Die Lichter der Stadt ziehen an uns vorüber, während Charlotte ihren Wagen durch die Straßen lenkt. Das Innere des roten Prius riecht nach ihrem Parfüm, ist mir sofort aufgefallen, als ich eingestiegen bin. Ich lasse meinen Körper noch ein Stückchen tiefer in den weichen Ledersitz sinken. Schläfrig blicke ich mit vor der Brust verschränkten Armen aus dem Fenster, dann drehe ich Charlotte meinen Kopf zu und mustere sie. Ihre blonden Haare sind leicht zerzaust. Sie tippt auf dem Lenkrad den Beat des Sido-Songs mit, der leise aus dem Radio dudelt. Kurzerhand lehne ich mich vor und drehe die Musik auf.
„Du kennst den Text, ich seh's dir an der Nasenspitze an", ermuntere ich sie grinsend mitzurappen, aber Charlotte schüttelt lachend den Kopf.
„Vergiss es, ich mache mich hier doch nicht vor dir zum Affen." Als sie an einer roten Ampel hält, lehne ich mich zu ihr rüber, küsse sie am Hals und singe leise die Hook, ganz nah an ihrem Ohr.
„Meine Gedanken, mein Leben, mein Herz, meine Welt; reicht vom ersten bis zum sechzehnten Stock." Sie atmet zittrig aus, als die Ampel auf Grün schaltet und ich mich wieder brav auf den Beifahrersitz zurücklehne.
„Der Kerl aus'm Ersten war früher mal Rausschmeißer; seitdem er aus dem Knast ist, ist er unser Hausmeister", setzt sie den Text fort und ich steige mit ein: „Er ist oft bei der Nutte aus dem Zweiten; jetzt verkauft sie Fotos von ihm beim Arschausweiten."Die letzten Noten von Mein Block verklingen irgendwann und das Lächeln auf Charlottes Gesicht, macht mich einfach nur glücklich. Ich war gefühlt vom ersten Moment an verknallt in diese Frau und jetzt nenne ich sie seit etwa einer halben Stunde meine Freundin. Besser geht kaum. Zufrieden zücke ich mein Handy und richte die Kamera ungefragt auf ihr hübsches Profil, solange sie noch über unsere kleine Gesangseinlage kichert.
„Was tust du?", fragt sie mich. „Hast du gerade ein Foto von mir gemacht?"
„Hm-mh", summe ich bestätigend und betrachte mein Meisterwerk. Ich habe einen echten Moment eingefangen. Stolz klopfe ich mir selbst auf die Schulter.
„Applaudier dir mal nicht zu früh. Ich bezweifle, dass ein 16:9-Bild ausreicht, um meine volle Schönheit abzubilden", tönt sie lachend.
„Hey, du eingebildete Kuh", erwidere ich schmollend und schubse sie leicht. „Das Foto ist pure Kunst." Ich betrachte eingehend, was ich auf meinem Handydisplay sehe und beschreibe es ihr in einer geschwollenen Lobeshymne. Wie sich die ruhige Dynamik der Fahrt in ihren Haaren widerspiegelt, die über ihre Schultern fließen; wie das warmgoldene Licht von draußen in ihren Augen funkelt und das Leder des Lenkrads glänzt; wie die Regentropfen auf der Scheibe als perfekte Textur vor dem indigoblauen Hintergrund der Nacht fungieren. „Der Anschnallgurt teilt das Bild diagonal in zwei Hälften, schwarz und linear, aber durch die Schräge wirkt die Komposition besonders aufregend."
„Oh Gott, Vincent, hör schon auf", prustet Charlotte unter lauter albernem Gelächter, weil ich die Klischee-Stimme eines begeisterten Kunsthistorikers nachahme.
„Ja ja, passt. Ich will ja nicht, dass du 'nen Unfall baust", kehre ich zu meiner normalen Intonation zurück. „Aber das Foto ist wirklich schön geworden", versichere ich ihr und stelle es prompt als Hintergrund ein. Sie grinst, kann es offenbar nicht unterdrücken. „Was denkst du gerade?", frage ich sie.
„Dass du der größte Spinner bist, der mir je untergekommen ist."
„Ja, untergekommen, wortwörtlich", murmle ich und ihr Lächeln wird noch ein Stück breiter, als sie ihre Hand auf meinen Oberschenkel legt und bedächtig Kreise auf die Innenseite malt.
„Und dass ich dich mag", fügt sie noch leise hinzu.
„Ich mag dich auch", gebe ich zurück. Meine Hand lege ich dabei auf ihre, bis sie wieder den Schaltknüppel bedienen muss.Schweigen breitet sich einige Minuten lang zwischen uns aus, sodass ich Zeit habe, mir die letzten Tage ins Gedächtnis zu rufen; all die kostbare Zeit, die ich inzwischen mit Charlotte verbracht habe und die ich gegen nichts auf der Welt eintauschen würde. Nicht mal gegen die Musik, die ich in den Stunden, in denen ich stattdessen ihre Gesellschaft genossen habe, hätte fabrizieren können. Bei ihr zu sein fühlt sich unfassbar richtig an. Wieder zücke ich mein Handy, diesmal allerdings um die Küchenmaschine zu bestellen, die sie in einem Jahr von mir geschenkt bekommen wird. Weil ich weiß, dass es solange mit uns hält. Ja, ich bin betrunken, aber ich würde jede Wette eingehen, dass Charlotte und ich nächstes Jahr an diesem Juli-Tag auf unsere Beziehung anstoßen. Sie schielt verstohlen zu mir rüber, bis ich mein Smartphone demonstrativ seitlich zu ihr drehe, sodass sie absolut nichts auf dem Bildschirm erkennt. Freiwillig begebe ich mich noch zusätzlich in Schieflage, um die Bestellung beim Elektrofachhandel abzuschließen. Sie soll nichts davon ahnen, dass ich ihr gut zugehört habe. Würde den Überraschungseffekt killen.
„Na, vernichtest du schnell die Beweise für deine zahlreichen Affären?", scherzt sie.
„Ich vernichte dich gleich."
„Ich fahre, Schatz, damit solltest du warten, bis wir zu Hause sind", kontert sie.
„Okay, Schatz", erwidere ich ironisch und ziehe den Kosenamen dabei künstlich in die Länge. Charlotte sieht kurz aus, als hätte sie in einen besonders sauren Apfel gebissen.
„Lass uns bitte nie eins von diesen komischen Paaren werden", murmelt sie.
„Den Pakt schließe ich sogar gratis mit dir", erwidere ich und ihre Miene hellt sich auf. Sie schenkt mir ein umwerfendes Lächeln.
„Wo du schon dabei bist ..." Ihre Hand löst sich von der Gangschaltung und schwebt auf ihr Handy zu, das sie vorhin in dem freien Becherhalter abgelegt hat. Sie wirft es mir in den Schoß. „Kannst du vielleicht rasch Tinder bei mir löschen? Mein Code ist 7964." Automatisch tippe ich mit und suche nach dem Icon.
„Warst du ein Fan von Tinder, bevor du meiner bescheidenen Wenigkeit begegnet bist?", frage ich sie nebenbei.
„Ich glaube, niemand, der die App tatsächlich mal benutzt hat, ist ein Fan von Tinder." Sie lacht, allerdings klingt sie nicht sonderlich amüsiert. Kein Wunder, Menschen auf Tinder benehmen sich bekanntermaßen oft unter aller Sau. „Wenn du deine Grenzen kennst und konsequent setzt, erfüllt sie aber ihren Zweck."
„Welchen Zweck?", hake ich nach.
„Ich habe dort nach Männern gesucht, die mit mir über Wildwiesen spazieren und Blümchen pflücken wollen", entgegnet sie trocken.
„Natürlich. Ich pflücke auch gern Blumen."
„Ich weiß." Sie wirft mir einen Seitenblick zu, bei dem mir plötzlich ein ganzes Stück heißer wird. In Charlottes Einstellungen wähle ich die Option Account löschen. Dann sperre ich ihr Telefon und versenke es wieder in dem leeren Becherhalter. Erst danach wird mir schleichend klar, was ich eben getan habe. Ich habe ihr Tinder-Profil gelöscht. Mit ihrer Erlaubnis. In meinem Bauch beginnt es verdächtigt zu kribbeln, die volle Schmetterlingsdröhnung. Diese Bereitschaft, sich voll und ganz auf was Festes einzulassen, mit mir, trotz meiner zehntausend Fehler, hat keine meiner Ex-Freundinnen so früh mitgebracht. Obwohl ich darauf stehe, und wie sehr ...Charlotte parkt direkt vorm Hauseingang. Der Motor geht aus und wir wechseln einen Blick, spulen wahrscheinlich beide im Kopf ab, was auf jeden Fall passieren wird, sobald wir oben in ihren geheiligten vier Wänden sind. Sie ist diejenige, die den Augenkontakt bricht, und aussteigt. Ich folge ihrem Beispiel, jogge ihr hinterher. Ihr Auto schließt sie ab, während sie strammen Schrittes auf die Tür zuhält; den Schlüssel hat sie bereits in der Hand. Sie öffnet die Tür, hält sie mir auf und ich trete in den Hausflur. Charlotte schmunzelt, lässt die Tür los und atmet überrascht ein, als ich sie am Arm packe und aufhalte, bevor sie die Stufen hochsprinten kann. Unnachgiebig ziehe ich sie zu mir, spiele meine körperliche Überlegenheit gegen sie aus und drücke sie gegen die Wand, küsse sie leidenschaftlich und höre erst damit auf, als Charlotte sich gegen meine Brust stemmt.
„Du bist sicher nicht zu betrunken dafür?", fragt sie mich und ich lache. Sie zuckt gleichgültig die Achseln und wir treten den Weg nach oben an. „Ich frage ja bloß. Einer ist mal unter mir eingepennt beim Sex."
„Hättest du dich mal mehr angestrengt", necke ich sie und Charlotte jauchzt empört auf, ehe sie mir ihre Hand entzieht, nach der ich gegriffen habe, solange wir die Stufen noch nebeneinander erklommen haben. Ich kann nicht zulassen, dass sie mir davonläuft, also schlinge ich einen Arm um ihre Taille und hole sie so nah wie möglich zu mir.
„Keine Sorge, ich bin wach", schwöre ich und schiebe meine Hand vorn unter ihre Bluse, streichle ihren weichen Bauch. Charlotte fühlt sich so warm und vertraut an. Sie legt ihre Hand jedoch über meine und verhindert so, dass ich weiter auf Erkundungstour gehe. Trotzdem küsst sie mich lange. Quälend lange, ohne dass ich sie anderweitig berühren darf, und dieses Hinauszögern bringt mich fast um den Verstand.
„Weißt du ...", nuschelt sie letztlich und ich dirigiere sie ungeduldig zu ihrer Wohnungstür. „Heute war ein harter Arbeitstag und dann kam ja noch hinzu, dass ich dich von dieser Party abholen musste." Sie schlägt die Augen auf, drückt mit dem Ausdruck von Unschuld auf ihren Zügen quasi jeden Knopf, den es bei mir zu drücken gibt und schmiegt sich eng an mich. Sie fasst in mein Haar, als ich ihren Hals liebkose. Ich seufze auf, schiebe meine Hände auf ihren Hintern und sie reibt sich an mir. „Ich denke, ich bin zu erschöpft", haucht sie mittendrin. Offensichtlich meint sie es nicht ernst, immerhin knöpft sie, noch während sie das sagt, meine Hose auf.
„Du machst mich verrückt", gestehe ich und sehe ihr einen Moment tief in die Augen.
„Nur so bleibst du bei mir." Sie streicht mit dem Daumen über meine Wange, windet sich aus unserer Umarmung und steckt den Schlüssel ins Türschloss.
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So genial
Fanfiction"Manchmal verlieben sich Menschen ineinander, ist das nicht genial? Ich meine, das ist doch der glücklichste Zufall von allen, oder? Du triffst diese eine Person und auf einmal wird dir wieder bewusst, wie viel Liebe du eigentlich im Herzen tragen k...