2 - Wie im Tindergarten

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Meine Haare sind noch tropfnass, als ich sie in einem Handtuch-Turban verschwinden lasse. Vorsichtig steige ich aus der Dusche, um nicht auszurutschen und seufze. Ich habe die Fliesen geflutet, aber es geht doch nichts über das großartige Gefühl, am ganzen Körper quietschsauber zu sein. Ich wickle mich in meinen mollig-warmen Bademantel, öffne die Fenster weit und höre zu meinem Ärger schon als ich den Flur betrete, dass mein Handy im Wohnzimmer klingelt. Wenn er das jetzt wieder ist, kann er was erleben.

Schnurstracks marschiere ich in das Herzstück meiner Wohnung. Mein Handy rattert auf dem gläsernen Couchtisch, als ich den Raum betrete, und tatsächlich: Sobald ich näher darauf zugehe, lese ich Gio Wöldner im Display.
„Bist du lebensmüde?", überspringe ich die Begrüßung knurrend.
„Charlotte, bitte lass uns nochmal reden", verlangt er. „Du sagst doch immer, dass du allen eine faire Chance geben möchtest. Einfach vor mir wegzulaufen ist nicht fair."
„Ich weiß nicht, welchen Status du und ich in deinem Kopf hatten, aber soweit ich mich erinnere, hast du auf Tinder – genau wie ich – nur nach einer Bettgeschichte gesucht. Muss ich dir davon erst noch Screenshots schicken, damit du begreifst, dass ich dieser Sache zwischen uns ein Ende bereitet habe? Leb dein Leben ohne mich weiter, Gio. Du bist doch ein großer Junge, oder nicht? Ich bin mir sicher, du schaffst das."
„Komm schon, willst du alles, was wir hatten, wirklich einfach so in die Tonne treten?"
„Wir hatten Sex die letzten Monate, das war's."
„Eben", quengelt er. „Wir hatten Sex, mehrmals."
„Wieso betonst du das so komisch? Tut mir leid, aber dein Penis in meiner Vagina war keine Zäsur in meinem Leben. Und meine Pussy ist bestimmt nicht magisch, also tu dir selbst einen Gefallen und hör auf, dir das einzureden." Ich triumphiere einen Moment lang im Stillen, während Gio schweigt.

„Ich gebe zu, dass ich mich an diesem Abend wie ein widerliches Arschloch benommen habe."
Überrascht lege ich die Stirn in Falten. Mit einer Entschuldigung habe ich nicht gerechnet, doch gerade, als ich überlege, ob ich vielleicht zu ruppig zu ihm war, packt er doch die „Rechtfertigung" aus, die er mir in den letzten paar Tagen so oft um die Ohren gehauen hat, dass mir mittlerweile der Schädel davon dröhnt.
„Ich hatte zu viel getrunken, ich war echt besoffen an dem Abend. Unzurechnungsfähig quasi."
„Auf Unzurechnungsfähigkeit kannst du ja plädieren, falls dein Kumpel, den du auf dieser Party vermöbelt hast, Anzeige wegen Körperverletzung erstatten sollte", antworte ich knallhart. „Ich bin dir keine Erklärung schuldig. Selbstverständlich steige ich nicht mit erwachsenen Männern ins Bett, die Schlägereien mit ihrem angeblich besten Freund vom Zaun brechen. Ob unter Alkoholeinfluss oder in nüchternem Zustand."
„Was wenn ich dir verspreche, dass das nie wieder vorkommt?"
„Hört, hört." Ich werfe einen Blick auf die Wanduhr links von mir. Dieses Gespräch dauert für meinen Geschmack bereits viel zu lange. „Gio, ich habe keine Zeit für diesen Blödsinn. Du hast dich widerwärtig benommen und mich sogar zweimal gegen meinen Willen begrapscht. Das mit uns ist vorbei, und ich verhandle auch nicht mit dir darüber. Belästige mich nicht nochmal. Alles Gute für die Zukunft." Mit einem entnervten „Tschüss!" lege ich auf.

Solche Standpauken halte ich nicht gern, aber manchmal sind sie unumgänglich. Als ich Gio vor etwa zwei Monaten auf Tinder kennengelernt habe, dachte ich schon, ich spinne. Mit seinen dunkelblonden, raspelkurz rasierten Haaren, den stechend blaugrauen Augen und seinem kantigen Kiefer, ist er ein Abbild des gesellschaftlichen Schönheitsideals, in das Männer sich heutzutage einpassen sollen. Er modelt, und das passt zu ihm.
Ich habe nie verstanden, was er von mir will, denn wenn ich eins nicht bin, dann die Art von Frau, die optisch in seiner Liga spielt. Mein Selbstbewusstsein muss ihn angezogen haben. Vielleicht datet er auch absichtlich unter seiner Spielklasse. Sollte dich nicht überraschen, Charlotte, meist ist es dann einfacher, sich das Weibchen zu unterwerfen. Ich hätte ihm besser früher sagen sollen, dass der Sex meiner Meinung nach nur mittelmäßig war. Aber ich wollte seine Gefühle nicht verletzen. Dummer Anfängerfehler.

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