31 - Schnucki und Schnuckel

188 10 34
                                    

Charlotte parkt ihren Wagen schwungvoll in der Einfahrt. Heute ist es windig und die Bö peitscht ihre blonden Haare umher, die sie zu einem hoch angesetzten Pferdeschwanz zusammengebunden hat. Sie schenkt mir ein Lächeln, zupft ihr beigefarbenes Oberteil zurecht, und kommt erhobenen Hauptes auf mich zu.
„Na, Schnuckel", begrüßt sie mich in ironischem Ton und ich lege eine Hand an ihre Wange, küsse sie zärtlich.
„Na, Schnucki", erwidere ich, nachdem ich mich von ihr gelöst habe. Sie lacht. Dabei schubst sie mich zurück in den Raum, aus dem ich mich für die Begrüßung halb rausgelehnt habe.
„Auf geht's, Beatzarre. Du wolltest mit deinen Gold- und Platinplatten angeben."
„Ich will dir lediglich mein Studio zeigen und du bezichtigst mich der Prahlerei", erwidere ich und schmolle in gespielter Enttäuschung.

„Herrjemine, hab dich nicht so", meint sie grinsend, schiebt sich an mir vorbei und zieht mich am Stoff meines T-Shirts hinter sich her. Ich schließe die Tür, merke, wie sie mich loslässt. Charlotte wird plötzlich ganz still. Als ich mich wieder zu ihr umdrehe, haftet ihr Blick an der gegenüberliegenden Wand. Mit den Augen wandert sie ungläubig blinzelnd die Reihen von Auszeichnungen entlang. „Heilige Scheiße", murmelt sie. Ich stelle mich hinter sie und falte meine Arme vor ihrer Brust. Sie schüttelt den Kopf, als ich in ihr Ohr puste.
„Wir hatten einfach überall sonst keinen Platz dafür. Die hängen nicht direkt beim Eingang, damit ich angeben kann", stelle ich klar.
„Sicher doch", erwidert Charlotte trocken. Ich grinse, küsse sie am Hals, atme dabei ihren unverwechselbaren Duft ein. Sie windet sich aus der Umarmung.

„Komm mit", fordere ich sie auf, nehme ihre Hand und zeige ihr die verschiedenen Räume. Die Aufnahmekabine, meinen Schreibtisch, unsere Chill-Ecke ... Es kann sein, dass ich mir das nur einbilde, aber mit der Zeit wirkt sie immer mehr in sich gekehrt. In der Küche stoppe ich sie schließlich und mustere sie einen Moment. Die leicht gekräuselten Lippen und hochgezogenen Schultern machen mich skeptisch. „Alles in Ordnung?", frage ich.
„Alles gut", winkt Charlotte ab. Trotzdem umfasse ich ihr Handgelenk und ziehe sie zu mir.
„Dreh dich mal um", fordere ich sie auf.
„Wieso?", fragt sie. Ich verdrehe die Augen, spiele meine Stärke gegen sie aus und dirigiere sie dorthin, wo ich sie haben möchte, ohne ihr Zutun. Jetzt hat sie mir den Rücken zugewandt und ich kann ihre Schultern massieren.

„War dein Arbeitstag anstrengend?", will ich wissen. Charlotte schließt die Augen, sie atmet ruhig und gleichmäßig.
„Meine Arbeit ist nie anstrengend, höchstens mal herausfordernd", behauptet sie. Aber davon sollte ich mich wohl nicht täuschen lassen. Ihr Körper sagt etwas anderes, sie ist verspannt. „Nein, es ist -" Sie unterbricht sich. „Ich war noch nie mit jemandem zusammen, der so eine steile Karriere hingelegt hat wie du", gesteht sie schließlich. Ich muss grinsen.
„Turnt dich das an?" Sie lächelt amüsiert.
„Ein bisschen", gibt sie zu. „Es ist aber ein wenig seltsam, weißt du?" Sie dreht sich um, drückt mich von vorn gegen die Theke, an die ich mich gelehnt habe, und ihre Fingernägel gleiten über den Stoff meines Shirts. Kurz leckt sie sich über die Lippen. „Ich frage mich, ob du überhaupt Platz für mich in deinem Leben hast." Noch innerhalb einer Sekunde wird mir klar, ihr verspielter Tonfall ist nur Fassade. In ihren Augen sehe ich deutlich, dass sie das Thema ernsthaft beschäftigt. Ich nehme meine Hände von ihrer Hüfte und stütze mich stattdessen auf den Tresen.

„Du hast recht, das bringt alles seine Verpflichtungen mit sich", bestätige ich ihr erstmal, dass ihre Sorgen absolut nicht unbegründet sind. „Die Sache ist aber die ... Ich will Platz für dich in meinem Leben schaffen - Sonst hätte ich dich nicht gefragt, ob du meine Freundin sein möchtest. Du kannst dich natürlich immer auch nochmal dagegen entscheiden, aber ich glaube, ich spreche für uns beide, wenn ich sage, dass wir längst an einem Punkt angelangt sind, an dem das verdammt wehtun würde", fahre ich fort.
„Da ist was Wahres dran", sagt sie leise. Ihre Hand liegt auf meiner Brust und sie sieht mir in die Augen. „Ich habe Fragen."
„Frag ruhig."
„Hast du in der Vergangenheit mal mit Groupies geschlafen?" Ich ziehe die Luft ein.
„Das kam jetzt unerwartet. Ähm, nein", antworte ich wahrheitsgetreu und versuche nicht darüber nachzudenken, ob die Frage ein erstes Zeichen von Eifersucht und damit ein dunkles Omen für unsere noch so junge Beziehung sein könnte. „Ich denke, es ist in jedem Fall ratsam, zwischen diesen zwei Dingen eine Grenze zu ziehen, also habe ich das getan. Es ist ein glücklicher Zufall, dass ich mit meiner Leidenschaft Geld verdienen kann. Aber Musik ist Musik, und andere Formen der Leidenschaft haben in meinem Beruf nix verloren." Sie nickt andächtig.
„Heißt, das ist auch nichts Normales für dich, dass ich aus deiner Sicht akzeptieren müsste." Ich hebe beide Hände über den Kopf und lache, um die Situation irgendwie aufzulockern.
„Um Himmels Willen, Charlotte, natürlich ist das nicht normal. Und ich würde nie verlangen, dass meine feste Freundin es eben einfach zu akzeptieren hat, wenn ich mich auf Tour nach Lust und Laune durch die Gegend vögle."
„Gut", murmelt sie. Ich kratze mich am Kinn. Irgendwas stimmt nicht mit ihr.
„Sag mir, was los ist", fordere ich sie direkt auf.

So genialWo Geschichten leben. Entdecke jetzt