11 - It's getting hot in here

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Ein schaler Geschmack liegt auf meiner Zunge, als ich wach werde, aber das ist nicht das einzig Ekelhafte, das meine Sinne am Morgen nach der Party anregt. Ich rümpfe die Nase. Es mieft. Ich miefe! Der Schock rüttelt meine schweren Knochen in Rekordzeit wach.

„Widerlich", krächze ich heiser und richte mich ein Stück auf. Heilige Scheiße, ich stinke, als hätte ich drei Tage Krafttraining bestritten, ohne Pause – und vor allem ohne Dusche danach. „Bah", mache ich und zerre mir das T-Shirt von gestern über den Kopf. Über Nacht muss ich darin so irre geschwitzt haben, dass es sich ganz klamm anfühlt. Ich hebe es an einem Zipfel hoch, halte es über die Bettkante und lasse es zu Boden fallen. Leider ändert das nichts an meinem üblen Odeur. Als ich vorsichtig schnüffle, stellen sich mir sämtliche Nackenhärchen auf. Gut, vielleicht dramatisiere ich das Ganze ein wenig. Gegen ein Stinktier würde ich den „Wer riecht schlechter?"-Contest sicher verlieren – aber nur knapp. Deswegen beschließe ich, den brüllenden Kater-Kopfschmerz gekonnt zu ignorieren. Wenigstens bis ich all die geruchsbildenden Bakterien auf meiner Haut unter der Dusche abgewaschen habe.

Auf dem Weg ins Bad wird meine Koordination direkt auf die Probe gestellt. Mein Kater möchte unbedingt, dass ich im Slalom durch den Flur wanke, und jedes Mal, wenn mein gesunder Gleichgewichtssinn sich protestierend einmischen will, lullt der Restalkohol in meinem Blut ihn ein. Klar, geradeauslaufen kann jeder, Schlangenlinien sind da schon lustiger. Bei dem Gedanken muss ich selbstironisch schmunzeln. Das gestern war genau ein Sangria-Eimer zu viel.

Inzwischen habe ich mich bis ins Badezimmer vorgearbeitet, setze mich auf den geschlossenen Klodeckel und zerre mir Jeans und Boxershorts von den Beinen. Auch meine Socken landen auf den Fliesen. Ich tapse zur Dusche rüber, stelle mich in die Kabine und starre unschlüssig den Hahn an. Warm oder kalt? Todesmutig lasse ich kaltes Wasser laufen und zwinge mich, die Husche zehn volle Sekunden auf mich einprasseln zu lassen und dabei von karibischen Sandstränden zu träumen, während ich „It's getting hot in here" vor mich hin summe. Die warme Dusche im Anschluss dauert fast dreißig Minuten, aber das ist mir egal; ich will kein Wasser sparen, ich will nur sauber werden.

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Mit geföhnten Haaren und sehr viel besserer Laune kehre ich in mein Schlafzimmer zurück, wo ich in frische Klamotten schlüpfe und pfeifend mein Bett neubeziehe. Mit meinem Smartphone in der Hand pflanze ich mich auf die Couch, mache eine meiner neusten Playlists an und checke in aller Ruhe meine Nachrichten auf sämtlichen Plattformen. Dag hat mir eine Audio geschickt: „Dicka, Whynee, alles gut bei dir? Du warst ja mies blau gestern. Wollt ma' hören, wie's dir geht. Falls du das hörst, mach ma' Piep, mein Mäuschen."

Ich grinse unfreiwillig und drücke auf Aufnahme: „Ey, du bist so ein Spinner. Mäuschen? Samma, hast du noch alle Latten am Zaun? Na, jedenfalls, ich bin in meinen eigenen vier Wänden aufgewacht. Mir is' aber bisschen schleierhaft, wie ich hierhergekommen bin."

Auf Instagram entdecke ich die Antwort in Marlenes Feed. Sie hat Bilder von gestern Abend gepostet, eine ganze Fotostrecke bestehend aus fünf Bildern. Unter anderem eins von ihr und uns, also Dag und mir. Ich muss echt extrem tief in die Flasche geglotzt haben; auf jeden Fall stehe ich meiner Pose nach zu urteilen ungefähr so stabil neben Lenny wie ein Jenga-Turm, dem über die Hälfte seiner Bausteine fehlen. Das Foto bekommt ein Herz von mir und ich swipe zum nächsten. Darauf ist natürlich wieder Marlene zu sehen, diesmal jedoch umringt von ihren Freundinnen. An die Dunkelhaarige erinnere ich mich kaum, aber bei der Blonden klingelt was in meinem Hirn. Und zwar so richtig schrill. Verfluchte Kack-Migräne.

Ich furche die Stirn und trinke einen Schluck Kaffee, bis ich mich beinah mit der braunen Flüssigkeit übergieße, denn es fällt mir wie Schuppen von den Augen. Für einen kurzen Moment werde ich in der Zeit zurückkatapultiert und ich sehe sie vor mir, nah vor mir. Sie lächelt. Wir umarmen uns, und mein ganzer Körper kribbelt währenddessen. Immer mehr von diesen kleinen, bruchstückhaften Erinnerungen rasen durch meinen Kopf.

So genialWo Geschichten leben. Entdecke jetzt