4 - Scotch & Sofa & Charlotte

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„Ständig dudelt das Telefon, in dieser Scheiß-Redaktion, ich kann es nicht mehr hören. Ohne Fächer ist es in dieser Hitze ja kaum noch auszuhalten. Irgendwer muss sich doch um die Klimaanlage kümmern. Was macht der Hausmeister eigentlich den ganzen Tag, außer dir auf den Arsch zu glotzen, jedes Mal, wenn du an ihm vorbeiwackelst?" Didi fährt sich durch ihr glattes, schwarzes Haar, das über ihre Schultern fließt und inzwischen bis zu ihrem, kleinen festen Po reicht, auf den ihr Freund so steht. Wie sie dauernd wiederholen muss. Sie klingt wie eine gesprungene Schallplatte. Jay fährt voll drauf ab ... Wusstest du schon: Jay liebt meinen Hintern. – Ja, Didi, wusste ich schon. „Sag doch auch mal was", fordert sie mich auf.

„Madita", spreche ich meine Kollegin und Freundin mit ihrem ganzen Vornamen an. „Es gibt kein Problem mit der Klimaanlage, sondern mit der Heizung, die sich nicht mehr abschalten lässt, deswegen ist es heiß", erläutere ich. „Die Reportage muss in zehn Minuten ins Layout. Kannst du bitte einfach so tun, als wäre es dir egal, dass ich dein Gequassel ignoriere?"
Didi schnappt empört nach Luft und fängt unmittelbar darauf an zu husten, weil der Feinstaub, der durchs Büro schwebt, ihre Lungen besonders malträtiert. Sie ist Asthmatikerin. Während ich den Anblick der im Sonnenlicht tanzenden Partikel als beruhigend empfinde, stört sie sich daran.
„Ich ersticke noch hier drin!", brüllt sie aus dem Fenster, als sie es mit Müh und Not geöffnet hat.

„Ich weiß sowieso nicht, warum du nicht schon vor Stunden Feierabend gemacht hast und nach Hause gegangen bist, um dich nach einem langen Arbeitstag endlich auf die Couch zu fläzen, wie jeder normale Mensch", murmle ich. Noch ein fehlendes Leerzeichen. Aggressiv haue ich auf Space.
„Charlotte Engler!", übertönt Didi das gequälte Geräusch, das meine Tastatur von sich gibt. „Du hast mir versprochen, dass wir heute ausgehen. Ich zerre dich in diese Bar, wenn es sein muss." Genervt verdrehe ich die Augen.
„Ich dachte, um ehrlich zu sein, dir wird schon noch irgendwas dazwischenkommen. So wie beim letzten Mal, als du dich mit mir verabreden wolltest."
„Meine Mutter ist zu Hause gestürzt, und mein Vater war nicht in der Nähe", brummt Didi.
„Ich meine das Mal davor", erwidere ich trocken. „Als du es einfach vergessen hast."

In den letzten drei Minuten, die mir noch bleiben, ziehe ich den dritten und abschließenden Teil unserer Berichterstattung über eine politische Jugendorganisation, die in Polen gegen den Faschismus der dortigen Regierung kämpft, auf einen Stick. Für Hardware-sicher-entfernen bleibt jetzt keine Zeit mehr. Hastig springe ich auf, schnappe mir meine Tasche, in die ich vorhin schon alles geworfen habe, und den grauen Cardigan. Mit dem USB in der Hand sprinte ich durch den langen Flur, zur Layout-Abteilung, ziele und werfe ihn geübt in den kleinen Korb, den mein Kollege Tino gerade desinteressiert wegträgt. Er klemmt sich sein belegtes Brötchen zwischen die Zähne und zeigt mir einen Daumen hoch. Triumphierend grinse ich und laufe fast mit voller Geschwindigkeit in die hechelnde Madita rein.

Gedanklich liege ich eigentlich schon auf meinem Bett, eingekuschelt in meine Flauschdecke, mit einer Tasse kaltem Kakao auf dem Schoß und einer Netflix-Serie, die über den Bildschirm meines schrottreifen Laptops flackern wird. Ich schiebe mich an meiner Freundin vorbei und angle nach meinen Autoschlüsseln, doch Didi packt mich am Arm.
„Wir gehen jetzt ins Scotch & Sofa", bestimmt sie und funkelt mich düster aus ihren dunkelbraunen Augen an.
„Falsch, meine Couchlandschaft zu Hause ist das einzige Sofa, in dessen Polster ich mich heute noch werfen werde", sträube ich mich und gebe ihr ein Küsschen auf die Wange.

„Charles!", ruft Didi mir nach, dabei bin ich schon im Treppenhaus und flüchte abwärts. Meine Kollegin klebt mir im Rücken. „Nur auf einen Drink!" Sie umfasst eisern mein Handgelenk und schleift mich die letzten Stufen runter.
„Wenn ich was trinke, kann ich nicht mehr fahren", unternehme ich einen letzten Protestversuch. Sie rollt mit den Augen.
„Mein Gott, lass deine Karre doch einen Abend in der Garage stehen. Wenn Chefchen das auch dauernd macht, wirst du ja wohl einmal damit davonkommen." Chefchen ist nach Napoleon der zweite Spitzname, den wir unserem direkten Vorgesetzten Anselm Klausen gegeben haben. Wie hat es Nigel noch gleich in „Der Teufel trägt Prada" ausgedrückt? – „Kleiner Mann, Riesen-Ego."
„Didi", flehe ich, denn was sie sagt, ist schlicht gelogen. Klausen wird mich kalt machen, wenn ihm morgen in aller Herrgottsfrühe mein alter Prius in seiner Tiefgarage auffällt. Aber meine Kollegin bleibt hartnäckig. Und vielleicht hab ich ja Glück und er lässt seinen Wochenendbesuch in der Redaktion morgen mal ausfallen.

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