Seit ich fünfundzwanzig bin, brezle ich mich für ein erstes Date nicht mehr übertrieben auf. Stattdessen schminke und kleide ich mich so, wie ich mich alltäglich wohlfühle. Es würde zwar unweigerlich Eindruck bei der Männerwelt schinden, wenn ich vor diesen Treffen einen Riesenaufwand betreibe, aber genauso gut könnte das ein falsches Bild von mir als Person vermitteln, und das wäre kontraproduktiv. Schließlich will ich einen Freund, dem egal ist, ob ich nun ein Ballkleid oder Jogginghosen und ein schlabberiges T-Shirt trage. Marlene hat meinen Ansatz stark befürwortet, bevor sie losgezischt ist, weil sie im Hotel noch ihre sieben Sachen zusammenpacken musste.
Jedenfalls date ich sowieso nur Typen, die ich potentiell für eine Beziehung in Betracht ziehe. Zum Beispiel Vincent. Seine lockere Art imponiert mir. Unsere Gespräche vor seinem Absturz auf der Party sind mühelos dahingeflossen und auf solche Dinge lege ich Wert. Dann seine Nachricht gleich am nächsten Tag ... Ein bisschen süß ist er ja schon, gestehe ich mir ein. Unwillkürlich legt sich ein sanftes Schmunzeln auf meine Lippen. Über verbale Komplimente zu meinem Aussehen freue ich mich zwar, wer auch nicht? Aber deutlich lieber noch sind mir diese subtilen, aber trotzdem intensiven Blicke, von denen er mir bereits gestern eine ganze Menge zugeworfen hat.
Doch ich spüre, wie mein Lächeln langsam in sich zusammenfällt, bis es ganz von meinem Gesicht verschwindet. Denn ein Abend, Charlotte, erinnere ich mich selbst, bedeutet rein gar nichts. Vielleicht ist er lediglich auf unkomplizierten Sex aus. So betrunken, wie er war, ist das zumindest nicht komplett abwegig.
Ich atme aus, schiebe dabei meine Hände in die Taschen meiner alten Lieblingsjeans, unter der ich eine Feinstrumpfhose mit Zick-Zack-Muster trage, weil sie an den Knien zerrissen ist. Diesen unverhofften DIY Destroyed Look hat sie vor ein paar Jahren erhalten, als ich gezwungenermaßen in, sagen wir mal, angeheitertem Zustand der S-Bahn hinterherhechten musste. Es war die letzte, die in der Nacht damals fuhr. Ich bin bei voller Geschwindigkeit über meine eigenen Füße gestolpert und habe mich übel auf den Bahnsteig gepackt. Der Zug ist mir dann natürlich vor der Nase weggerast und ich saß drei Stunden heulend mit aufgeschürften Knien in meiner blutverschmierten, löchrigen Jeans auf der kalten Gitter-Bank aus Metall. Das war eine turbulente Nacht.
„Sind wir beide fünfzehn Minuten zu früh, oder habe ich unsere Verabredung verschlafen und träume das hier gerade?", ertönt eine bekannte Stimme hinter mir und reißt mich aus meinen Gedanken. Ich fahre zu Vincent herum, der grinsend auf mich runterblickt.
„Hi", begrüße ich ihn überrascht.
„Na." Er lächelt und mustert mich, wovon mir sofort wohlig warm im Innern wird. „Worüber hast du eben nachgedacht?", fragt er mich, legt eine Hand an meinen Rücken und schiebt mich in Richtung der Bar, zu der er mich bestellt hat.
„Über dich", antworte ich wahrheitsgetreu. „Und darüber, dass ich betrunken war, als diese Hose kaputt gegangen ist." Ich gestikuliere an mir herab. „Wie du auf der Party gestern." Sein Grinsen weicht einem leicht verunsicherten Lächeln.
„Hey, ähm ..." Vincent kratzt sich verlegen am Hinterkopf. „Danke, dass du dich nicht davon hast abschrecken lassen. Es war echt sehr nett von dir, dass du mich in dieses Taxi gesetzt hast."
„Und trotzdem stehen wir vor einer Bar, weil du mich ausgerechnet zum Trinken eingeladen hast", meine ich und schmunzle.
„Du merkst doch, wie nervös du mich machst, sobald wir allein sind – Klar muss ich da mit was Hochprozentigem nachhelfen, sonst kann ich mich gar nicht vernünftig mit dir unterhalten. Ich muss mir vorher Mut antrinken."
„Bitte nicht so viel Mut wie gestern."
„Gestern war 'ne Ausnahme", verteidigt er sich.
„Du schwindelst doch, ich glaube dir kein Wort. Warum machst du das hier mit mir?"
„Was? Dich ausführen? Was denkst du denn, weshalb?" Ich ziehe eine Augenbraue hoch. „Genau", bestätigt er mein Schweigen.„Freundchen, mit ein paar Drinks kriegst du mich nicht ins Bett."
„Du denkst auch nur ans Eine, oder? Ich will dich einfach kennenlernen."
„Spar dir deine abgenutzten Sprüche, Vincent, du bist einer von den ganz Schlimmen, ich seh's dir an der Nasenspitze an. Von wegen du willst mich kennenlernen", flöte ich.
„Charlotte, kann es sein, dass du Männern misstraust?", fragt er unvermittelt und ich hebe schnell einen Zeigefinger.
„Ich misstraue nicht Männern im Allgemeinen, Vincent, ich misstraue nur dir."
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So genial
Фанфик"Manchmal verlieben sich Menschen ineinander, ist das nicht genial? Ich meine, das ist doch der glücklichste Zufall von allen, oder? Du triffst diese eine Person und auf einmal wird dir wieder bewusst, wie viel Liebe du eigentlich im Herzen tragen k...