51 - Kalendersprücheklopfer vom Dienst

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Dank drei Tassen Kaffee in fünf Minuten fliegen meine Finger über die Tastatur meines Rechners. Ich habe schon zwölf von hundertdreißig Anfragen wegen Kooperationen mit Künstlern und Marken beantwortet. Da vergisst man nur ein einziges Mal, seine E-Mails zu checken und schon spült diese Sintflut ungehindert ins elektronischen Postfach. Nur ein Drittel der Nachrichten dürfte mit ernsten Absichten seitens der Absender verbunden sein.
Ich gebe den Namen eines Klamotten-Herstellers in die Suchleiste ein, der uns Kleidung zuschicken will, damit wir sie in Musikvideos oder Interviews tragen. Offenbar werben jede Menge Influencer für die Sachen, doch die meisten Bewertungen der Kunden liegen zwischen einem und drei Sternen. Es hagelt Kritik an der Qualität der Stoffe sowie der Verarbeitung. Ich lösche die Mail also. Hoffentlich melden die sich kein zweites Mal, sonst muss ich ihnen eine strenge Absage erteilen.

„Dicka?", ertönt auf einmal Dags tiefe Stimme hinter mir und ich fahre zusammen.
„Dicka, Dag! Erschreck mich doch nicht so!", beschwere ich mich. „Was gibt's?" Mit den Händen fahre ich mir übers Gesicht, denn kaum habe ich mich vom Bildschirm abgewandt realisiere ich, wie müde ich eigentlich immer bin. „Boah, ich bin so fertig", murmle ich und gähne.
„Warum, was hast du gestern noch gemacht?", hakt mein Bester prompt nach. Bei der Erinnerung an den Abend bei mir nach unserem Trip an den See, schleicht sich ein glückliches Lächeln auf meine Lippen.
„Erzähl ich dir lieber nicht, am Ende reißt du dir noch die Ohren aus", antworte ich meinem Kumpel. Ich zwinkere ihm zu und Dag schmunzelt, ehe er mit dem Kinn zur Couch rüberdeutet und die Hände in seinen Hosentaschen vergräbt.
„Kaffeepause?", bietet er an. Automatisch schüttle ich den Kopf.
„Nee, lass mich mal das mit den Mails bitte beenden kurz." Mein Bester blinzelt und zuckt mit den Schultern; bloß, dass es nicht so gleichgültig wirkt wie sonst.

„Ich wollte eigentlich mit dir reden", offenbart er.
„Ist es wichtig?", hake ich erstaunt nach. Dag verdreht die Augen und holt die Hände wieder aus den Hosentaschen raus, faltet sie an seinem Hinterkopf.
„Vergiss es, Vincent", grummelt er und wendet sich ab. Er chillt sich auf die Couch, schnappt sich das Comic-Heft von Lucky Luke. Lesen tut er aber nicht, das ist die einzige Tätigkeit neben dem Gitarrespielen, bei der Dag in Ruhe versinkt.
„Diggi -", beginne ich, und merke, wie ich nervös werde. Wenn er mich demonstrativ ignoriert, dann ist das nie ein gutes Zeichen.
„Nein", unterbricht er mich. „Lass einfach. Wenn's dich nicht interessiert, kümmer dich um die wichtigen Dinge im Leben." Er ist eingeschnappt und ich unterdrücke einen genervten Seufzer, obwohl ich weiß, dass ich nicht wirklich das recht dazu habe, hier die beleidigte Leberwurst zu spielen.

„Brudi, tut mir leid", entschuldige ich mich stattdessen, stehe auf und lasse mich auf die gegenüberliegende Couch fallen. „Sag mir, was los ist."
„Ich will jetzt nicht mehr, Vincent", keift er, legt das Heft beiseite und schnappt sich stattdessen eine Zigarette. Ich beobachte ihn schweigend dabei, wie er sich die Kippe ansteckt. Meist ist er nicht lange sauer auf mich. Genau wie ein Kleinkind eben. Ich kenne das von ihm. Mein Fuß wippt trotzdem in einem schnellen Rhythmus auf und ab. Schließlich weiß ich, dass ich nicht ganz unschuldig an seiner miesen Laune gerade bin.
„Du weißt, dass ich dir auf die Eier gehe, bis du mit mir redest", erinnere ich ihn streng.
„Im Moment sitzt du da nur rum und starrst mich dumm an", feuert er drauflos.
„Noch", gebe ich gelassen zurück. „Schweigen und dich abwartend mustern ist nur die erste Stufe, danach kommt die zweite: Fragen über Fragen", drohe ich ihm. Er lässt sich null davon beeindrucken.
„Frag. Ich muss dir nicht antworten." Ich lehne mich ihm mit dem Oberkörper ein Stück entgegen. Die Polster der Couch knautschen unter mir.
„Dag, komm schon. Sei nicht so", bitte ich ihn und beiße mir im nächsten Moment auf die Zunge, als sein Gesichtsausdruck sich verändert und er die Augen zusammenkneift.
„Sei nicht so? Dein Ernst? Fick dich, Mann." Voll ins Fettnäpfchen, Vincent. Ich stelle hier dieselben Anforderungen an ihn wie unsere Lehrer früher. Entsprechend steht er auf und stampft wütend die Treppe runter.
„Dag!" Aber er reagiert nicht mehr. Mein Handy gibt einen Ton von sich und ich schiele aufs Display. Charlottes Name prangt neben ihrem Profilbild, darunter steht:

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