52 - Charlotte tut Dinge - für sich?

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Nervös tipple ich mit dem Fuß auf den grau-schimmernden Fliesenboden im Foyer. Claudia, unsere Empfangsdame, wirft mir immer wieder schräge Blicke zu, über den Rand ihres Computerbildschirms. Sie fragt nicht, was mich umtreibt. Was mich auch nicht wundert. Wir sind keine Freundinnen. Nur Didi plaudert ab und an mit ihr. Allerdings grenzt ihr ständiges Starren heute an unhöflich. Deshalb stiere ich sie für einen kurzen Moment ebenso dreist an wie sie mich.

Erneut checke ich meinen Messenger, doch nichts hat sich verändert. Vincent hat nach wie vor nicht auf meine Nachricht geantwortet. Es hätte mich sicherlich beruhigt, noch ein paar ermutigende Worte von ihm zu lesen, ehe ich Freddy konfrontiere. Nun muss ich ohne seinen Zuspruch auskommen. Verdammt, Claudia nervt!

Ein paar quälende Minuten später, reißt mein Kollege endlich die Glastür auf, die in die Redaktion führt. Abgehetzt fährt er sich durch die kurzen braunen Haare und stolpert auf dem Weg zu mir über seine eigenen Füße. Rechtzeitig fängt er sich aber, lächelt dabei sogar. Ich erwidere es schwach. Sein ganzes Gesicht wird rot und ich kann nicht sagen, ob es daran liegt, dass er mir gegenübersteht, oder daran, dass er durchs halbe Büro gesprintet ist, um nicht all seine Aufgaben in die wenigen verbleibenden Stunden nach unserer Mittagspause quetschen zu müssen.
„Sorry", lechzt er und richtet sich auf, atmet tief ein und aus. „Du wolltest zu Mittag essen?" Ich nicke steif und räuspere mich. Das hier tust du nicht nur für dich, Charlotte, sondern auch für deinen Freund, erinnere ich mich im Stillen.
„Bloß eine Kleinigkeit, bitte. Ich musst mit dir reden."
„Okay", stimmt Freddy arglos zu. Ich schlucke. Er ahnt nicht, was ihm blüht. „Was hältst du von dem libanesischen Imbiss zwei Querstraßen von hier?"
„Da habe ich noch nie gegessen." Freddy grinst.
„Dann solltest du das wirklich dringend nachholen, dir entgeht sehr leckeres Essen."

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Freddy soll recht behalten mit seiner Aussage. Das Makali-Sandwich, in das ich Minuten später beiße, ist jeden Cent wert. Er hat sich außerdem für eine Cola als Getränk entschieden, ich habe den schwarzen Tee gewählt.
„Worüber wolltest du reden?", fragt er mich. Ich schlucke den Happs runter und ignoriere die Hitze, die in mir aufsteigt. Einen Rückzieher kann ich ohnehin nicht mehr machen.
„Hm-mh", summe ich. Als mein Kollege seine Flasche aufschraubt, zittern seine Finger. Vielleicht ahnt er doch etwas. Oder er hat zu viel Koffein intus. „Es ist so ...", beginne ich und entscheide mich, mit einem Kompliment anzufangen. „Du bist einer meiner Lieblingskollegen. Du vertreibst mit deinen kleinen Aufmerksamkeiten die Anspannung, die an unserem Arbeitsplatz sonst alles überschatten würde. Insgesamt bist du ein lieber Kerl, und ich habe dich gern – aber nicht auf die Art", lasse ich die Bombe platzen. Das war kurz, und hoffentlich schmerzlos. Er zieht verblüfft beide Augenbrauen hoch. „Ich habe irgendwie den Eindruck, dass du dich zu mir hingezogen fühlst, und das nicht erst seit gestern. Auch andere Kollegen reißen da ihre Witzchen drüber", ergänze ich.
„Äh", macht er. „Also ... Tut mir leid, wenn dir das unangenehm ist, wenn die andern da ihre Sprüche ablassen."
„Mit blöden Sprüchen kann ich umgehen", sage ich und schaue ihm eindringlich in die Augen. Er muss es doch begreifen. Freddy blinzelt und verrührt Ketchup und Mayo mithilfe einer einzelnen, abgeknickten Pommes.

„Aber ich ..." Verwirrt schüttelt er den Kopf und fragt mit besorgter Stimme: „Fühlst du dich von mir ... na ja, belästigt oder so? Weil ich sowas nämlich extrem ernstnehme, und ich wollte dir kein Unbehagen bereiten."
„Also ‚belästigt' ist ein hartes Wort, finde ich", werfe ich rasch dazwischen. „Freddy, ich – Ich bin einfach glücklich vergeben, verstehst du?"

Stille.

Auf einmal schnaubt er und ich kann da eine Emotion von seinem Gesicht ablesen, mit der ich nicht gerechnet habe: Fassungslosigkeit.
„Denkst du, das weiß ich nicht? Ich habe dich und ihn doch gesehen. Da lagen Pizzakartons beim Fenster rum, die ich entsorgt habe, nachdem ihr so überstürzt abgehauen seid. Sah nicht nach einem heißen, einmaligen Abenteuer im Büro aus." Um meine Verblüffung zu übertünchen, schlürfe ich unschuldig ein Schlückchen Tee. „Charlotte, ich –", fährt er fort, bricht jedoch ab. „Das ist absurd, dass du dieses Gespräch mit mir gesucht hast, das merkst du, oder?", meckert er wütend. „Hab ich was verpasst? Hab ich dich irgendwie heute das vierte Mal komplett aufdringlich nach einem Date gefragt, sodass du dir gedacht hast: ,Mit dem muss ich endlich Klartext sprechen'?"
„Nein", nuschle ich in die Pause hinein, die er mir lässt. Freddy schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.
„Worüber reden wir denn dann? Ich gebe offen zu, dass ich dich attraktiv finde; mir ist auch bewusst, dass jeder in der Redaktion davon weiß – auch du. Trotzdem hab ich dich nie gebeten, mit mir auszugehen. Und jetzt stehen wir hier und du sagst mir, dass du mich nicht auf diese Art magst?" Ich schaffe es gerade mal perplex zu blinzeln, so sehr versetzt mich seine Reaktion in Erstaunen. Eigentlich hätte ich darauf getippt, dass er sich sofort einigelt. Nicht, dass er mich so angeht. „Für wie blöd hältst du mich?"
„Ich halte dich nicht für blöd –"
„Toll, danke. Irgendwie beweist du mir im Moment aber das Gegenteil. Hast du noch nie einen Typen aus der Ferne angeschmachtet und insgeheim aber gewusst, dass du dich nie überwinden wirst, diesen Mann anzusprechen? So war das für mich mit dir. Genau so. Ich hatte keine schlechten Absichten, und ich entschuldige mich aufrichtig bei dir, falls das so rüberkam, aber das kann ich mir nicht vorstellen. Weil ich vorsichtig bin."
„So habe ich das auch nicht wahrgenommen."
„Siehst du? Verdammt." Er schiebt sein Essen von sich weg. „Mir ist der Appetit vergangen."

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