33 - Itsy-bitsy spider

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Unter der Decke ist es tausend Grad warm. Mindestens. Die Kühlakkus, die ich aus dem Eisfach mit ins Bett genommen habe, sind aufgetaut. Charlotte scheint sich nicht daran zu stören, aber ich erleide in den nächsten fünf Minuten wahrscheinlich einen Hitzeschock, wenn ich mich nicht aus der Hölle rausbewege, das ihre Schlafstätte gerade ist. Diese Sommernächte machen mich fertig. Außerdem muss ich pissen.

Ich schlage widerwillig die Augen auf, meine Lider fühlen sich unglaublich schwer an. Kein Wunder, immerhin verrät mir ein kurzer Blick auf mein Handy, dass es vier Uhr morgens ist. Mein Smartphone erinnert mich ebenfalls daran, dass das eigentlich meine Tiefschlafphase ist. Ich erwarte schon, dass Google Calendar mir gleich vorschlägt, demnächst einen Termin beim Urologen zur Prostata-Untersuchung zu vereinbaren. So weit geht die technische Überwachung dann aber doch nicht.

Gähnend reibe ich mir über die Augen und zwinge meinen Körper, sämtliche Muskelfunktionen in Gang zu setzen, damit ich aufstehen kann. Das klappt ganz gut und der Weg ins Badezimmer ist ja zum Glück nicht weit. Nachdem ich meine Notdurft verrichtet und mir die Hände gewaschen habe, werfe ich einen kurzen Blick auf mein sicherlich Zombie-ähnliches Äußeres. Irgendwo unter meinem Bart bahnt sich ein Pickel gerade seinen Weg an die Oberfläche. Man soll nicht dran rumquetschen, ich weiß das, aber vielleicht finde ich irgendwo Zinksalbe. Bei der reinen Haut meiner Freundin würde mich das allerdings wundern. Ich betätige den Lichtschalter und erschrecke mich im nächsten Augenblick zu Tode. Ein Aufschrei entwischt mir, denn direkt neben dem Spiegel sitzt die größte Spinne, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Als das Monstrum dann auch noch eins seiner haarigen acht Beine bewegt, wird mir klar, dass ich das hier nicht träume.

„Fuck, fuck, fuck", murmle ich. „Scheiße, Stein, jetzt beruhig dich", rede ich auf mich ein, verkrampfe jedoch vollständig dabei. Die Spinne krabbelt über mein erschrockenes Spiegelbild, was mich endgültig zur Flucht zwingt. Ich mache auf dem Absatz kehrt und laufe zurück ins Schlafzimmer, muss mich dabei ermahnen, nicht zu rennen. Ehe ich näher darüber nachdenken kann, was ich da tue, rüttle ich meine Freundin wach.
„Justus!", flüstert sie , als sie aufwacht und sich aufsetzt. „Was ...?", murmelt sie dann verwirrt.
„Wer ist Justus?", frage ich.
„Vincent?", fragt Charlotte zurück und reibt sich über die Augen. „Spinnst du, wieso weckst du mich? Draußen ist es noch dunkel."
„In deinem Bad sitzt 'ne richtig fette Spinne auf dem Spiegel", kläre ich sie auf.
„Oh mein Gott", seufzt sie und fällt zurück auf die Matratze, wo sie die Decke über ihren nackten Körper zerrt. „Warum lässt du mich nicht schlafen? Schnapp dir den Zahnputzbecher, öffne das Fenster, setz sie raus und bring den Becher danach zum Geschirrspüler."
„Vergiss es, die Spinne ist in deinem Bad, nicht in meinem."
„Ich habe keine Spinne in meinem Bad gesehen. Da ist keine Spinne in meinem Bad", grummelt sie.

Charlotte streckt die Hand nach mir aus und ich ergreife sie, ziehe sie daran hoch.
„Da ist eine Spinne", wiederhole ich nachdrücklich. „Bitte. Ich kann nicht schlafen, wenn ich weiß, dass dieses Riesenviech vielleicht gleich ins Schlafzimmer kriecht", schiebe ich schüchtern hinterher. Charlotte jammert, dann schaltet sie die Lampe auf ihrem Nachttisch ein und setzt sich auf. Müde massiert sie ihre Schläfen.
„Hast du solche Angst vor Spinnen?", fragt sie mich.
„Ich habe Respekt vor Spinnen, das ist was anderes", entgegne ich trotzig. „Besonders vor großen, du musst das mit eigenen Augen sehen."
„Du hast Angst", konstatiert sie trocken.
„Diagnostizier du mir mal weiter meine Phobien, in der Zwischenzeit steuert das Tier die Dusche an, wo es dich überrascht, wenn du drunter stehst. Und du wirst so angeekelt sein, dass du bloß wünschst, du hättest auf mich gehört und das Biest entfernt, als die Gelegenheit günstig war", echauffiere ich mich.
„Okay. Zeig mir die Spinne," gibt sie nach. Ich verschränke meine Finger mit ihren und gemeinsam durchqueren wir den Flur.

Charlotte gibt ein gequältes Geräusch von sich, als wir in den Lichtkegel treten, den die Lampe aus dem Bad auf den Boden wirft.
„Sie ist noch immer da", stelle ich fest und weiß nicht, ob ich darüber beunruhigt oder erleichtert sein soll. Charlotte scheint sich indes an die anderen Lichtverhältnisse gewöhnt zu haben.
„Heiliger Strohsack!", rutscht es ihr raus und sie umklammert meinen Arm so fest, dass es wehtut. „Scheiße, ist die riesig. Meinst du, die ist giftig?" wimmert sie.
„Du stellst Fragen, sehe ich für dich aus wie ein Spinnenexperte?", zische ich. „Passt die überhaupt unter den Zahnputzbecher?"
Charlotte lockert ihren Griff um meinen Arm und taxiert Opa Langbein argwöhnisch aber entschlossen.
„Das muss sie wohl oder übel." Todesmutig langt sie nach dem Becher, kippt seinen Inhalt über dem Waschbecken aus und konzentriert sich einzig und allein auf ihr Ziel: die Spinne.

So genialWo Geschichten leben. Entdecke jetzt