6 - Ich, ich stalke; ich stalke dich

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„Nicht dein Ernst." Marlene fällt die Kinnlade runter, als ich meine Ausführungen zu Gio endlich beendet habe. Wir sind nochmal darauf zurückgekommen, was zwischen meinem letzten Sexpartner und mir eigentlich vorgefallen ist.
„Was für ein Vollidiot", befindet sie. Didi nickt.
„Wow, Charles, ehrlich. Der dachte wohl, er kann seine Spielchen mit dir treiben", kommentiert meine Kollegin und schüttelt dabei fassungslos den Kopf.
„Seine Spielchen haben nicht mal Spaß gemacht, wenn wir's dann schon miteinander getrieben haben. Ich hätte ihn viel früher absägen sollen, aber ich war zu faul. Den Fehler begehe ich nie wieder", deklariere ich.
„Klingt ganz danach, als hätte der Mann ein übles Ego-Problem und würde sein Pretty Privilege ein bisschen zu sehr genießen", stimmt auch Marlene in die Tirade mit ein.
„Ich bin einfach raus, wenn du jemandem Alkohol verabreichst und er so austickt. Es ist definitiv nicht normal, Leute zusammenzuschlagen, von denen du zu allem Überfluss nüchtern noch behauptet hast, sie wären deine besten Freunde", sage ich.
„Verständlich", betont Didi. „Das ist ein absolutes No-Go, niemand sollte sich so verhalten. Ein Glück bist du den los."

„Ich komme gerade noch immer nicht über den Fakt hinweg, dass er dich noch mehrere Male angerufen hat danach, um das zwischen euch zu kitten", wirft Marlene ein.
„Nicht wahr? Ich habe ihm gesagt, dass ich keine Lust mehr auf ihn habe. Schön, groß und trainiert hin oder her. Er wollte mich dauernd dominieren, sowas kann ich nicht ab." Angewidert verziehe ich das Gesicht. Gio ist retrospektiv betrachtet wirklich ein Schwein gewesen und von seinen Fetischen will ich gar nicht erst anfangen. Das geht meine Freundinnen ohnehin nichts an. Sowas in einem Nebensatz auszuplaudern, ist unanständig, und würde in Gios Fall sogar an Rufmord grenzen.
„Den hat es anscheinend wirklich gewurmt, als du ihn abserviert hast. Wahrscheinlich bist du die erste Frau, von der er eine Abfuhr kassiert hat."
„Und wenn ich die dreiundfünfzigste wäre", knurre ich, verschränke ich die Arme vor der Brust und betrachte meine Reflektion in der Spiegelung der Scheibe.

Die Räder der S-Bahn quietschen auf den Gleisen, das Geräusch ist ohrenbetäubend. Marlene und Didi tauschen gequälte Blicke. Ich halte mich raus, fahre mir mit dem Zeigefinger unter der Nase entlang. Das ist eine Marotte von mir. Wenn ich innerlich aufgebracht bin, es aber nicht nach außen zeigen möchte, kommt jedes Mal diese Geste zum Einsatz. Mir bleibt keine Zeit darüber nachzudenken, durch welche Körpersprache ich meine Gefühle sonst noch unfreiwillig verrate, denn Didis Stimme holt mich zurück in die Gegenwart.
„Ich finde, du solltest dir heute einen süßen Kerl angeln. Schlechter als mit Gio kann der Sex doch gar nicht werden."

„Du bist schon zu lange mit Jay zusammen. Außerhalb einer festen Beziehung könnte der Sex auf jeden Fall immer noch schlechter für mich sein, als es der mit Gio war. Ich weiß, wovon ich spreche", gebe ich gleichgültig zurück. „In einer Beziehung will man die Zeit, die man teilt, genießen. Da geht es nicht um Wollust, sondern um Liebe. Über deinen Freund willst du alles erfahren, von deinem Playboy-Bunny musst du nur befriedigt werden." Marlene grinst wissend.
„Vielleicht solltest du dich nach einem wirklich tollen Kerl umschauen, Charlotte. Nach einem Freund." Ich lache nervös. Marlene lässt sich davon nicht beirren und nimmt meine Hand in ihre. „Im Ernst. Gucken kostet doch nichts."
„Ich weiß nicht", ziere ich mich und schaue auf meine Hand, die Marlene in ihre genommen hat. Die Silberringe habe ich mir nach der Trennung von meinem Ex-Freund gekauft. Sie sollen mich daran erinnern, dass ich auch ohne Beziehung formidabel zurechtkomme. „Die Art von Mann, die ich will, wisst ihr ...", sage ich. „Na ja, so ein Typ existiert vielleicht gar nicht."
„Vielleicht", wiederholt Didi. „Vielleicht aber auch doch."

„Wie stellst du dir deinen perfekten Freund vor?", will Marlene wissen.
„Wenn er mich nicht langweilt, ist das immer schon mal ein guter Anfang." Ich gähne demonstrativ. „Ich will einen, der mir treu ist, mit dem ich Stunden am Stück reden kann. Jemanden, der mich zum Lachen bringt. All die Dinge, die man sich bei seinem Partner halt wünscht."
„Und äußerlich?", schaltet Didi sich ein.
„Äußerlich bin ich anspruchslos. Ich suche jemanden, der neben mir aussieht, als würde er genau dahin gehören, aber das war's."
„Gibt's keine phänotypischen Merkmale, auf die du stehst?", will meine Kollegin es nun genauer wissen. Am Ende sorgt Marlene, die aufgeregt auf meine Hand drückt dafür, dass ich einknicke.
„Doch, schon. Ich mag große Männer. Aber abseits davon bin ich wirklich offen. Andere Präferenzen fallen mir so aus dem Stehgreif nicht ein. Es sei denn, du fragst mich nach seinem Charakter." Didi grinst.

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