22 - Ein Mitternachtssnack

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Als wir bei meiner Wohnungstür angelangt sind und ich den Schlüssel im Schloss drehe, fängt Vincent, der halb hinter mir steht, schon mal damit an, in aller Seelenruhe meine Bluse aufzuknöpfen. Lächelnd stoße ich die Tür mit dem Fuß auf, drehe mich zu ihm um und ziehe ihn am Kragen seines Hoodies rein in meine Wohnung. Wir küssen uns eine Weile leidenschaftlich im Flur. Ich schubse ihn sanft gegen die Wand, er lehnt sich dagegen und zieht scharf die Luft ein, als ich weiter seine Hose aufnestle. Mit einem Ruck ziehe ich sie ihm runter und widme mich seinem besten Stück. Oder ist es das beste Stück von ihm? Ich kann mich nicht entscheiden. Vincent ist ein gutes Gesamtpaket. Jedes Element fügt sich ins Bild. Ich würde nicht ein einziges seiner körperlichen Merkmale um-modellieren wollen. Alles passt wie selbstverständlich zueinander.

Es ist erstaunlich, wie intuitiv wir verstehen, was der andere begehrt. Nicht eine Sekunde bereue ich, in diese Beziehung eingewilligt zu haben, als er mich hochhebt, küsst und mich ins Schlafzimmer trägt, wie eine Prinzessin. Er ist nur noch mit seiner Boxershorts bekleidet. Lächelnd löse ich mich von ihm.
„Das hier ist viel zu schön", entwischen mir die Worte, ehe ich es verhindern kann und Vincent grinst angesichts meines freudigen Geständnisses.
„Du bist viel zu phänomenal schön", macht er mir ein Kompliment und legt mich auf dem Bett ab.
„Schleimer." Ich lache, doch er erstickt es mit einem weiteren süßen Lippenbekenntnis. Alles in mir beginnt verräterisch zu kribbeln, denn diesmal ist es ein langer Kuss und er ist weniger leidenschaftlich. Vielmehr besiegelt er einen neuen, aufregenden Lebensabschnitt.

Ich greife nach seiner Hand, verschränke meine Finger mit seinen; spüre ganz unvoreingenommen, dass das zwischen uns so genial werden könnte. Einen Moment nimmt er sich, um mir tief in die Augen zu schauen. Die Gewissheit, die bestmögliche Entscheidung heute getroffen zu haben, blüht in mir auf und entfaltet sich mit jedem sanften Kuss, den er erst auf meiner Wange, dann auf meinem Mundwinkel und den kleinen Muttermalen auf meinem Hals platziert. Seine Hand schiebt den Stoff meiner Bluse, der bisher meinen nackten Bauch noch notdürftig verdeckt hat, zur Seite. Mit den Fingerspitzen malt er kleine Kreise auf meine Brust, oberhalb meines BHs und ich fahre währenddessen Wirbel für Wirbel seinen Rücken hinunter, umfasse mit der anderen Hand sein Kinn, um ihn zu küssen. Ein Schauer bildet sich auf meinen Armen, als er eine Hand unter den Bund meiner Jeans schiebt. Ich schwebe in sinnlichem Schwindel, krümme die Finger und kralle mich in sein Haar; ziehe daran, wann immer mir danach ist und es dauert eine ganze Weile, bis er meine Beine auseinanderschiebt, mich an den Fußknöcheln packt, zu sich ranzieht, meinen Hintern mit beiden Händen umfasst und anhebt. Ich rutsche mühelos auf seinen Schoß, komme auch mit dem Oberkörper hoch, umfasse seinen Nacken, küsse ihn nochmal und genieße die Wärme, die von ihm ausgeht und meine steigende Erregung. Schließlich ziehe ich die Bluse ganz aus. Vincent löst, sofort als er die Gelegenheit dazu hat, den Verschluss meines BHs und stöhnt als ich mein Becken kreisen lasse. Seine Stirn sinkt auf meine Schulter und ich spüre das altbekannte Pochen unter mir, das auf seinen Herzschlag abgestimmt ist ...

Ursprünglich hatte ich nach unserer gemeinsamen Nacht gestern geglaubt, ich hätte meine Schwärmerei für ihn überwunden. Das mag auch stimmen, dafür bin ich dann aber nun wohl blind über die Ziellinie hinausgeschossen. Dieser Beziehung eine Chance gegeben zu haben, fühlt sich noch immer richtig an. Ich kraule Vincent am Kopf, während er so ruhig und gleichmäßig atmet, dass er vielleicht eingeschlafen ist, ich kann es nicht sagen. Inzwischen ruht mein Blick schon ein paar Minuten auf ihm und ich wünschte, ich könnte die Zeit anhalten.

„Schläfst du?", flüstere ich. Vincent gibt ein tiefes Brummen von sich.
„Ich schlafe nicht, ich genieße das Verwöhnprogramm." Die Decke raschelt, als ich mich darunter bewege, mich ein Stückchen aufrichte.
„Bist du wieder nüchtern?" Er grinst mit geschlossenen Augen.
„Nö", antwortet er schnöde.
„Stimmt das, oder willst du nur nicht über das reden, was vorhin auf der Party passiert ist?", frage ich ihn skeptisch und beobachte, wie er sich streckt, blinzelt und sich dann zu mir umdreht.
„Nein, das sollte keine Ausrede sein. Ich will reden", sagt er ungewohnt ernst und sieht mich aus seinen braunen Augen besorgt an. „Bereust du es, vorhin einfach ja gesagt zu haben?" Er ist meinem Gesicht nähergekommen, so nah, dass ich seinen Atem auf meinen Lippen spüre.
„Nein", hauche ich wahrheitsgetreu. „Bereust du irgendwas?", frage ich ihn anschließend.
„Natürlich, machst du Witze?" Vincent lacht. „Ich hätte dir gern wirklich die Frage gestellt, ob du meine Freundin werden willst und nicht direkt Nägeln mit Köpfen gemacht. Und auch nicht unbedingt heute - und garantiert nicht in besoffenem Zustand." Er zieht mich zu sich ran und ich lasse es geschehen. „Manche Fehler muss ich erst hundertmal begehen, bevor sich etwas ändert." Die stille Angst schwingt in seiner Stimme mit, ich könnte damit eventuell nicht leben und ihn absägen. Es ist das erste Mal, dass ich ihn als verletzlich wahrnehme und dass er sich so vor mir zeigt, rechne ich ihm hoch an. Ich lächle.
„Na, dann stehen mir ja nur noch achtundneunzig einschneidende Erlebnisse bevor, bei denen du Trunkenbold alles ins Chaos stürzt." Ein nachdenklicher Ausdruck legt sich in seine Züge und ich ertappe mich dabei, wie ich kurz den Atem anhalte.

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