17 - Und zum Dessert ...

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Das Haus, in dem Charlotte wohnt, ist ein blaugrau gestrichener Altbau. Allerdings ist die Fassade dafür ziemlich unspektakulär und auch im Hausflur sehe ich keinen Stuck an den Wänden oder Decken. Es wirkt bieder, nur der Boden im Schachbrettmuster und die Lampen an der Decke, alles mittelgroße Kronleuchter, verraten, dass sich jemand Gedanken gemacht hat, wie man das Ambiente schlicht aber einladend gestalten könnte. Über die weißen Briefkästen hat jemand ein rotes Graffiti gesprayt mit dem eingängigen Schriftzug: FCK NZS. Offenbar hat sich keiner von Charlottes Nachbarn bisher darüber beschwert und das macht sie mir allesamt direkt sympathisch.

Mit flinken Schritten, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, erklimme ich die Treppen bis in den zweiten Stock. Engler, prangt auf dem Schild neben ihrer Tür, aber ich muss nicht klingeln. Mein Date erwartet mich bereits im Türrahmen.
„Na", begrüßt sich mich mit tieferer Stimme als sonst. Scheint als wäre sie gerade erst aufgestanden. Aber sie ist geschminkt, kleine Krümelchen ihrer Wimpertusche tummeln sich unter ihren Augen und ihre Lippen verführen im Feuerrot der Abenddämmerung.
„Hab ich dich geweckt?", frage ich sie grinsend und sie erwidert es. Ihr Lächeln ist süß, leicht asymmetrisch. Nur auf ihrer linken Wange bildet sich ein Grübchen, wann immer sie die Mundwinkel nach oben zieht.
„Hast du, aber sieh mich an." Sie gestikuliert an sich herunter und lässt die Zehen in den weiß-violett gestreiften Kuschelsocken wackeln. „Ich hab mich extra hübsch gemacht für dich." Da hat sie recht. Abgesehen von den gemütlichen Socken ist sie zweifellos eleganter gekleidet als ich, der ich vorhin nur in einen grauen Sweater - Merch von einer befreundeten Band - und eine Jeans geschlüpft bin. Charlotte hingegen trägt ein schwarzes, enges Minidress aus einem Samtstoff, das ihre Vorzüge betont. Es ist zwar vorne hochgeschlossen, aber als sie sich für mich dreht, kehrt sie mir absichtlich extra lang den Rücken, wo der Ausschnitt mir nur ganz knapp noch Raum für meine Fantasien übriglässt.

„Hast du auch so schicke Socken für mich?", frage ich sie. Wozu ihr ein Kompliment machen, wenn ich sie auch einfach ärgern kann? Ich bin sicher, Charlotte ist eine der wenigen Frauen, die sich selbst genug nette Sachen vor dem Spiegel sagen. Dabei braucht sie meine Unterstützung ganz bestimmt nicht. Sie lacht und automatisch bildet sich diese angenehme Gänsehaut auf meinen Armen, wie bei unserem letzten Date schon. Der Klang geht mir durch Mark und Bein. Irgendwas transportiert sie darin, das mich erfüllt und vollkommen zufriedenstellt. Ich kann es schlecht beschreiben, aber es macht süchtig und es weckt das untrügliche Bedürfnis in mir, sie dauernd zum Lachen zu bringen.

„Ich habe Hello-Kitty-Kuschelsocken, möchtest du die? Pink ist deine Farbe, ich seh's dir an", kontert sie, schließt die Tür hinter mir und deutet auf das Schuhregal neben dem Eingang. Ich gehe auf die Knie und schnüre meine Chucks auf.
„Never ever hast du Hello-Kitty-Kuschelsocken", strafe ich sie lügen und Charlotte schürzt die Lippen.
„Du hast mich erwischt, ich habe keine Hello-Kitty-Kuschelsocken ... Aber weiße mit rosa Pünktchen! Komm, die würden so süß an dir aussehen", meint sie schmollend, als ich mich aufgerichtet habe und nah vor ihr im Flur der Wohnung stehe, der durch die Garderobeninstallation und das Schuhregal rechts besonders schmal ist. Ich grinse auf sie herab. Ein regelrechter Energieblitz jagt durch meinen Körper, als ihre Hand auf meiner Brust landet und dort liegen bleibt, direkt über meinem klopfenden Herzen.
„Wenn die in deiner Größe sind, kann ich die aber nicht an den Füßen tragen, das ist dir schon klar, oder?", sage ich und berühre mit meinem Fuß leicht ihren wesentlich kleineren.
„Du könntest sie zweckentfremden", schlägt sie vor. „Als ein paar Ohrenschützer oder Eierwärmer ..."
„Was?", frage ich lachend.
„Was?", erwidert sie unschuldig. In einer fließenden Bewegung duckt sie sich unter mir weg.

„Möchtest du ein Bier oder was anderes trinken?", fragt sie mich, ganz die aufmerksame Gastgeberin.
„Bier klingt gut, was hast du da?" Ich folge ihr in die Küche, die links vom Flur abgeht und im Landhausstil gehalten ist. Rustikales Holz, gestrichen in einem zarten Grünton, verziert mit Malereien von Kornblumen. Charlotte steht vor der modernen Kühl- und Gefrierschrank-Kombination, einem nigelnagelneuen Modell von Samsung. Ich streiche über die verchromte Tür. „Exquisiter Geschmack bei Küchengeräten, was?", kommentiere ich.
„Urquell, Tannhäuser, Kindl, Jever ...", übergeht sie meine Bemerkung und zählt stattdessen Biersorten auf.
„Das hast du alles da drin?", unterbreche ich sie ungläubig und linse an ihr vorbei in den Kühlschrank. Tatsächlich stapeln sich in einem der Fächer - dem einzigen Fach, das randvoll ist - Bierflaschen der unterschiedlichsten Marken. „Bist du Braumeisterin, oder hast du ein Alkoholproblem?"
„Eindeutiges Jein zu beidem", antwortet Charlotte. „Ich habe mal überlegt, Brauereiwesen zu studieren, aber es gibt eine Menge Braumeister, die fantastische Arbeit leisten, während die guten Journalisten leider noch immer in der Unterzahl sind. Obwohl vor ein paar Jahren doch ich das Presse-Parkett betreten habe." Sie zuckt die Schultern, als könne sie sich den schlechten Ruf der Zeitungen seitdem nicht erklären.
„Was wohl noch am ehesten einer göttlichen Fügung ähnelte", komplettiere ich ihre Erzählung und sie bestätigt trocken: „Du hast es erfasst." Dann schenkt sie mir ein Lächeln, das ihre Arroganz als einen Scherz entlarvt. „Bedien dich einfach." Sie lässt mich vor dem Kühlschrank stehen und durchquert die Küche mit der Anmut einer Raubkatze. Meine Augen wandern runter auf ihren Hintern. Der Anblick kitzelt meine Triebe, aber sie provoziert mich auch auf diese Weise nur. Und sie weiß, was sie tut. Das schelmische Funkeln in ihren Augen verrät es mir, als sie sich gegen die Arbeitsplatte aus weißem, abgewetztem Marmor lehnt. „Wo du schon gerade so günstig davorstehst, könntest du rasch die Zutaten rausnehmen, bitte?" Bis vor zwei Sekunden hat sie noch neben mir gestanden und hätte das, was sie von mir verlangt, selbst erledigen können. Aber auch das ist etwas, dass ich mir bereits mental über Charlotte notiert habe: Sie behält gern die Zügel in der Hand und dagegen habe ich nichts. Irgendwann wird es mich sicher mal interessieren, was passiert, wenn die Ratten nicht nach ihrer Pfeife tanzen, heute Abend allerdings sieht der Plan anders aus und ich werde mir das nicht selbst vermasseln, indem ich ihre Grenzen austeste.

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