotzdem gibt er ein unzufriedenes Geräusch von sich und massiert seine Schläfe.
„Es ging plötzlich einfach los. Ein richtiger Sommer-Platzregen", erkläre ich erneut. Eine Erinnerung fliegt mir zu, ganz von allein. Mama hat mir mal erzählt, wie Justus als kleines Kind nackt auf unserer Terrasse stand. Er hätte im Regen geduscht, gelacht, wäre im Kreis gerannt. Mir hat so ein Wetter wie das heute als Kind immer nur Angst gemacht.Ich rutsche umständlich auf der Matratze umher, bis ich mich mit den Armen hochdrücke.
„Was machst du?", fragt Vincent in jammerndem Tonfall.
„Ich verschaffe mir einen Frischekick", teile ich ihm mit, stehe auf und laufe ins Wohnzimmer.
„Charlotte!", ruft er mir hinterher, doch ich reagiere nicht. Es zieht mich zur Balkontür. Ich schiebe sie auf. „Hallo, was soll'n das werden?" Auch seine Frage ignoriere ich und trete ins Freie. „Hey, hallo?" Mein Freund ist hinter mir aufgetaucht und sieht mich mit riesigen Augen an. „Du bist nackt", erinnert er mich. Sein Blick wandert einmal an meinem Körper auf und ab.
„Du auch", gebe ich trocken zurück und drehe mich wieder um.„Äh ...", macht Vincent hinter mir. Als er neben mich tritt, registriere ich mit Belustigung, dass er seine privateste Zone mit der Hand verdeckt. Mein Blick schweift zurück zu den Fenstern des gegenüberliegenden Hauses, vor denen der Regen in Striemen fällt. „Die da drüben können dich sehen", meint er sachlich. Ich schmunzle nur, brauche nichts zu sagen. Die Pause wird von den Tropfen gefüllt. Dann berühre ich ihn sanft am Unterarm, laufe mit meinen Fingern runter bis zu seinem Handgelenk. Vincent beobachtet verunsichert, was ich tue. Ich sehe ihm intensiv in die Augen. Und im nächsten Moment lässt er doch tatsächlich locker. Ich nehme seine Hand. Sie ist warm, und auch wenn der Regen nicht wäre, wäre sie wohl trotzdem feucht.
„Du bist völlig verrückt", fiept er. Mein sanftes Schmunzeln verwandelt sich kurz in ein Grinsen und dann direkt wieder zu einem zufriedenen Lächeln.„Schau dir den Regen an, Vincenzo", erwidere ich ruhig. „Schau zu, wie es regnet."
„Verrückt", wiederholt er mit Nachdruck. Ich kann nicht anders als mir einen Scherz mit ihm zu erlauben und summe leise den Anfang von Drafi Deutschers Marmor, Stein und Eisen. „Dam, dam!", setzt Vincent die Melodie mit Gesang fort. Er klingt unendlich nervös dabei, und ich breche in Lachen aus. „Sei bloß froh, dass ich sogar noch zu dir halte, wenn du mich zwingst, im Adamskostüm bei Schietwetter auf dem Balkon zu chillen."
„Welch ein Liebesbeweis", sage ich und drücke ich ihm damit meine Wertschätzung aus.
„Klemm dir deine Ironie, Chacha", grummelt er.
„Fühlst du dich sehr unwohl?", frage ich leicht besorgt.
„Nee, du, gar nicht", antwortet er mit übermäßigem Sarkasmus.
„Ich wollte dich zu nichts zwingen. Aber du musst jetzt wirklich nichts verstecken." Mein Freund schürzt die Lippen. In seinem Kopf rattert es.
„Dass du das denkst, finde ich auch schön", erwidert er. Um es zu unterstreichen, küsst er meine Stirn. „Ich will nur nicht, dass die von gegenüber derselbe Gedanke streift", fährt er fort. „Auch nicht in Bezug auf dich, wenn ich ganz ehrlich bin. Aber das ist dein Körper, deine Entscheidung." Mir wird warm ums Herz. Ich lächle, küsse ihn auf den Mund und genieße das Gefühl von Regentropfen, die meine Arme runterlaufen. Hier draußen falten alle Schmetterlinge ihre Flügel zusammen, bei Regen fliegt es sich schlecht. Die in meinem Bauch flattern dafür euphorischer denn je.+
Nach unserem Frühstück, zwei Schüsseln Müsli und vier Tassen Kaffee, liegen wir auf Vincents Couch und ich fühle mich unglaublich wohl. Es läuft eine Folge How i met your mother, die wir beide kaum verfolgen. Ich für meinen Teil schere mich nicht darum, denn Vincent sieht besser aus als die gesamte männliche Besetzung der Serie. Er riecht außerdem besser, und ich kann mich besser an ihn kuscheln. Mein Freund hat sein Handy gezückt. Er hat mich sogar vorhin vorbildlich gefragt, ob das okay für mich ist. Ich vermute, er schreibt mit Freunden oder Kollegen. Wo auch immer er da die Grenze zieht. Mir ist es gleich. Gerade reicht es mir vollkommen, dass ich unter seinem weißen T-Shirt seinen Bauch kraueln kann, und er mich ab und an küsst. Auf den Haaransatz, die Schläfe, die Wange - Jedes Mal entlockt er mir ein zufriedenes Lächeln damit.
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So genial
Fanfiction"Manchmal verlieben sich Menschen ineinander, ist das nicht genial? Ich meine, das ist doch der glücklichste Zufall von allen, oder? Du triffst diese eine Person und auf einmal wird dir wieder bewusst, wie viel Liebe du eigentlich im Herzen tragen k...