18 - Weck mich auf, Scheherezade

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„Vincent", rufe ich ihn durch den Flur zu mir. „Schlafzimmer", füge ich noch knapp hinzu und werfe mich auf mein rundes Bett, das nach Lavendel duftet und zugegebenermaßen aussieht, als hätte ich es aus einem orientalischen Harem entwendet.
„Oh, tut mir leid, Scheherezade, ich wollte zu Charlotte."
„Stehst du auf Rollenspiele?", frage ich ihn amüsiert.
„Nein, überhaupt nicht, bitte nicht", wehrt er lachend ab. Ungeduldig richte ich mich auf.
„Na komm, oder willst du da Wurzeln schlagen?"
Mein Date schüttelt den Kopf und ich betrachte ihn eingehend. Vorhin habe ich diesen Teil übersprungen und jetzt, als ich Vincent das erste Mal so richtig mustere, fallen mir ein paar Details an ihm auf. Er trainiert. Zwar ist er kein Schrank, aber er sieht aus wie jemand, der sich das Allgemeinwissen darüber, dass Sport der Gesundheit zuträglich ist, zu Herzen genommen hat. Seine Haut ist hell. Offensichtlich ist er einer, den man eher am Schreibtisch als draußen in der Natur antrifft, wo ihn die Sonne bräunen könnte. Braun sind dafür seine Augen, aus denen Treue spricht, die er vielleicht gar nicht kennt. Darüber kann ich nur wilde Vermutungen anstellen. Es gilt ihn besser kennenzulernen, um ihn treffender einschätzen zu können. Bisher weiß ich über Vincent nicht viel mehr, als dass ich mir wahrscheinlich problemlos bis ans Ende meiner Tage witzige Wortgefechte mit ihm liefern könnte, und dass wir im Bett durchaus harmonieren. Beziehungsweise auf der Couch und auf dem Küchentisch, das mit dem Bett wird sich erst noch zeigen.

Als er sich zu mir legt, rutsche ich so nah es geht an ihn heran, küsse seinen Hals, streichle ihn im Nacken. Er spiegelt, was ich tue. Ihm geht es nicht länger primär um seinen Spaß. Zumindest beschleicht mich dieser Eindruck, weil er jetzt ständig neue Wege zu suchen scheint, mich in Ekstase zu versetzen. Seine Befriedigung ist zumindest dieses Mal eine Art Beiprodukt meines Vergnügens; und ich stocke, als mir wie aus dem Nichts klar wird, dass ich jemanden wie ihn vielleicht nie wieder treffen werde. Ich sehe in seine Augen und mein Herz klopft so schnell, wie ein Schmetterling mit seinen grazilen Flügeln schlägt. Vincent erwidert meinen tiefen Blick. Einen Moment lang schwirren meine Emotionen in mir wie ein aufgescheuchter Schwarm von Tagpfauenaugen und Schwalbenschwänzen. In diesem kurzen Augenblick bin ich so verletzlich, wie ich mich das letzte Mal vor Jahren gezeigt habe und ich bete, dass er es nicht begreift; dass er nicht sieht, wie schutzlos ich vor ihm bin. Wir tauschen einen langen Kuss. Vincent schmeckt nach etwas, das mich an meine Kindheit erinnert. Nach irgendwas aus dem Kaugummiautomaten. Ich liege auf ihm, seine Daumen malen kleine Kreise auf meine Seiten, dort, wo er mich an der Taille festhält. Er ist warm, so angenehm warm, dass ich ihm am liebsten nie mehr fern wäre.

Kaum habe ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, löse ich mich rasch von ihm. Mein Gewissen plagt mich zurecht, es ist wirklich zu früh für solche Kleinmädchenwunschvorstellungen. Ganz die erwachsene Frau, die ich bin, küsse ich seinen Bauch in einer feinen Linie hinab in seine verletzlichste Zone. Ich horche auf seinen Atem, der sich nach und nach beschleunigt. Seine Erregung potenziert sich, ich kann es spüren. Ich küsse ihn, während ich quälend langsam auf ihn sinke. Vincent erwidert den Kuss erst zaghaft, dann hungriger und seine Hände umfassen gierig meine festen Brüste, als ich auf ihm vor- und zurückgleite. Nichts geht übers Cowgirl. Die Reiterstellung ist meine liebste und ich erinnere mich auch wieder daran wieso, als er meine Klitoris mit sanftem Druck massiert. In fast allen Stellungen gestaltet sich eben das oft etwas schwieriger, dabei ist es ein paradiesischer Genuss. Ich werfe den Kopf in den Nacken und lasse mich von meinem Verlangen, meiner Sehnsucht und vor allem meiner unstillbaren Lust mitreißen. Wir sind beide dermaßen in diesem Zustand gefangen, klammern uns aber an das letzte, das uns noch bleibt – den jeweils anderen. Meine Fingernägel kerben sich in seine Unterarme und er hat mich noch immer an den Seiten gepackt, hält mich fest, weil ich sonst wegrutschen würde, während er von unten zustößt. Vor meinen Augen tanzen bunte Lichter und ich sacke auf ihm zusammen, bleibe liegen, in dieser Position, die ein Déjà-vu bei mir wachruft. Jetzt ist mein Kopf auf seine Brust gebettet und er haucht mir einen Kuss auf den Scheitel, spielt mit meinen Haaren; vorhin ist es umgekehrt gewesen.

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