An mir nagt zum ersten Mal die Frage, ob ich mir nicht zu viel Zeit für meine Freundin freischaufle, als wir am frühen Dienstag-Nachmittag ein niedliches Café in meiner alten Wohngegend betreten. Allein die Überlegung ist falsch, so kommt es mir jedenfalls vor, doch ich schaffe es nicht, den Gedanken ohne Weiteres beiseitezuschieben, seit Charlotte und ich auf dem Weg hierher in Eintracht festgestellt habe, dass wir beide für gewöhnlich nie so früh auf Arbeit Schluss machen.
Nehmen unsere Treffen gerade überhand? Wie kann es sein, dass ich noch immer ständig mit ihr zusammen sein will, obwohl die rosarote Phase inzwischen vorbei ist? Ich kenne mich so gar nicht.Charlotte huscht durch die Tür, die ich ihr aufhalte und sieht sich um. Das Café ist eingerichtet wie eine typische New York Bakery. Hell, groß, offen. Eine Drag-Queen klackert in ihren hohen Schuhen über den Fliesenboden und nimmt an einem der Tische Platz. Meine Freundin sieht ihr hinterher, dann flirrt ihr Blick zu den kunstvoll bemalten Kreidetafeln, auf denen die Karte verewigt wurde. Art-Nouveau-Blumenmuster ranken sich um die Schriftzüge. Hier gilt die Selbstbedienungsregel, also schiebe ich sie zum Tresen rüber, ans Ende der Schlange.
„Der Kuchen hier ist geil", informiere ich sie und deute auf die Auslage. Charlotte nickt mit leuchtenden Augen. Ich weiß längst, was ich möchte. Mein Blick begegnet der Frau, die vor uns ansteht und ich bemerke dabei, dass sie mich ungläubig anstarrt. Sie hat so blaue Augen, dass ich fast meine, mitten in zwei kreisrund geschleifte Lapislazuli-Steine zu blicken, und trägt ihre braunen, gewellten Haare zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengebunden. Zaghaft lächelt sie.
„Hey, cool dich hier zu treffen, was machst du so?", fragt sie mich auf einmal.In meinem Kopf rattert es, aber ich erinnere mich einfach nicht an sie. Ihre Begrüßung klingt nicht, als wäre sie ein Fan, eher als würde sie mich tatsächlich persönlich kennen, aber woher? Ein Glück ist mein Mundwerk so lose. Während ich fieberhaft überlege, wer sie ist, beantworte ich vage ihre Frage.
„Wir wollten gerade nur 'nen Kaffee trinken."
„Geht mir genauso. Ich arbeite in der Nähe und bin häufiger in meiner Mittagspause hier, weil der Kaffee vom Barista besser schmeckt als im Büro." Büro, Büro, Büro ... Ich kenne niemanden, mit Ausnahme von Charlotte, der in einem Büro arbeitet. Zumindest war ich bis vor fünf Sekunden noch vollkommen überzeugt davon. „Du hast lang nichts mehr von dir hören lassen, wieso nicht?", fragt mich das Mädel, das anscheinend irgendwo gleich um die Ecke angestellt ist.
„Viel zu tun", antworte ich knapp. Wir hatten also mal Kontakt ... Hat die meine Nummer? Ich ihre jedenfalls nicht. Oder doch?Als sie sich vorbeugt, um sich ein Stück Kuchen aus der Auslage zu angeln und mir dabei ihre Brüste in dem rund ausgeschnittenen T-Shirt präsentiert, streift mich der Gedanke, wir könnten mal miteinander geschlafen haben und ich halte das für durchaus plausibel, als sie mich wie zufällig am Arm berührt.
„Schade, hat doch Spaß gemacht letztes Mal", zwinkert sie mir zu. „Dieser Film, den du da seinerzeit rausgesucht hattest, der war so bescheuert. Wie hieß der nochmal?"
Wie der hieß? Wie heißt du denn?!
„Keine Ahnung", sage ich und grinse sie verlegen an, während ich mich am Hinterkopf kratze. Irgendwas mit M, da bin ich mir ziemlich sicher ... Melanie, Melissa, Mona –„Er erinnert sich nicht an dich." Charlottes Stimme hinter mir erklingt so scharf, dass sie die Luft zu durchschneiden scheint. Ich drehe mich mit großen Augen zu ihr um.
„Macht nix, ich bin Monique", sagt die Brünette irgendwann, nachdem sie Charlotte ausgiebig gemustert hat. Meine Freundin stiert unbekümmert zurück. Sogar mit einem Hauch von aufgeblasener Hochnäsigkeit und Herablassung. Zwei Dinge, die ihr überhaupt nicht stehen.„Hey", wende ich mich der bekannten Unbekannten zu und versuche mit Freundlichkeit für die feindseligen Blicke zu kompensieren, die Charlotte ihrer neuen Erzrivalin zuwirft. „Ich dachte erst an Mona, aber ich hatte schon so im Gefühl, dass das nicht ganz stimmt." Ich schenke Monique ein Lächeln und greife nach einem Stück Käsekuchen mit Blaubeeren. „Du auch?", frage ich Charlotte nebenbei.
„Ich habe keinen Appetit", murmelt die und ich blinzle, aber sie sieht aus, als würde sie gleich drauf losfauchen, wenn ich jetzt nachhake, was eigentlich ihr Problem ist.
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So genial
Fanfiction"Manchmal verlieben sich Menschen ineinander, ist das nicht genial? Ich meine, das ist doch der glücklichste Zufall von allen, oder? Du triffst diese eine Person und auf einmal wird dir wieder bewusst, wie viel Liebe du eigentlich im Herzen tragen k...