37 - Er streichelt die Katze unterm Esstisch

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Charlotte hat meinen Rat bezüglich der Kleiderwahl befolgt und trägt ein hochgeschlossenes graues Businesskleid, weder zu lang noch zu kurz, mit einem schmalen schwarzen Taillengürtel und unauffälligem Silberschmuck. Ich lasse meinen Blick an ihr herabgleiten, als sie mir die Tür öffnet und pfeife anerkennend durch die Zähne. Ihre langen blonden Haare, die ihr bis zur Brust reichen, fallen glatt über ihre Schultern. Sie sind frisch gewaschen, jedenfalls hüllt mich der Duft ihres Kräuter-Shampoos ein, als ich mich zu ihr runterbeuge und einen Kuss auf die Stelle hinter ihrem Ohr hauche. Am liebsten würde ich den Abend mit ihr allein in ihrer Wohnung verbringen, aber ich habe sowohl meinen Eltern als auch ihr das Familienessen versprochen und nun muss ich dieses Versprechen wohl oder übel einlösen.

„Gut so?", fragt sie mich. Ihre haselnussbraunen Augen mit den grünen Sprenkeln funkeln, während sie das Kleid über ihren Oberschenkeln glattstreicht. Ich sehe ihr an, dass sie nervös ist. Ein seltener Anblick. Charlotte Engler hat sonst immer alles im Griff. Vor allem sich selbst.
„Du siehst super aus", versichere ich ihr und greife nach ihrer Hand.
„Okay." Meine Freundin nickt und schlüpft in ihre weißen Sneakers.
„Sind die neu?", frage ich, denn sie sind tatsächlich strahlend weiß, als hätte sie sie gerade erst aus dem Karton entfernt.
„Oh, sind sie. Ich hab auch neue Unterwäsche", grinst sie zu mir hoch und ich schlucke, versuche dabei an irgendwas Unerotisches zu denken.
„Ey, du bist so frech, 'ne?", kreide ich ihr den blöden Kommentar an, während ich ihr mit einer Hand vom Boden hochhelfe. Meine Freundin grinst.
„Du sollst dich entspannen", sagt sie.
„So entspanne ich mich nicht, so stehe ich gleich mit 'ner fetten Erektion bei meinen Eltern vor der Tür", zische ich und ziehe sie hinter mir her die Treppen runter.

Mein Wagen steht immerhin vor der Tür im Halteverbot, ich will kein Knöllchen kassieren. Charlotte lacht klingelnd und ich seufze innerlich. Ich kann ihr nie lange böse sein. Stattdessen öffne ich die Tür auf der Beifahrerseite für sie und lasse sie einsteigen. Ihr Blick klebt förmlich auf dem Display ihres Handys, als ich auf den Fahrersitz falle und sie hat die Stirn in Falten gelegt. „Hey." Ich schnipse vor ihrer Nase herum und starte gleichzeitig den Motor. Charlotte sieht auf. „Alles okay?", frage ich sie und deute mit dem Kinn auf ihr Handy.
„Das ist Didi, sie hat Stress mit ihrem Freund", erklärt sie und ich erspähe einen Silberstreif am Horizont.
„Soll ich dich zu ihr fahren? Wollen wir das Essen mit meinen Eltern verschieben?", schlage ich vor.
Charlotte stockt, sperrt ihr Handy und sieht zu mir auf. Ich behalte meine Augen vorbildlich auf der Straße.

„Vincent", spricht sie meinen Namen aus und ich mache mich bereit für eine Ausrede, aber sie stellt mir gar keine misstrauischen Fragen. „Ich weiß, dein Verhältnis zu deinen Eltern ist nicht besonders herzlich, aber wir hatten uns darauf geeinigt, dass wir heute zu ihnen fahren und mit ihnen essen, weil ich dir am Herzen liege und es so möchte. Wenn sich deine Meinung inzwischen geändert haben sollte und du feige genug bist, dass du es nicht über dich bringst, dann dreh jetzt um, setz mich bei mir daheim ab und fahr selbst nach Hause. Aber wenn du der Mann bist, für den ich dich halte, dann stehen wir das zusammen durch und dazu gehört auch, dass du sofort aufhörst zu nörgeln, oder nach irgendwelchen Ausflüchten zu suchen." Meine Finger krampfen sich fester um das Lenkrad.
„Danke für deine Einfühlsamkeit", knurre ich und Charlotte lehnt sich in ihrem Sitz zurück.
Nachdem sie tief durchgeatmet und sich scheinbar gesammelt hat, sagt sie: „Entschuldige, ich bin am Ende, weil ich so Muffensausen habe. Es sind deine Eltern, ich kann euer Verhältnis nicht beurteilen. Wenn du meckerst und nach Auswegen suchst, um die beiden nicht treffen zu müssen, hat das sicher seinen Grund." Überrascht von ihrer ruhigen Stimmlage, in der kein Funken Hohn mitschwingt, nehme ich eine Hand vom Lenkrad und platziere sie auf ihrem Knie. Sie greift danach, verschränkt ihre Finger mit meinen.

„Ich wollte dir nur die Möglichkeit geben, für Didi da zu sein. Ein bedeutungsloses Abendessen mit meinen Eltern sollte dich nicht davon abhalten, deiner Freundin beizustehen", flunkere ich.
„Ich lasse nur alles stehen und liegen, wenn's wirklich dringend ist und Didi benimmt sich irrational, darauf habe ich eh keine Lust", gibt Charlotte trocken zurück.
Damit hat sich das Thema fürs Erste wohl erledigt.

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